Neue Bahn-Strecke ist "Symbol dafür, was in Deutschland falsch läuft"
Unmut gehört bei der Deutschen Bahn wahrscheinlich zum Tagesgeschäft. Unpünktliche Züge, technische Probleme, durcheinandergeratene Reisepläne - alles nichts Neues. Jetzt gibt es Ärger an anderer Stelle. Konkret geht es um die ICE-Trasse Wendlingen-Ulm.
Die rund 60 Kilometer lange Strecke ist seit dem 11. Dezember 2022 in Betrieb und verkürzt die ICE-Fahrtzeit zwischen Stuttgart und München um 20 Minuten. Trotzdem wird sie nicht so genutzt wie ursprünglich geplant.
Eigentlich sollten nämlich 17 Güterzüge pro Tag über die Gleise rollen, um die Trasse rentabel zu machen. Nur unter dieser Prämisse konnte die Finanzierungsvereinbarung von 2009 überhaupt unterzeichnet werden.
Deutsche Bahn beruft sich auf "leichte" Güterzüge
Umso bitterer, was jetzt bekannt wurde. Denn bisher ist offenbar nur ein einziger Güterzug über die Neubaustrecke gefahren. Das geht aus einem Bericht des SWR hervor. Der Sender fragte bei der Deutschen Bahn auch nach den Gründen.
"Weitere Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) haben bisher keine Leistungen bestellt", antwortete ein DB-Sprecher. Er betonte auch, dass die Neubaustrecke nur von Güterzügen mit einem Maximalgewicht von bis zu 1000 Tonnen befahren werden kann.
Arno Luik, ein Journalist, der sich seit Jahren intensiv mit der Deutschen Bahn beschäftigt und mit "Schaden in der Oberleitung" einen Bestseller über deren desolaten Zustand geschrieben hat, ist ernüchtert. Er hält die Schnellfahrstrecke Wendlingen-Ulm für "unökonomisch, unökologisch und verkehrlich unnötig".
ICE-Trasse: "Sie ist ein Symbol dafür, was in Deutschland falsch läuft"
Sie sei "ein Symbol dafür, was in Deutschland falsch läuft. Für immer ein Mahnmal des Größenwahns", sagt er zu FOCUS online und verweist darauf, wie teuer das Projekt war. Denn: Gekostet hat es rund vier Milliarden Euro. Die "Bild"-Zeitung betitelt die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm nicht umsonst als "Milliarden-Flop".
Kritik an der Trasse, die vom Bund finanziert wurde, kommt auch aus der Politik. "Ich habe miterlebt, wie die Strecke im Bundestag schöngerechnet wurde", sagte der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne).
"Leichte" Güterzüge, mit denen die Bahn argumentiert, gibt es in seinen Augen nicht "und wird es wahrscheinlich auch nicht geben". Luik schlägt in die gleiche Kerbe. Übliche Güterzüge seien 2000 Tonnen schwer, sagt er. Die "leichten" Exemplare sind laut dem Journalisten "Geisterzüge", die nichts mit der Bahnwirklichkeit zu tun haben.
Neubautrassen als "konstanter Wirtschaftsbetrug"
"Keiner hat in der Praxis je einen gesehen." Und das hat Luik zufolge gute Gründe: "Sie sind unwirtschaftlich. Ein kurzer 600-Tonnen-Güterzug wiegt leer samt Lok schon fast 300 Tonnen, kann also nur eine Last von 300 Tonnen transportieren. So wird Fracht in diesen Zügen unverhältnismäßig teuer, vor allem im Vergleich mit Lastwagen."
Der Bahn-Kritiker findet auch, dass Neubautrassen wie die zwischen Wendlingen und Ulm "ein sich regelmäßig wiederholender Wirtschaftsbetrug" sind. Bei „sämtlichen Großprojekten der Bahn wie etwa den Schnelltrassen geht man nach dem gleichen Muster vor: Das ökonomisch Fragwürdige wird systematisch schöngerechnet – häufig mit der Belegung der Trassen mit Güterzügen. Die dann nie fahren, allenfalls selten."

Die Strecke Wendlingen-Ulm ist in den Augen des Journalisten beispielhaft für das unverantwortliche Agieren der Bahn. Auch da sei mit Güterzügen gerechnet worden, um sie wirtschaftlich rechtfertigen zu können – gegen besseres Wissen.
"Diese Strecke ist so steil, dass kein Güterzug hochkommt. Auch der TGV, der als eine wichtige Begründung für den Bau der Strecke galt, hat bisher keine Zulassung zum Befahren. Das gilt auch für österreichische Züge wie den Railjet." Luiks Fazit: "Diese Strecke ist so, als ob der Bund Autobahnen nur für Autos von Porsche bauen würde."
Luik glaubt, verstörende Gesetzmäßigkeit gefunden zu haben
Der Journalist weiß, wovon der spricht. Er gilt inzwischen als Deutschlands bekanntester Bahn-Kritiker. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich Luik vor allem mit den Großprojekten der Bahn.
Er glaubt, eine verstörende Gesetzmäßigkeit herausgefunden zu haben: "Es wird für extrem viel Geld fast immer das Falsche gebaut." Für Insider sei es frustrierend, den ökonomischen und ökologischen Unsinn vieler Bahnprojekte zu ertragen.
Klar ist: Von einem Scheitern des Wendlingen-Ulm-Projekts will aktuell keiner der Verantwortlichen sprechen. Vielleicht auch, weil die Neubaustrecke ihre volle Kapazität laut "Bild"-Zeitung erst erreicht, wenn der neue Stuttgarter Hauptbahnhof seine Türen öffnet. Also voraussichtlich im Dezember 2026.
Luik: "Diese Trasse wird nie ökonomisch werden"
Luiks Position ist dagegen eindeutig. "Diese Trasse wird nie ökonomisch werden. Für immer wird sie von zu wenigen Zügen benutzt werden", sagt er. Damit meint er nicht nur den Güterverkehr. Sondern auch normale Reisende.
"Es gibt viel billigere Alternativstrecken – egal, ob man aus Paris kommt, aus Frankfurt. Zwischen Stuttgart und München gibt es nur zwei Großstädte, Ulm und Augsburg: Für immer also viel zu wenig Reisende, die diesen Megabau benötigen."