Ukrainische Hinterhalt-Drohne wird für Russland zum Albtraum
Die Gefahr lauert jetzt am Straßenrand und springt einen wie aus dem Nichts an: Mit Hinterhalt-Drohnen will die Ukraine wohl Putins Logistik kappen.
Kiew – „Die taktische Technik basiert auf der Landung und Einnahme einer versteckten Position durch die FPV-Drohne (First Person View) in der Nähe von stark befahrenen Straßen, Kreuzungen und Orten, an denen sich Ausrüstung und Personal ansammeln können, mit dem anschließenden plötzlichen Angriff auf das Ziel“ – das steht in einem Handbuch von Wladimir Putins Invasionstruppen, das ein Sicherheitsmitarbeiter aus dem britischen Parlament übersetzt haben will. Laut Curtis C., wie er sich auf seinem LinkedIn-Profil nennt, verfolge die Ukraine im Drohnenkrieg offenbar eine neue Taktik, die von Russland ausbaldowert worden sein soll.
Sie greift wohl mit ihren Drohnen künftig auch hinter den feindlichen Linien an. Was vorher als „loitering munition“ bezeichnet wurde, weil sie in der Luft herumlungerte und darauf wartete herabzustürzen, funktioniert jetzt umgekehrt: „Russische Pop-Up-Hinterhaltdrohnen-Taktik könnte die Kriegsführung verändern“, hat deshalb das Magazin Forbes Ende vergangenen Jahres jubiliert. Jetzt berichtet Forbes-Autor David Hambling darüber, dass offenbar die Ukraine mit dieser Taktik tatsächlich punktet; seine Quellen sind Videos, die von der Ukraine in sozialen Medien veröffentlicht worden sind. Eines davon soll zeigen, wie Sergej Melnikow in seinem Auto von einer hoch hüpfenden Drohne getötet wurde – ob der Stabschef des russischen Sturm-Ossetien-Bataillons in Saporischschja wirklich Opfer einer Hinterhalt-Drohne geworden war, will aber auch Hambling nicht als Gewissheit verkaufen.
Neue Taktik der Ukraine: mittels plötzlicher Hinterhalte durch FPV-Drohnen, die auf der Lauer liegen
Ziele dieser neuen Waffen könnten offenbar vielmehr russische Versorgungslinien sein; die Ukraine versucht damit also möglicherweise den russischen Nachschub zu kappen – mittels „plötzlicher Hinterhalte durch FPV-Drohnen, die auf dem Boden landen und auf der Lauer liegen, bis sich ein Ziel nähert“, wie Hambling schreibt. Diese Hinterhalte seien überall möglich, unabhängig von Tag und Nacht; auch emittiere die Hinterhalt-Drohne keine Funksignale, solange sie lauere, bliebe sie also quasi unsichtbar bis sie zuschlage, so Hambling.
„Es ist auch hier wieder ein Katz-und-Maus-Spiel der Innovation, aber die Ukraine hat gute Fortschritte gemacht.“
Auch in der Automatisierung des Ukraine-Krieges hat sich beinahe ein Patt ergeben – im Wettlauf der Ingenieure liegen beide Seiten nahezu gleichauf und egalisieren zügig den Vorsprung des jeweils anderen. Die Ukraine führt Russland vor mit ihrer Drohnentechnik, Russland gewinnt Tag für Tag die Hoheit über den Äther aufgrund der ausgefeilten elektronischen Kriegführung, also dem Stören von Signalen, beispielsweise dem Unterbrechen von GPS-Daten – die ukrainischen Drohnen verlieren dadurch die Orientierung. Oder kehren schlimmstenfalls zu ihrem Piloten zurück. Darüber hinaus war die Ukraine sehr fortschrittlich in der Auswertung von Geodaten. Allerdings werde das zusehends wirkungslos, wenn die gesteuerten Waffen durch Störsender in die Irre geleitet würden.
