In Litauen würde Putin zuerst auf die neuen Leopard stoßen. Die Stückzahl bleibt geheim. Aber trotz aller Qualität: Russland fährt ein Vielfaches auf.
Berlin – „Die oft geäußerte Behauptung, der Drohnenkrieg habe den Kampfpanzer obsolet gemacht, hält einer Betrachtung der Entwicklungen nicht stand“, schreibt Martin Rosenkranz. Der Autor des österreichischen Magazins Militär Aktuell sieht auch nach dem Ukraine-Krieg eine Zukunft für die Panzerwaffe und kann sich durch aktuelle Entwicklungen bestätigt sehen: Aufgrund befürchteter weiterer militärischer Auseinandersetzungen mit Wladimir Putin modernisiert Europa seine Flotten – einer der Profiteure ist Deutschland.
Wie das Handelsblatt berichtet, habe der deutsch-französische Rüstungskonzern KNDS bislang 350 Bestellungen aus fünf Ländern für das neue Modell des Leopard-2-Panzers erhalten. Wie bereits die Vorgänger durch alle Generationen hindurch, zeigt sich der Leopard 2A8 ebenfalls als Bestseller. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat zugeschlagen: 123 Panzer dieses Typs sind bereits bestellt, die Beschaffungsvorlage für 75 weitere Exemplare will er auf den Weg bringen.
Bundeswehr: Mit der ersten Charge an neuen Kampfpanzern wächst die Panzertruppe bis auf 430 Einheiten
Mit der ersten Charge an neuen Kampfpanzern wächst die deutsche Panzertruppe bis auf 430 Einheiten. Die Waffe bedeutet einen kompletten Neubau, der 2027 in die Truppe integriert worden sein soll. Erstmals in der Geschichte der deutschen Panzerwaffe werde in diesem Fahrzeug serienmäßig ein abstandsaktives Schutzsystem eingebaut, so die Bundeswehr: das Trophy-System des israelischen Herstellers Rafael. Als Erstes wird die Panzerbrigade 45 in Litauen mit den neuen Fahrzeugen ausgerüstet. „Das verschafft den Kräften der NATO ein Plus an Kampfkraft“, schreibt die Bundeswehr. Kampfkraft ist das, was sich die NATO quasi ganzheitlich von der deutschen Wunderwaffe versprochen hat – und wohl weiter versprechen wird.
„Ob sich der Leopard-2-Panzer auf dem Schlachtfeld als entscheidend erweisen wird, bleibt abzuwarten.“
Rund 4000 Leopard-2-Panzer versehen ihren Dienst für 20 NATO-Verbündete in ganz Europa. An die neue Waffe reicht nach wie vor keine andere heran. Keiner der beiden bedeutenden NATO-Partner Frankreich oder das Vereinigte Königreich können mit ihrem Leclerc oder dem Challenger 2 beziehungsweise 3 eine ähnliche Leistung auf das Gefechtsfeld bringen. Zumal der Leopard auch im Ukraine-Krieg seinen Kampfwert ganz praktisch unter Beweis gestellt hat – und das auch noch in der Vorgänger-Version Leopard 1. „Und so könnte es sich herausstellen, dass Deutschland – und nicht die USA – am Ende die entscheidende Offensivwaffe liefert, um die russischen Streitkräfte in der Ukraine zu besiegen“, hat Anfang 2023 Joel Hickman prophezeit.
Der Autor des Thinktanks „Center for European Policy Analysis“ (CEPA) hatte allerdings viel mehr einen strategischen Wert des Leopard gesehen statt eines taktisch-operativen – und von „einer tiefgreifenden Veränderung auf strategischer Ebene der europäischen Sicherheit“ geschrieben: „Deutschland hat sich endlich als ernstzunehmender und glaubwürdiger militärischer Partner erwiesen, und hoffentlich wird dies noch lange so bleiben.“ So weit, so gut. Allerdings bleibt dem Leopard ein weiteres Manko im Hinblick auf ein womöglich zum Feldzug gegen Russland gezwungenes Europa: seine Masse; nämlich die fehlende. Trotz der technischen Qualität des 2A8-Modells bleiben die Stückzahlen verschwindend gering. Was Deutschland an Panzern auffahren könnte, verpulvert Putin im schlimmsten Fall in einer Woche.
Pistorius behält ein Problem: Auch 123 moderne Panzer machen noch keine schlagkräftige Panzerwaffe
Um das zu verhindern, müsste die Ukraine erst einmal als Sieger vom Platz gehen – allein dafür wären schon mehr Panzer nötig, als an Leopard geliefert werden könnte: „Um den Sieg zu erringen, bräuchte die Ukraine einen raschen Zustrom an militärischer Ausrüstung. Dazu gehören 1500 bis 2500 Kampfpanzer und 2000 bis 3000 Artilleriesysteme innerhalb von ein bis zwei Jahren“, besagt eine aktuelle Studie aus Norwegen. Und auch die Briten attestieren Europa ein seit Ende des Kalten Krieges bestehendes Defizit im Panzerbau – das Gros der NATO-Panzerflotte sei kaum einsatzfähig. Was sich in Zukunft nur leicht ändern werde, wie der britische Economist Mitte 2025 prophezeit hat – ihm zufolge verlaufe die Panzerproduktion schleppend:
„Europa verfügt nur über eine aktive Produktionslinie für Kampfpanzer: die Leopard-2-Linie, die vom deutschen Teil von KNDS betrieben wird. Während des Kalten Krieges wurden dort 300 Panzer pro Jahr gefertigt. Heute sind es nur noch etwa 50“, so das Blatt. Die Briten beispielsweise tun sich ebenfalls schwer mit der Aufrüstung ihrer Panzerwaffe. Statt deren Challenger-Flotte durch die dritte Generation aufzustocken, werden die bestehenden Challenger 2 lediglich umgerüstet – ebenfalls ein Qualitäts-Gewinn ohne zahlenmäßigen Zuwachs. Auch 123 moderne Leopard machen noch keine schlagkräftige Panzerwaffe, rechnen Guntram B. Wolff und seine Co-Autoren vor.
