Trotz Nordkorea-Soldaten und Trump: Ukraine verzeichnet in Russland Erfolge gegen Putin

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Zwischenergebnis: Ein Foto von August aus der Stadt russischen Sudscha, die die Ukraine unter ihre Kontrolle gebracht hatte. Jetzt ist sie in der Region wohl vorgerückt. Präsident Selenskyj wollte den Krieg nach Russland tragen und Putin zur Verhandlungen zwingen. Mit der Wiederwahl Trumps zum US-Präsidenten bröckelt allerdings die Phalanx seiner Unterstützer. © Yan Dobronosov / AFP

Die Ukraine rückt einige Fußbreit vor auf Russlands Territorium und wird um weitere Unterstützung kämpfen müssen. Viele Analysten haben sich geirrt.

Kursk – „Vielleicht“, antwortet Doug Livermore bewusst vorsichtig auf seine selbst gestellte Frage, ob die Offensive bei Kursk für die Ukraine funktioniere. Der Thinktank Institute for the Study of War (ISW) will jetzt belegen können, dass die Ukraine wieder in der Vorwärtsbewegung sei – trotz erster Zusammenstöße der ukrainischen Kräfte mit den Hilfstruppen Wladimir Putins aus Nordkorea. Demnach habe die Ukraine also wieder die Initiative ergriffen. Aber was nützt das eigentlich noch?

Ukrainische Streitkräfte rückten kürzlich bis an die nordwestliche Kante des wichtigsten ukrainischen Frontvorsprungs in der Region Kursk vor, berichtet das ISW. Davor seien Berichte über eine Intensivierung der russischen Offensive entlang dieses Frontvorsprungs eingegangen, wurden aber offenbar durch geolokalisiertes Filmmaterial widerlegt. Demzufolge wäre den Ukrainern gelungen, geringfügig bis zu einer geschützten Stellung im Norden von Novoivanovka südöstlich von Korenewo vorzurücken.

Kursk-Offensive: Absicht der Ukraine, eine langfristige Präsenz in Kursk aufrechtzuerhalten

Als Doug Livermore Mitte September seine Analyse für den Thinktank Center for European Policy Analysis (CEPA) veröffentlichte, war der Ukraine die Kontrolle über mehr als 100 Siedlungen zugesprochen worden sowie über einen weiten Raum, in dem die russischen Streitkräfte Mühe gehabt hatten, eine koordinierte Reaktion auf die Beine zu stellen. Laut dem ISW seien die Russen an der rund 1.000 Kilometer langen Frontlinie in der besetzten Ukraine derart gebunden gewesen, dass die Ukraine auf russischem Gebiet nahezu freie Hand gehabt hätte.

„Wo wir eine Abteilung stationieren, postieren sie eine Kompanie; wo wir einfache Unterstände graben, bauen sie Befestigungen, die eines Bataillonshauptquartiers würdig wären.“

Analyst Livermore behauptet in seiner Prognose, die Aktionen „signalisieren die Absicht der Ukraine, eine langfristige Präsenz in Kursk aufrechtzuerhalten“. Das wiederum steht Russlands Interessen diametral entgegen. „Russlands Gesamtstrategie scheint darin zu bestehen, die Ukraine weiterhin so unter Druck zu setzen, dass sie um Frieden bittet“, schreiben aktuell Mary Glantz, Frank Aum, Carla Freeman und Naiyu Kuo. Die Autoren des US-Thinktank United States Institute of Peace erwarten neben der Zurückdrängung der ukrainischen Präsenz in Kursk die Fortsetzung der Offensivoperationen im Donbass, die darauf abzielen, den Rest der Region Donezk zu erobern, wie sie schreiben.

Diese Operationen Russlands seien im Wesentlichen zermürbende Angriffe, die täglich etwa 1.200 russische Opfer forderten – jegliche Gegenoffensiven der Ukraine würden also dazu führen, Russlands Kräfte abzunutzen; allerdings auch die eigenen. Dessen ungeachtet müssen die Analysten nach der US-Präsidentenwahl 2024 ihre Prognosen neu ausrichten. In der Ukraine habe der Kursk-Einmarsch greifbare Vorteile gebracht – hat beispielsweise Michael McFaul Anfang September behauptet. Der Autor des US-Thinktanks Hoover Institute war sicher gewesen, dass dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gelungen wäre, „die wachsende globale Erzählung umzukehren, dass die Ukraine den Krieg verlieren würde“, wie er schrieb.

Trump-Sieg verkehrt die Lage: Fraglich, was die Ukraine in Kursk jetzt noch erzwingen will

Nach dem Sieg des Republikaners Donald Trump zum 47. Präsidenten der USA ist diese These schlichtweg ausgehebelt. Putin hat jetzt wieder das politische Momentum für sich gewonnen. Angesichts dessen erscheint fraglich, was die Ukraine in Kursk jetzt noch erzwingen will. Jeder Meter für eine bessere Verhandlungsposition gegenüber Wladimir Putin? Der bisher mächtigste Unterstützer der Ukraine wird dem Land über kurz oder lang den Stecker ziehen. Selenskyjs Verhandlungsposition sei heute sicherlich stärker als vor dem Kursk-Einmarsch, hatte McFaul prognostiziert und die drohende politische Lage unterschätzt.

