Bilderbuch-Viehscheid in Wengen: So hat Älplerfamilie Dornach ihren ersten Bergsommer erlebt

  1. Startseite
  2. Bayern
  3. Augsburg & Schwaben
  4. Kreisbote Kempten

Kommentare

Schwerstarbeit: Beim Einfangen und Trennen der Tiere geht‘s zu wie beim Rodeo. © Bäucker

Die Alpe Wenger Egg hat heuer neue Bewirtschafter gehabt. Der Kreisbote hat sie am letzten Tag auf 1.056 Metern Höhe und beim Viehscheid begleitet.

Wengen – Nach Thomas Osterrieder und Ramona Steidle übernahm die Familie Dornach aus Kenels (Buchenberg) die nördlichste Alp des Allgäus.

Luggi ist klatschnass, Elena wischt sich den Schweiß von der Stirn, ihre Buben Felix und Hannes sind fix und foxi, selbst Schäferhündin Kira mag nicht mehr hin- und herrennen: „Wir haben es geschafft“, jubelt die Familie Dornach, „das erste Mal die Schumpen gesömmert und wieder heil ins Tal gebracht, es ist einfach großartig!“ Die Buchenberger feiern ihre Premiere: Ihr erster Bergsommer auf dem Wenger Egg ist erfolgreich zu Ende gegangen. 126 Jungrinder von 18 Bauern waren viereinhalb Monate lang in der Sommerfrische auf 1.050 Metern Höhe: „Dia sind jetzt fit und g’sond wia no nia“, stellt Luggi, der Alphirte nüchtern fest.

Alltag auf der Alpe Wenger Egg

Im April hat er den Hof in Buchenberg zugesperrt und ist mit Elena, den vier Kindern, Hündin Kira und zwei Eseln auf die Alp gezogen, hoch droben zwischen Weiden und Wäldern, weit weg vom Alltag: „Wir haben schon immer davon geträumt“, erzählt Elena beim Kuchenbacken in der riesigen Alpküche unter der niedrigen Zimmerdecke. „Unser Traum ist wahr geworden!“ Sie rührt den Teig an für ihren weithin beliebten Mandarinenkuchen mit Schmand. Den reißen ihr die vielen Wanderer und Radler an schönen Tagen regelrecht aus der Hand.

Luggi bereitet derweil die Brotzeitteller vor, die Söhne haben schulfrei, am Tag vor dem Alpabtrieb, da wird jede Hand gebraucht, die Tochter sitzt noch in Buchenberg in der Grundschule. Die Jungrinder drängeln sich draußen in der Sonne um die Tränke, ihr aufgeregtes Schellenbimmeln zeigt an, dass sie schon ahnen, was ihnen bevorsteht. Schluss mit Sommer, Ende der tierischen Freiheit auf saftigen Wiesen mit würzigen Kräutern, es geht heim in den Stall, einen Winter lang.

Elena (38) und Luggi (49) bewirtschaften die Alp im Auftrag der Weide- und Waldgenossenschaft Wengen. Sie haben Erfahrung im Umgang mit Rindern. Erst im Winter haben sie ihre Milchviehwirtschaft mit rund 25 Kühen aufgegeben, zu viel Bürokratie, zu wenig Ertrag, erklärt Ludwig Dornach trocken.

Hannes (12) hat eine ganz besondere, unverzichtbare Begabung

Der Mann mit dem Bilderbuchvollbart arbeitet im Winter als Forstwirt in den Allgäuer Wäldern, seine Frau führt die Geschäfte des „Allgäuer Alpgenuss e. V.“, einer Vereinigung nachhaltig regional orientierter Alpen. Felix (14) und Hannes (12) besuchen das Hildegardis-Gymnasium in Kempten, da führt der Schulweg schon mal über das vier Kilometer lange Bergsträßchen oder direkt auf einem steilen Wurzelpfad durch den Wald: „Ich bin in 27 Minuten oben“, grinst Hannes, eine ideale Trainingseinheit für den Jungen, der als großes Talent in der Nordischen Kombination gilt. Außerdem hat er eine phänomenale Eigenschaft: „Der Hannes kennt alle Schumpen und weiß, wer welchem Bauern gehört“, freut sich Vater Luggi.

Und das zahlt sich aus, beim Vieh-Scheiden unten im Wengener Tal. 126 aufgeregte, wilde, ängstliche und ungestüme Tiere müssen gezähmt und in die wartenden Anhänger ihrer Besitzer verfrachtet werden. Es geht zu wie beim Rodeo, nur ohne Pferde und ohne Lasso. Ohrenbetäubend das Läuten der riesigen Schellen, das Brüllen der Rinder. Die Septembersonne knallt auf den Scheidplatz, auf dem kräftige Mannsbilder mit Bärten, Gamsbart-verzierten Filzhüten und langen Stangen versuchen, die Schumpen in den Griff zu kriegen.

Mitten im Getümmel aus Beinen, Lederhosen und umherfliegenden Grasbüscheln

Das ist körperliche Schwerstarbeit, der Schweiß fließt in Strömen, manchmal müssen die Treiber in den Infight gehen, ringen mit den mehrere hundert Kilo schweren Leibern. Der zwölfjährige Hannes ist auf einen Zaun geklettert, ruft den Männern Nummern und Namen zu, fuchtelt mal wild mit den Händen – „Noi, dia itt! Des isch die Falsch‘!“ – oder springt mitten hinein ins Getümmel aus Beinen, Lederhosen und umherfliegenden Grasbüscheln. Am Ende des Tages sind alle Sommerfrischler geschieden und abtransportiert und die Treiber erledigt, aber unendlich glücklich.

Alphirtin Elena freut sich dann auf den Abend in der Dorfhalle von Wengen: „Heut ist mein erster freier Tag seit dem 1. Mai, da will ich tanzen!“ Luggi lächelt etwas müde: „S’ war a Super-Sommer für uns, da oben, ohne Fernseher, ohne Verkehrslärm, wunderbar.“ Und Elena ergänzt: „Ein Sommertraum!“ Schade nur, dass bisher Unbekannte einen ihrer Esel gestohlen haben: „Den vermissen wir sehr, vielleicht bringen ihn die Diebe doch noch zurück“, hofft die Alphirtin vom Wenger Egg.

Feste, Konzerte, Ausstellungen: Was man in Kempten und Umgebung unternehmen kann, lesen Sie im Veranstaltungskalender.

Mit dem Kreisbote-Newsletter täglich zum Feierabend oder mit der neuen „Kreisbote“-App immer aktuell über die wichtigsten Geschichten informiert.

Auch interessant

Kommentare