Krankenkassen fordern Geld für Bürgergeld-Empfänger zurück: „Beitragszahler um 9 Milliarden Euro entlasten“
Der Dachverband der BKK-Krankenkassen geht im Sommer mit einer neuen Kampagne an den Start. Damit soll die Bevölkerung über die finanzielle Not der gesetzlichen Krankenkassen informiert werden.
Berlin – Die gesetzlichen Krankenkassen beklagen schon seit Jahren einen immer größer werdenden Druck. Während die Ausgaben immer weiter steigen – und im Zuge der alternden Bevölkerung keine Trendwende in Sicht ist – kommen die Einnahmen nicht mehr hinterher. Im Jahr 2023 betrug das Defizit der gesetzlichen Krankenkassen 1,9 Milliarden Euro. Wie das Gesundheitsministerium im Frühjahr mitteilte, befinden sich alle Krankenkassenarten (Betriebskassen, Innungskassen, Ortskrankenkassen etc.) mittlerweile im Minus. Aus diesem Grund sehen sich die Krankenkassen gezwungen, ihre Beitragssätze zu erhöhen.
Die Tendenz zu immer weiter steigenden Beiträgen wird nach Angaben des BKK Dachverbands auch ungebrochen sein, wenn die Bundesregierung nicht nachsteuert. Mit einer neuen Informationskampagne, die am Dienstag (30. Juli) an den Start geht, will sie die Bevölkerung über die finanzielle Notlage der gesetzlichen Kassen in Kenntnis setzen – und aufklären, mit welchen Maßnahmen die Ampel dagegen steuern könnte.
Krankenkassen müssen Beiträge immer weiter erhöhen
„Dieses permanente Schröpfen der Versichertengemeinschaft muss endlich aufhören, und der Staat muss seinen Pflichten nachkommen“, sagt die Vorständin des BKK Dachverbands, Anne-Kathrin Klemm zum Start der neuen Kampagne, die mit dem Hashtag #WasFehltZahlstDU laufen soll. „Die finanzielle Notlage der GKV betrifft fast 90 Prozent der Bevölkerung. Und die Lage spitzt sich weiter zu“, so Klemm.
In Deutschland beträgt der allgemeine Beitragssatz aller gesetzlichen Krankenkassen 2024 14,6 Prozent. Darüber hinaus gibt es dann noch einen Zusatzbeitrag, den jede gesetzliche Kasse individuell festlegt. Im Schnitt beträgt dieser momentan 1,7 Prozent. Im Schnitt zahlen gesetzlich Versicherte also 16,3 Prozent ihres Bruttolohns für die Krankenversicherung. Von den 68 gesetzlichen Krankenkassen sahen sich bisher 46 in diesem Jahr gezwungen, den Beitragssatz zu erhöhen. Das berichtet Stiftung Warentest. Demnach haben 23 Kassen den Beitragssatz stabil gehalten, drei Kassen haben den Satz herabgesenkt.
Nach Berechnungen der Krankenkassen werden die Beiträge aber auch nach diesem Jahr erneut steigen müssen. In einer Ende April vorgestellten Studie der DAK wurde errechnet, dass ohne Stabilisierungsmaßnahmen die Krankenkassenbeiträge bis 2035 auf bis zu 20,6 Prozent steigen müssten. Dazu kommen noch steigende Beiträge für die Rentenversicherung (bis 22,3 Prozent in 2035) sowie höhere Pflegebeiträge (4,7 Prozent bis 2035). Damit sei der Studie zufolge ein Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz von 51,2 Prozent in den nächsten zehn Jahren erreicht.
Ampel soll Geld für Bürgergeld-Empfänger an die Krankenkassen zurückzahlen
„Mit jedem Prozentpunkt, um den der Beitragssatz steigt, müssen die Arbeitgeber hierzulande derzeit rund 15 Cent pro Arbeitsstunde mehr an die Krankenkasse des Arbeitnehmers abführen. Bei rund 62 Milliarden geleisteten Arbeitsstunden in Deutschland im Jahr 2023 kommt da einiges zusammen: insgesamt etwa 9,3 Milliarden Euro. Das ist ein weiteres Puzzlestück, warum die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Vergleich zu anderen großen Exportnationen weiter unter Druck gerät“, erklärt Klemm in der neuen Mitteilung. Dabei gebe es Mittel und Wege, um die Finanzen der GKV kurzfristig aufzubessern.
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So soll die Ampel-Regierung nach dem Willen der Krankenkassen die Bürgergeld-Lücke schließen. Denn wer Bürgergeld empfängt, bleibt bei seiner bisherigen Krankenkasse weiter versichert – der Staat zahlt die Kosten. Dafür wird eine Pauschale an die Krankenkassen pro Bürgergeldempfänger überwiesen. Diese Beitragspauschale liegt nach Angaben der Krankenkassen aber schon seit 2016 unter den tatsächlichen Kosten, die die Kassen tragen müssen. Nach Berechnungen der Kassen fehlen pro Jahr über neun Milliarden Euro, die der Staat eigentlich der gesetzlichen Krankenkasse schuldet.
„Die im Koalitionsvertrag versprochenen Finanzmittel für Bürgergeldbeziehende müssen endlich kommen. Das würde die Beitragszahler auf einen Schlag um rund 9 Milliarden Euro entlasten. Das sind satte 0,5 Beitragssatzpunkte“, erklärt nun auch BKK-Vorständin Klemm.
Krankenkassen schießen gegen Krankenhausreform von Karl Lauterbach
Weiter kritisiert Klemm wie schon vielfach zuvor die geplante Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Um die Kliniken im Land finanziell auf solidere Beine zu stellen, soll ein Transformationsfonds à 50 Milliarden Euro über zehn Jahre aufgebaut werden. Dieser Fonds soll zur Hälfte von den Ländern finanziert werden; zur Hälfte jedoch von den gesetzlichen Krankenkassen – die wiederum bereits angekündigt haben, Beiträge weiter zu erhöhen, wenn sie diese Kosten tragen müssen. Des Weiteren ist auch schon die Frage in den Raum gestellt worden, ob diese Finanzierungsform überhaupt verfassungskonform ist, da die Privatversicherungen nicht an den Kosten beteiligt werden – Privatversicherte aber von der Reform genauso profitieren würden, wie gesetzlich Versicherte.
Nach Ansicht der Kassen müsste der Bund ihre Hälfte für die Krankenhausreform tragen. Allerdings geht das erneut an den Kern der Probleme: die knappe Haushaltslage. Die Ampel-Koalition hat es nach langem Ringen geschafft, einen Haushaltsentwurf für 2025 auf den Weg zu bringen. Noch immer fehlen darin aber mindestens acht Milliarden Euro, die die Regierung mit Tricks beschaffen will. Deren Verfassungsmäßigkeit muss aber noch geprüft werden. Entsprechend unwahrscheinlich ist es, dass die Forderungen der Kassen jetzt bei der Ampel noch Gehör finden.