USA-Experte Josef Braml: Warum Trumps Milchjungen-Rechnung eine Chance für Europa ist

Trumps Zölle gefährden die US-Schuldenfinanzierung

Mit seinen Zöllen gefährdet Donald Trump den durch ausländische Kredite finanzierten „American Way of Life“. Solange die USA über ihre Verhältnisse leben, wirtschaften und rüsten, werden sie andere Länder benötigen, die mehr exportieren als sie importieren und ihre Kapitalreserven dem Land der Freien zur Verfügung stellen. Amerikas Haushaltsdefizit und Handelsdefizit sind zwei Seiten derselben Medaille – eine ökonomische Binsenweisheit, die Donald Trump und seine Berater ignorieren.

Bereits jetzt läuft die US-Staatsverschuldung aus dem Ruder. Das Congressional Budget Office prognostiziert, dass die Staatsverschuldung bis 2028 auf einen Rekordwert von 106 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und auf 166 Prozent des BIP bis 2054 steigen wird – das 3,5-fache des 50-jährigen historischen Durchschnitts von 48 Prozent des BIP. Internationale Anleger könnten bald das Vertrauen in die US-Finanzen verlieren und ihre Staatsanleihen verkaufen, bevor die USA zu unkonventionellen Maßnahmen greifen.

Gemäß den letzten verfügbaren Daten des US-Finanzministeriums (vom vierten Quartal 2024) halten ausländische Investoren amerikanische Staatsanleihen im Wert von 8,5 Billionen US-Dollar. China ist nach Japan der zweitgrößte ausländische Inhaber von US-Staatsanleihen. Doch im Zuge der Entkoppelung beider Volkswirtschaften hält China (Stand Januar 2025) nur noch etwa 760 Milliarden US-Dollar an US-Staatsanleihen. Seit 2013 sind die Bestände von damals 1,3 Billionen Dollar um über 540 Milliarden Dollar zurückgegangen.

Über den Experten Josef Braml


Dr. Josef Braml ist Politikwissenschaftler, USA-Experte und European Director der Trilateral Commission – einer einflussreichen globalen Plattform für den Dialog eines exklusiven Kreises politischer und wirtschaftlicher Entscheider/innen Amerikas, Europas und Asiens. Zuletzt sind beim Verlag C.H.Beck sein mit Mathew Burrows verfasstes Buch „Die Traumwandler. Wie China und die USA in einen neuen Weltkrieg schlittern“ und sein weiterhin aktueller Bestseller „Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können“erschienen. In ihrem neuen Buch „World to Come – The Return of Trump and the End of the Old Order“ beschreiben Braml und Burrows die Gefahren und Chancen der neu entstehenden Weltordnung.

China ist nicht das einzige Land, dass seine Anleihebestände reduziert hat – was die USA zusehends in Finanzierungsschwierigkeiten bringt. Die USA müssen höhere Zinsen zahlen, um neue Investoren anzulocken, was die Zinslast weiter erhöht. Im Fiskaljahr 2024 stiegen die Nettozinszahlungen der US-Regierung bereits auf 882 Milliarden Dollar. Das sind viermal so viel wie 2015 und übertreffen nun sogar die Ausgaben für Verteidigung.

Die USA sind zunehmend auf ausländische Investoren angewiesen, um ihre Anleihen zu verlängern und neue zu kaufen. Ein geringer Rückgang könnte die Renditen erheblich erhöhen. China könnte diese Schwachstelle als Druckmittel nutzen und als Reaktion auf die Trump-Zölle verstärkt US-Staatsanleihen abstoßen, was den Handelskonflikt in einen Finanzkrieg eskalieren lassen würde.

Mar-a-Lago Accord – eine mögliche Finanzkriegserklärung

Um sich dagegen zu wappnen, plant die Trump-Regierung einen nach Trumps Wohnsitz benannten Mar-a-Lago Accord, um damit ausländische Gläubiger zu zwingen, ihre langfristigen Treasury Bonds gegen spezielle 100-jährige, nicht handelbare Nullkupon-Anleihen zu tauschen. Diese Anleihen würden keine Zinsen zahlen und könnten nur durch Halten bis zur Fälligkeit zurückgezahlt werden. Durch diese Maßnahme würden jährlich weniger Anleihen fällig, wodurch Gläubiger keine Nachfrage nach Dollars zur Reinvestition hätten. Dies könnte umso mehr zu einer Schwächung des Dollars führen.

