So war das Azubi-Leben vor mehr als 150 Jahren: Berichte aus Dienstbotenbüchern
Körperliche Züchtigung und Zwangsarbeiterhaus für Lehrlinge, die nicht gehört haben oder Berufsschule am Sonntag. Vor 150 Jahren sah das Azubi-Leben noch ganz anders aus. Dienstbotenbücher aus dem Archiv des Kloster Schäftlarn berichten vom damaligen Alltag.
Der heutige 2. September ist für viele ehemalige Schüler der Beginn eines neuen Lebensabschnittes. Statt die Schulbank zu drücken, heißt es nun in Geschäften, Büros oder Unternehmen einen Beruf zu erlernen. Ein Vertrag regelt die Urlaubsdauer ebenso wie die Rechte und Pflichten des Auszubildenden und seines Lehrherrn. Vor mehr als 150 Jahren war dies ähnlich – und doch mit heute nicht zu vergleichen.
Bei Pater Norbert Piller, Prior und Archivar des Kloster Schäftlarns, befinden sich zwei der damals üblichen Dienstbücher, die Landarbeiter und Dienstboten zu Beginn ihres Arbeitslebens ausgehändigt bekamen. Eines stammt aus dem Jahre 1861 und gehörte der 16-jährigen Ursula Popp, die sich am 2. September, also zu Lichtmess, als „Hausmädel“ in Landshut verdingte.
Strafen: körperliche Züchtigung und Zwangsarbeiterhaus
Die erste Seite ist dem Aussehen der jungen Frau gewidmet. Das Angesicht sei voll gewesen, die Augen werden als grün und die Augenbrauen als braun beschrieben. Sie sei von „mittlerer Größe“ gewesen und sprach bayrisch. Die nächsten 18 Seiten listen „im Namen seiner Majestät des Königs“ die genauen Pflichten, und bei Nichteinhaltung, die möglichen Strafen auf. „Da noch immer Beschwerden über die Zügellosigkeit besonders bei landwirtschaftlichen Dienstboten sich ergeben und die meisten dieser Beschwerden nur zu begründet sind“, erklärt der Vorspann, „so findet sich die unterfertigte Stelle veranlasst, die nachstehenden Bestimmungen der Dienstbotenordnung vom 2. Mai 1781 zur genauesten Befolgung in Erinnerung zu rufen.“

Die wiederum waren nicht ohne: Ein Dienstbote hatte sich „gemäß seiner Schuldigkeit ehrlich, gehorsam, treu und fleißig aufzuführen“. Entsprach er dem nicht – beispielsweise, um vor Ablauf des Jahres entlassen zu werden – musste er mit „längerem Arrest, körperlicher Züchtigung und, je nach Umständen, mit Einweisung in ein Zwangsarbeiterhaus“ rechnen. Dienstboten, die „ohne Vorwissen ihres Herren“ einfach „entwichen“, konnten verhaftet und zu einer Geldstrafe von sechs Reichstalern verurteilt werden – und mussten überdies ihre alte Stelle wieder antreten. Generell bedurfte es der Erlaubnis des Dienstherren, an Sonn- und Feiertagen auszugehen. Durften sie, hatten sie sich allerdings von Wirtshäusern und Tanzlokalen fernzuhalten. Immerhin: Sollte einer der damals in Dienst genommenen dabei erwischt werden, wie er ein Tier quälte, war dies „der Polizeibehörde anzuzeigen“ und der Dienstherr wurde angehalten, „ernstgemessen einzuschreiten“.
Die nächsten Seiten sind einer jährlichen Beurteilung vorbehalten. „Mit welchem Fleiße, Treue und Ausführung gedient?“ heißt es für die Dienstherren kurz und bündig zu beantworten. Ursula Popp war fleißig. Im Laufe der Jahre arbeitete sie sich in Anstellungen in Landshut, Passau und München bis zur Köchin hoch. Der letzte Eintrag stammt vom 4. Mai 1905, Ursula Popp, mittlerweile 64 Jahre alt, arbeitete bei einer Dame, die sich selbst als „Privatiere“ bezeichnet. Sie lobte Popp als „hervorragende“ Kraft ihres Haushalts. Jede Beurteilung musste von der Gemeinde, der Magistratur oder der zuständigen Polizeibehörde abgestempelt werden.
Das zweite Dienstbotenbuch stammt aus dem Jahre 1889. Der Berger Johann Bauer hatte dafür eine Gebühr von 50 Pfennig zu entrichten. Gerade einmal 15 Jahre war er alt, als er in der Landwirtschaft eine Anstellung fand. Kein Wunder, das bei Größe „im Wachstum“ vermerkt war. Ob der blonde Junge Schreiben konnte oder nicht, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Jedenfalls ist die Zeile „Handschrift des Inhabers“ nicht ausgefüllt.
Dienstherr musste erlauben, am Sonntag auszugehen
Immerhin beschränken sich die „Vorschriften und Belehrungen“ rund 30 Jahre später gleichermaßen auf den Inhaber des Buches und seinen Dienstherrn. Und: Es machten sich erste Anzeichen des Arbeitsrechts bemerkbar: „Mit Haft bis zu acht Tagen oder an Geld bis zu 15 Thalern werden Dienstherrschaften und Dienstboten bestraft, welche bei Eingehung eines Dienstvertrages unsittliche Bedingungen schließen.“ Die gleiche Strafe droht beiden Seiten bei Schwarzarbeit.
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Strenger geworden war indes die Strafe für landwirtschaftliche Dienstboten, die ohne ausreichenden Grund zur Erntezeit fehlen: Ihnen droht eine Haft bis zu zwei Wochen. Überhaupt war die Arrestzelle eine sehr gängige Bestrafung. Schulschwänzer der Sonntagsschule mussten bis zu drei Tagen absitzen, wer sich weigerte, an abgeschafften Feiertagen zu arbeiten, bekam acht Tage Arrest aufgebrummt. „Der Dienstbote soll einen geordneten, religiösen und gesetzlichen Lebenswandel pflegen, sich an Sparsamkeit gewöhnen und sich bemühen, recht lange bei seiner Dienstherrschaft zu verbleiben“. Besonderen Wert hatte das Dienstbotenbuch. Es darf auf keinen Fall etwas „radiert, ausgestrichen, abgeändert, herausgeschnitten oder -gerissen“ werden. Der Diebstahl und Gebrauch eines fremden Dienstbotenbuches wurde mit „50 Thalern gestraft“.
Bauer hatte alles richtig gemacht. Vier Jahre blieb er in Traubling, wechselte dann nach Feldafing und später Percha, ehe er im Kloster Schäftlarn angestellt wurde. Dort blieb er bis 1907. Der letzte Eintrag ist auf den 1. September 1914 datiert. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit dem 40-Jährigen ist „kriegsbedingt“ begründet. Der Erste Weltkrieg hatte rund sechs Wochen zuvor begonnen.