Newsweek schreibt über einen Bericht des unabhängigen russischen Magazins Verstka und dessen Bezug auf anonyme Quellen im Kreml, „denen zufolge Russland zumindest zu Gesprächen über eine Einfrierung des Konflikts bereit sei. Diese würden allerdings erst beginnen, wenn die ukrainischen Truppen aus Russland abgezogen seien“, so die Behauptung. Der russische Präsident Wladimir Putin betont immer wieder, eine Einigung über die Beendigung der Kämpfe sei lediglich über die derzeit festgelegten Frontlinien möglich. Für die Ukraine war das wiederum bisher keine Option.

Frieden scheint derzeit lediglich möglich über den Verlust ukrainischen Territoriums. Allerdings würde das bedeuten, auch die Nato müsste damit rechnen, mit diesem Schritt Putins Großmannssucht genährt zu haben und der nächsten ähnlichen Bewegung in Richtung Baltikum entgegensehen zu müssen.

Verluste legen offen: Auch die Ukraine hat inzwischen die Grenzen ihres Handelns erkannt

McFaul hat außerdem die eigene Lage der Ukraine überschätzt. „Wir haben die Situation, dass die Ukraine gerade versucht, händeringend noch einmal 160.000 Mann zu mobilisieren“, hat vor kurzem Markus Reisner gesagt. Der Oberst des Österreichischen Bundesheeres hatte im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr eine Lagebeurteilung abgeben; die fiel desaströs aus. Die 160.000 Soldaten, von denen er sprach, fehlen an den Fronten der Ostukraine; diese personellen Lücken werden durch die offensiven Aktionen der Ukraine bei Kursk nochmals verstärkt.

Reisner weist hin auf die demographische Delle an Menschen im Alter von knapp über 20 Jahren. Der Militärhistoriker sagt, die Ukraine würde sich schwertun, diese Männer für den Militärdienst zu ziehen, weil das die Menschen seien, die das Land wieder aufbauen sollten. Insofern stellt sich wieder die Frage, ob jeder Soldat, der in Kursk für einen Fußbreit russischen Bodens sein Leben riskiert, gut investiert ist von der ukrainischen Führung. „Wenn die Humanressource faktisch nicht mehr da ist – wie soll‘s dann weitergehen?“, fragt Reisner. „Auch die Ukraine hat inzwischen die Grenzen ihres Handelns erkannt.“

Selenskyj offensiv: Ukrainer sehen sich selbst als fähig, ihr eigenes Schicksal zu bestimmen

Die Grenzen des Handelns haben aber in Kursk die Grenzen des eigenen Territoriums überschritten. „Die Ukrainer sehen sich selbst als fähig, ihr eigenes Schicksal zu bestimmen, und nicht nur als Ziel unwiderstehlicher russischer Aggression und politischer Debatten im Westen darüber, ob die Ukraine weiterhin militärische und wirtschaftliche Hilfe erhalten sollten“, hatte Ende August John E. Herbst geschrieben. Dem Beobachter des US-Thinktank Atlantic Council schien mit der massiven Offensivbewegungen der Ukraine gen Russland nicht nur ein Tabu gebrochen, sondern damit ging offenbar auch eine kolossale Überschätzung der Gefahrenlage für Präsident Wladimir Putin einher.

Die französische Zeitung Le Monde bezeichnet den Ukraine-Krieg aktuell als nahezu verloren – gerade im Hinblick auf die Situation rund um Kursk. „Die Hoffnungen der Ukraine nach drei Monaten eines Einfalls in Russland, der den Kriegsverlauf hätte ändern sollen, wurden enttäuscht“, schreibt das Blatt. Deren Vor-Ort-Korrespondenten Jacques Follorou, Thomas d‘Istria und Faustine Vincent hatten drei Monate nach dem Überraschungsangriff Offiziere, Soldaten und Zivilisten befragt und gemischte Gefühle über die Ergebnisse dieser Strategie gespürt.

„Nur 56 Prozent der Ziele wurden erreicht, die Russen haben schnell reagiert, sie verlassen sich auf Verstärkungen, die wir nicht haben, und benutzen ihre Soldaten als Kanonenfutter“, sagte ein Bataillonsführer der 17. Panzerbrigade im Grenzdorf Junakiwka den französischen Reportern. Dieser Einmarsch in Russland habe die Moral des ukrainischen Volkes gehoben und dem Land den Respekt seiner Verbündeten eingebracht – militärisch war der Verlauf der Operation jedoch scheinbar kläglich.

Interessant ist, dass die Quelle von Le Monde darlegt, dass die Russen von dem Einmarsch offenbar weniger überrascht war, als die Welt glauben wollte. Rund um die Stadt Ljubimowka seien von den Russen zurückgelassene Dokumente und Ausrüstungen inspiziert worden, dabei sei wohl herausgekommen, dass die Russen über die Manöver ihrer Angreifer gut im Bilde sind.

Die Quelle beklagte auch den Kampf um knappe Ressourcen: „Wo wir eine Abteilung stationieren, postieren sie eine Kompanie; wo wir einfache Unterstände graben, bauen sie Befestigungen, die eines Bataillonshauptquartiers würdig wären.“

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