Kempten: „Süße“ Vision für das Horten-Gebäude gewinnt Wettbewerb
Architekten-Team aus Kempten gewinnt mit seiner Arbeit „hORTEn“ – einer süßen Vision für das Horten-Gebäude – Architektenwettbewerb „Eat City 2024/25“.
Kempten – „Dieser erste Preis bereitet uns fast mehr Freude als der Gewinn eines Architekturwettbewerbs“, sagt Architekt Felix Huber. „Weil wir durch unsere spielerische Herangehensweise einen Impuls setzen können, für den Dialog unter den Bürgern und für die Wiederbelebung der Innenstadt“, ergänzt Innenarchitektin Silja Roever. Die beiden gehören zusammen mit dem Architekten Franz G. Schröck und Hubers Mitarbeiterin Vanessa Steck zum vierköpfigen Team, das für seine Arbeit „hORTEn“ beim Wettbewerb „Eat City 2024/25“ von 44 Einsendungen den ersten Preis gewonnen hat.
Team vermisst öffentliche Debatte zur Zukunft des Horten-Gebäudes
Seit der Schließung der Galeria-Kaufhof-Filiale vor einem Jahr vermissen die vier die öffentliche Debatte über die Zukunft der Immobilie. „Es geht um einen wichtigen Baustein im Stadtbild, direkt an der Residenz, mit einer immensen Größe“, sagt Roever. „Man kann es nicht einfach geschehen lassen“, ergänzt Schröck. Die Diskussion könnte von der Stadt angestoßen werden, bei der er eine Stelle für Stadtentwicklung vermisst, aber auch von den Bürgern, wie sie es gerade mit ihrem Wettbewerbsbeitrag getan haben.
Architektenwettbewerb: „Die süßeste Umnutzung des Jahres“
Die Onlineplattform „competitionline“, die wegen der Veröffentlichung von Architektenwettbewerben in der Branche rege genutzt wird, schreibt seit Jahren auch einen Lebkuchenwettbewerb aus, die Themen ändern sich. Unter dem Motto „Die süßeste Umnutzung des Jahres“ ging es diesmal um Visionen für die Zukunft von brachliegenden Kaufhäusern. Huber entdeckte die Ausschreibung und schlug den anderen, ebenfalls kleinen, Architektenbüros vor, sich statt einer Weihnachtsfeier für zwei Tage zu treffen und ihre kreativen Ideen gemeinsam umzusetzen. Es ging mit Recherchen und der Besorgung der Materialien los. Süßigkeiten in passender Größe zu finden, sei eine große Herausforderung gewesen, erzählt Steck. Nur für die Decken hätten sie nichts Geeignetes gefunden. „Diese backten wir selbst.“

Ziel des Architekten-Teams: Innenstadt wieder attraktiver machen
Bei der Zukunft des Horten-Gebäudes geht es nicht nur darum, eine leerstehende Immobilie wieder wirtschaftlich zu nutzen, sondern auch um die Chancen für die gesamte Innenstadtentwicklung. Die Innenstadt wieder attraktiver zu machen: Dieses Ziel setzten sich die Gewinnerinnen und Gewinner des diesjährigen bundesweiten Lebkuchenwettbewerbs aus Kempten.
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Bürger, die ihren urbanen Lebensraum selbst gestalteten, gebe es heute kaum mehr, stellt Jürgen Schmid in der Zeitschrift „edition:schwaben“ (Sonderausgabe Architektur 2024) fest. „Weil das so ist, bleiben die schönsten Stadträume unbevölkert und wirken wie verödet, wenn die Geschäfte geschlossen sind und gerade kein Event auf dem Programm steht.“ Zu seinen Beispielen gehören der Sankt-Mang-Platz und das Umfeld der Residenz in Kempten. Die Stadt baue weiterhin auf die Anziehungskraft des Konsums und verlasse sich auf Investoren, stellt Huber fest. Um den Stadtkern mit neuem Leben zu füllen, brauche man aber auch „Utopien“, „positive Leitbilder“, die die Menschen motivierten. „Das und nicht die genaue Planung war unser Ansatz“, sagt er.