Vorschusslorbeeren für das neue NATO-Flaggschiff: „,Superpanzer‘ zur Stärkung der NATO-Ostflanke“
„Bis 2021 verfügte Deutschland über rund 340 Panzer, was lediglich acht Prozent der über 4000 westdeutschen Panzer von 1992 und 14 Prozent der 2400 Panzer von 2004 entsprach“, schreiben sie aktuell für den belgischen Thinktank Bruegel. Insofern scheint vielleicht maßlos übertrieben, was Boris Pistorius jüngst im Bundestag drohend verkündet hatte: dass Russland seiner Armee jedes Jahr 1000 bis 15.000 Panzer „auf den Hof“ stelle, wie die Bild-Zeitung den Bundesverteidigungsminister zitiert. Dennoch liegt Pistorius in der Tendenz richtig: dass Russland seine Bestände forcierter auffüllt, als das offensichtlich die europäischen Länder zu tun in der Lage oder überhaupt gewillt wären.
Immerhin, für Newsweek ist der „Leo“ bereits der „,Superpanzer‘ zur Stärkung der NATO-Ostflanke – die 45. Panzerbrigade in Litauen mit ihren 5000 Kräften wird die erste deutsche Einheit mit dieser Waffe werden; der „Stolperdraht“, der Putin wenn nicht abschrecken, so doch wenigstens möglichst lange Einhalt gebieten soll, würde Russland die Stiefel ins Baltikum setzen wollen. Die Zahl der dort stationierten Leopard bleibt aber geheim. Auch in Russland bekannt ist aber, dass der Kampfpanzer bezüglich des Schutzes gegenüber der Mobilität und der Feuerkraft nachgebessert wird. Der 2A8 erhält als erstes Bundeswehr-Fahrzeug serienmäßig ein abstandsaktives Schutzsystem: das israelische Trophy-System.
Gegen Drohnen gut gerüstet? „Das Abfangen erfolgt durch einen Schauer von Hohlladungen“
Was auch an den israelischen Merkava-Panzern verbaut ist – ein Hard-Kill-System. Im Gegensatz zu einem Soft-Kill-System, das anfliegende Bedrohungen stört und abzulenken versucht, wird einer Bedrohung kinetische Energie entgegengesetzt und zerstört den Flugkörper, also Drohne oder Granate, noch vor dem Aufprall auf die Panzerung. „Das System besteht aus vier Radarsensoren und zwei Werfereinheiten, die am Turm des Panzers angebracht sind. Gemeinsam mit dem ,Gehirn‘ des Systems, einem Hochleistungsrechner, bilden sie einen unsichtbaren Schild um den Kampfpanzer“, wie die Bundeswehr hervorhebt. Damit könnte der Leopard eventuell zum König auf dem Drohnen-Kampfplatz avancieren.
Abstandsaktive Schutzsysteme seien der Schlüssel zur Überlebensfähigkeit von gepanzerten Fahrzeugen auf einem modernen Gefechtsfeld, urteilt auch Sam Cranny-Evans. Laut dem Autoren des Militär-Magazins Augen geradeaus! gilt Trophy als das weltweit am meisten erprobte und erfolgreichste abstandsaktive Schutzsystem: „Das Abfangen erfolgt durch einen Schauer von Hohlladungen, die vom Sockel aus in die Flugbahn der ankommenden Geschosse geschleudert werden.“ Allerdings sieht Gerhard Heiming auch schon die Götterdämmerung des Leopard kommen – der 2A8 sei die Brücke zum deutsch-französischen Gemeinschaftsprojekt Main Ground Combat System (MGCS), so der Autor des Magazins Europäische Sicherheit & Technik. Auch wegen bilateraler Abstimmungsschwierigkeiten rutscht dessen Einführung immer weiter nach hinten.
Die Truppen sollen die Waffe von 2045 an erhalten, die offizielle Fertigstellung sei für 2050 geplant. Dazwischen könnte sich noch der Leopard 2AX schieben – mit einem eventuell stärkeren Motor und einer größeren Kanone. Was CEPA-Analyst Joel Hickman zu Beginn des Ukraine-Krieges über die deutsche Rüstungstechnik geschrieben hat, gilt dann genauso für einen nächsten größeren Konflikt: „Ob sich der Leopard-2-Panzer auf dem Schlachtfeld als entscheidend erweisen wird, bleibt abzuwarten.“ (Quellen: Center for European Policy Analysis, Bruegel, Bundeswehr, Economist, Militär Aktuell, Handelsblatt, Bild, Newsweek, Augen geradeaus!, Europäische Sicherheit & Technik) (hz)