Ein weiter Grund der neuen Idee mag in den begrenzten Batteriekapazitäten der Drohnen liegen. Der Hinterhalt erweitert das zeitliche Fenster für einen Angriff deutlich. Wie in der Anleitung beschrieben, würden für den Hinterhalt zwei Drohnen eingesetzt –eine Führungs- sowie eine Angriffsdrohne. Die FPV-Angriffsdrohne würde inaktiv in der Nähe eines erwarteten Feindkontakts lauern. Die Führungsdrohne würde das Gebiet überwachen und vorrückende Fahrzeuge signalisieren; sie bildete auch die Kommunikations-Schnittstelle zur Angriffsdrohne. Aufklärungsdrohnen mit Starrflügeln haben eine deutlich längere Flugzeit, Hinterhalt-Drohnen sind eher als Quadrocopter geplant und können theoretisch endlos liegen wie eine Mine.
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Putins neuer Gegner: Sie würde erst zuschlagen, wenn ihr signalisiert würde, dass sich das Ziel nähere
Sie würden erst abheben und zuschlagen, wenn ihnen signalisiert würde, dass sich das Ziel nähere – die Entfernung spiele dann eine untergeordnete Rolle. „Normale FPV-Angriffe können durch die Video- und Steuersignale aus einiger Entfernung erkannt werden, sodass die Ziele die Möglichkeit haben zu fliehen oder in Deckung zu gehen – Drohnendetektoren gelten heute als unverzichtbare Ausrüstung –, aber die Angriffe aus dem Hinterhalt können nur wenige Sekunden Vorwarnung geben“, schreibt Hambling.
Möglicherweise ist die Logistik Russlands weiche Flanke, die die Ukraine bisher mit ihren Mitteln nur schwer bekämpfen konnte; beziehungsweise war sie immer nur auf Luftangriffe auf Depots beschränkt; und die liegen weitab der Front. Die Versorgung in ihrer mobilen Form zu stören, könnte ein weiterer Nadelstich gegen Russland werden – wenn nicht gar ein entscheidender.
Den Russen seien zu Beginn ihres Feldzugs zur schnellen Eroberung von Gebieten die lebenswichtigen Vorräte ausgegangen, aber dieser Mangel schien größtenteils darauf zurückzuführen zu sein, dass der Widerstand, auf den sie stießen, schlicht unterschätzt wurde. Russland hatte nicht für ausreichende Kapazitäten gesorgt, weil sie diese für unnötig hielten, schreiben beispielsweise Bradley Martin, Sean Barnett und Devin McCarthy vom US-Thinktank RAND. Und außerdem ist Russland ein Land, das mittels der Eisenbahn versorgt wird, den Russen fehlten auch schlichtweg die Lastwagenkapazitäten.
Russlands Schwäche: Unfähigkeit, die Grundversorgung zu gewährleisten, hat zu Misserfolgen geführt
Mit den neuen Möglichkeiten, sollten sie denn praxistauglich sein, könnte die Ukraine Bahntrassen spicken und mittels eines minimalen Aufwandes und weniger Drohnen Fallen legen, bevor der Feind etwas merkt, beispielsweise auch nahe an Eingängen von Kommandoposten. Gleichermaßen gilt das für Straßenzüge – die Hinterhalt-Drohnen könnten in der Nacht anfliegen und würden am Tage angreifen.
Die RAND-Analysten halten die Bodentransportmöglichkeiten der russischen Armee ohnehin für stark unterdimensioniert. Dazu kam, dass mit der Zeit zwar mehr Lkw nachgezogen wurden, die aber für Drohnen auch ein leichtes Ziel boten – was ein weiteres Puzzle-Teil bietet zur Erklärung, warum eine der größten Armeen der Welt gegen den militärischen Zwerg Ukraine kaum ankommen kann. „Bis zu einem gewissen Grad hat die Unfähigkeit, auch nur die Grundversorgung zu gewährleisten, zu Misserfolgen auf dem Schlachtfeld geführt“, schreiben die Analysten.