Lebkuchengebäude bietet Platz für Kulturangebote und Co-Working
Was der Kemptener Architekt anspricht, beschreibt der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa als „zirkulierende soziale Energie“, die bei gemeinsamem Handeln eine kollektive Kraft entfaltet und gleichzeitig auch den Einzelnen neue Antriebskräfte verleiht. Als Beispiel nennt er das gemeinsame Musizieren, Sporttreiben oder kreative Arbeiten (Die Zeit, 11.1.2024). Dieses Phänomen widerspreche dem kapitalistischen Input-Output-Schema, weil hier Anstrengung nicht zur Erschöpfung, sondern zu einem kollektiven und individuellen Energiegewinn führe. Das funktioniere aber nur, wenn der Fokus auf der Tätigkeit selbst liege.
Begegnungsorte zu schaffen, in denen sich Menschen unterschiedlicher Herkunft im urbanen Raum zu gemeinsamen Aktivitäten treffen können, ist das Beste, was das Gemeinwesen zur Entstehung dieser sozialen Energie beitragen kann. Genau das haben sich die vier Architekten aus Kempten zum Ziel gesetzt: In ihrem Lebkuchengebäude bieten sie Platz für eine neue Stadtbibliothek und Volkshochschule mit Räumlichkeiten für ein kreatives Miteinander. Sie planen Flächen für Co-Working und Ausstellungen. In den Wintermonaten könnte der Wochenmarkt im Gebäude untergebracht werden. Wo heute Autos parken, soll eine Fahrradtiefgarage entstehen und auf der restlichen Fläche könnten Werkstätten eingerichtet werden. Auch eine Teilnutzung für Kinderbetreuung oder Wohnen können sie sich vorstellen. Das Gebäude habe eine klare und simple Stützenstruktur mit drei Längs- und sechs Querachsen, was für den Innenausbau eine hohe Variabilität und Flexibilität bedeute, erklären Huber und Schröck.

Warenhaus: Dach und Fassade sollen begrünt werden
Tageslicht war in dem Warenhaus nicht erwünscht. Das sollte sich ändern: „Deshalb haben wir in der Mitte einen Innenhof eingeschnitten“, berichtet Roever. Ein Teil der Kacheln an der Fassade sollte durch Glas und Begrünung ersetzt werden. Die ausgebauten Kacheln, die laut Schröcks Recherchen nicht geschützt sind, können in den Innenräumen als Trennwände verwendet werden. Sie planen die Dachfläche zu öffnen und zu begrünen. Dort soll außerdem ein Lokal mit Sicht auf die Stadt entstehen.
An den Umsteigepunkten des ÖPNV sind oft große Menschenmengen, aber es gelingt in den Städten nur selten, ihnen dort eine hohe Aufenthaltsqualität zu bieten, diagnostiziert Jürgen Schmid für den urbanen Raum in Schwaben. Damit es in Kempten anders aussieht, würden die vier Kreativen den neuen Bus-Umsteigepunkt direkt am neu gestalteten Gebäude errichten.
Erfolgsgeschichten laden zur Nachahmung ein
Wer soll das alles managen und finanzieren? Die Beispiele von Hanau und Offenbach (dort entstand im ehemaligen Kaufhof-Gebäude ebenfalls eine neue Stadtbibliothek) zeigen, dass es von großem Vorteil sein kann, wenn diese Rolle die Kommune übernimmt. Dilan Vural von der TU München, vor ein paar Tagen mit dem Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für Baukunst ausgezeichnet, gab in ihrer Masterarbeit eine umfassende Analyse über die Kaufhof- und Karstadt-Gebäude in Deutschland. Sie warnt in einem in der Zeitschrift „Stadtbauwelt“ 2024 erschienenen Essay davor, allein auf die Übernahme der Verantwortung durch die öffentliche Hand zu setzen. Viel wichtiger sind Visionen, die die spezifischen Anforderungen des Ortes berücksichtigen und die vom Investor, der Stadt und bürgerschaftlichem Engagement gemeinsam getragen werden. Ein gutes Beispiel dafür ist der Stadtteil Buhr in Gelsenkirchen, wo sich 16 Bürgerinnen und Bürger zusammengetan haben, um nach der Hertie-Pleite das Kaufhaus zu retten. Im zweiten Stock dort sind ebenfalls eine Bibliothek und die VHS untergebracht.
„Es ist wichtig, dass wir uns politisch engagieren, denn Architekten haben die Möglichkeit, die Welt positiv zu beeinflussen, sagt Huber am Ende des Gesprächs mit dem Kreisboten.
Feste, Konzerte, Ausstellungen: Was man in Kempten und Umgebung unternehmen kann, lesen Sie im Veranstaltungskalender.
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