Der geplante Mar-a-Lago-Accord könnte das Vertrauen in den Dollar erheblich beeinträchtigen. In früheren Finanzkrisen galt die US-Staatsanleihe als sicherer Hafen. Dieser Accord würde jedoch diesen sicheren Dollar-Hafen gefährden. Dies könnte zu einer globalen Finanzkrise führen.

Trumps riskantes Vabanquespiel

Es ist zu hoffen, dass US-Präsident Trump und seine Berater die jüngste Warnung der Finanzmärkte zur Kenntnis genommen haben. Nach Trumps Erklärung seines globalen Handelskrieges am „Liberation Day“ sanken die Aktien- und Anleihemärkte erheblich, was ihn zwang, viele Zölle für 90 Tage auszusetzen. Investoren suchten nicht wie üblich Zuflucht in sicheren Anlagen wie dem Dollar oder US-Staatsanleihen. Im Gegensatz dazu verzeichneten beide Werte erhebliche Verluste.

Doch Trump spielt weiter mit dem Feuer. Er sinniert öffentlich darüber, US-Notenbankchef Jerome Powell vorzeitig von seinem Amt zu entfernen, weil dieser sich seinem Ansinnen widersetzt, die Zinsen zu senken. Der Fed Chair befürchtet zurecht, dass Trumps Zölle die Inflationsgefahr erhöhen und auf Kosten des Wirtschaftswachstums gehen – also eine gefährliche Stagflation auslösen könnten.

Die Unabhängigkeit der Fed wird als wesentlich für die Kontrolle der Inflation angesehen, was auch das Risiko bei langfristigen Staatsanleihen verringert. Wenn Anleger indes glauben, dass die Fed die Inflation weniger strikt kontrolliert, könnten die Renditen dieser Anleihen steigen. Ein Versuch Trumps, Powell vorzeitig zu entlassen, würde wahrscheinlich vor dem Obersten Gerichtshof enden und die Finanzmärkte massiv verunsichern.

Amerikanische Politiker und Finanzakteure wähnen sich jedoch noch in der vermeintlichen Sicherheit, dass der Dollar und die „tiefen“ US-Märkte unersetzlich sind. Sie meinen, es bestehe keine Gefahr, solange keine Alternative dazu existiert. Nur die USA können sich so stark verschulden und dem Rest der Welt solche Anlagemöglichkeiten bieten.

Europas historische Chance

Doch eine gemeinsame Verschuldung könnte die durch Trumps Aufkündigung des transatlantischen Bündnisses umso dringender gewordene Selbstverteidigung Europas stützen und den Wiederaufbau der Ukraine finanzieren. Gemeinsame Schulden würden das „Butter versus Kanonen“-Dilemma entschärfen: Angesichts der angespannten Haushaltslage in vielen europäischen Ländern wäre jeder Euro, der an Sozialleistungen (Butter) eingespart und für Rüstung (Kanonen) oder den Wiederaufbau der Ukraine investiert würde, eine weitere Stimme für jene extremistischen, anti-europäischen Parteien, die von Trump und seinen Helfern J.D. Vance und Elon Musk instrumentalisiert werden, um Europa zu spalten.

Anstatt ihre Devisenreserven und Ersparnisse für Investitionen in US-Schulden und die Stärkung des militärisch-industriellen Komplexes der USA zu verwenden, könnten sich die europäischen Länder und Investoren darauf konzentrieren, ihre Währung, ihre Sicherheitskapazitäten, ihre digitale Infrastruktur und ihre Zukunftstechnologien zu stärken, um sich auf den verschärften geoökonomischen Wettbewerb vorzubereiten.

Angesichts der enormen US-Staatsverschuldung würde ein tiefer, liquider Markt für sichere EU-Anleihen internationalen Anlegern die Möglichkeit zur Risikodiversifizierung bieten. Sie könnten ihr Geld in auf Euro lautenden Anleihen statt in US-Schatzanweisungen parken. Mit einem wachsenden Staatsdefizit und steigenden Zinsen wird die Haushaltslage in den USA immer unhaltbarer.

Fazit

Jede Krise bietet eine Chance. Trumps „America First“-Politik könnte Europa zwingen, strategische Schwächen zu beheben und sich einer multipolaren Welt anzupassen. Europas Einheit ist nötig, um in einer von geopolitischen Risiken geprägten Welt Marktmacht und Handlungsoptionen zur Selbstbestimmung zu sichern.

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