Die Grundversorgung betrifft auch die Munition, wie Forbes-Autor David Axe erläutert hat. Das Auffüllen eines Mehrfachraketenwerfers beansprucht die gesamte Ladefläche eines Lkw. Größere Armee-Einheiten könnten bis über zu 90 Mehrfachraketenwerfer verfügen. Würde jetzt lediglich eine Einheit eine Salve abfeuern, dann benötigte sie auch 90 Lastwagen, um für die zweite und jede weitere Salve nachzuladen. Und das an fast jedem Tag. Mehrmals. Axe hat eingangs des Krieges geschrieben, dass Russlands Armee über rund 4000 Lastwagen verfügte. Insofern schwächt der Verlust eines jeden Lastwagens –zumal die Ukraine mit ihren Drohnen damit sehr günstige Hinterhalte legen könnte.
Neue Verluste drohen: Eine dieser Drohnen hat auf einem Panzerturm gewartet, bis die Luke geöffnet wurde
Anders als Minen, sind die Hinterhalt-Drohnen auch über dem Boden einsetzbar und damit leichter zu verstecken. Die Qudrocopter könnten aus Ruinen starten, von Felsvorsprüngen, sie könnten in Hauseingängen lauern oder von Wracks am Straßenrand lauern. Forbes berichtet auch davon, dass eine dieser Drohnen auf einem Panzerturm gewartet hatte, bis die Luke geöffnet wurde.
„Es ist auch hier wieder ein Katz-und-Maus-Spiel der Innovation, aber die Ukraine hat gute Fortschritte gemacht“, sagt Fabian Hinz. Der unabhängige deutsche Analyst hat jüngst gegenüber der Tagesschau betont, dass die Ukraine quasi zur Innovation gezwungen sei, weil die Drohnen ihr Rekrutierungsproblem zumindest verringern helfen. Möglicherweise wäre der nächste Schritt, dass Führungs- und Aufklärungsdrohnen mittels Künstlicher Intelligenz mehrere Angriffs-Drohnen steuern würden, sich also auch die Zahl der Drohnen-Piloten drastisch reduzieren könnte.
Selenskyjs neue Taktik: Russen dürften sich auch nichts ihres Lebens nicht mehr sicher sein
Auch Forbes-Autor David Hambling rechnet damit, dass die Drohnen von Generation zu Generation über mehr Autonomie verfügen würden, weil die Künstliche Intelligenz den Piloten Aufgaben abnehme. Ihm zufolge könnten die Drohnen mittels akustischer, seismischer, magnetischer oder anderer Sensoren Ziele entdecken oder aktiviert werden. Oder sie würden sogar aufgrund akustischer Störsignale anspringen. Die Ukraine muss sich aber etwas einfallen lassen – ständig, wie Max Makarchuk gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters darstellt.
Die Trefferquote der pilotengesteuerten Drohnen sinke bedrohlich: Die meisten FPV-Einheiten erzielten ihm zufolge eine Trefferquote von 30 bis 50 Prozent, während Pilotenanfängern durchaus lediglich eine Trefferquote von mitunter nur zehn Prozent gelänge, sagt der KI-Leiter des regierungsnahen ukrainischen Drohnenclusters „Brave1“. Makarchuk erwartet von KI-gesteuerten Drohnen wieder eine Trefferwahrscheinlichkeit von rund 80 Prozent. Das könnte auch durch die Hinterhalt-Drohnen zu erreichen sein.
Laut der Übersetzung von Curtis C. dürften sich die Russen auch ihres Lebens nicht mehr sicher sein, wenn der Verfasser nicht übertrieben hat, denn: „Nachts sind Angriffe auf die Scheinwerfer fahrender Fahrzeuge oder der Einsatz einer FPV-Drohne mit Wärmebildkamera möglich.“