Spannungen in Georgien: Eigenem Volk „den Krieg erklärt“? – „Gehässige“ Rede von Regierungspartei

  1. Startseite
  2. Politik

KommentareDrucken

Trotz massiver Proteste und internationaler Kritik hält Georgiens Regierung an einem umstrittenen Gesetz fest. Das Land droht an der Spannung zu zerreißen.

Tiflis – Die Mehrheit der georgischen Bevölkerung strebt eine Ausrichtung ihres Landes in Richtung Europa und Westen an, wie Umfragen belegen. Über 80 Prozent der Georgierinnen und Georgier befürworten einen Beitritt ihres Landes zur EU und zur NATO.

Die Regierung jedoch verfolgt eine andere Strategie und orientiert sich zunehmend an Russland und dessen repressiven Methoden. Dies führt zu massiven Protesten der Bevölkerung und zu einer harten Reaktion des Staates. Stephen Jones, Leiter der Georgienstudien an der Harvard-Universität, warnt vor einer Zerreißprobe für Georgien.

„Russland-Gesetz“ in Georgien soll kritische Stimmen unterdrücken

Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ hatte einst die EU-Mitgliedschaft versprochen, doch seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs hat sie einen völlig anderen Kurs eingeschlagen. Aktuellstes Beispiel dafür ist der Versuch der Partei, das „Russland-Gesetz“ – wie es von Kritikern bezeichnet wird – in Georgien zu verankern, trotz massiver Proteste.

Dieses Gesetz ähnelt dem, das Russlands Präsident Wladimir Putin bereits 2012 in Russland eingeführt und seitdem immer wieder verschärft hat. Es stuft NGOs, die mehr als 20 Prozent ihrer Finanzmittel aus dem Ausland beziehen, als „ausländische Agenten“ ein. Sie unterliegen damit der staatlichen Kontrolle. Dies könnte Repressionen gegen westlich unterstützte Projekte und gegen die georgische Zivilgesellschaft und Opposition ermöglichen.

„Volk den Krieg erklärt“: „Gehässige Rede“ zu Russland-Gesetz in Georgien

Bidsina Iwanischwili, der Parteivorsitzende des „Georgischen Traums“, hat das Gesetz in einer Rede am 28. April öffentlich beworben. Stephen Jones schreibt in einem Artikel für Eurasianet, dass Iwanischwili dabei „dem georgischen Volk den Krieg“ erklärt hat: „Es war eine gehässige Rede auf der Suche nach verräterischen Agenten im Inland und globalen Feinden im Ausland.“

Iwanischwili hat nicht nur äußere Bedrohungen hervorgehoben, sondern auch die Rolle der „Feinde von innen“ betont. Er sieht diese Feinde in Form von NGOs und „Pseudoeliten“. Für die Opposition kündigte er Strafen an. Sie würden für ihre Vergehen „streng zur Verantwortung“ gezogen. Jones vergleicht diese Rhetorik mit stalinistischen Reden aus den 1930er Jahren.

Bidsina Iwanischwili, Chef der Partei Georgischer Traum, will das „Russland-Gesetz“ gegen den Willen seines Volks durchsetzen.
Bidsina Iwanischwili, Chef der Partei Georgischer Traum, will das „Russland-Gesetz“ gegen den Willen seines Volks durchsetzen. © David Mdzinarishvili/Imago

Jones weist darauf hin, dass die Regierungspartei gegen ihr eigenes Volk agiert. Dies zeigt sich daran, dass eine jubelnde Menge für den Chef des „Georgischen Traums“ nur durch das Heranfahren von tausenden Anhängern aus dem Umland der Hauptstadt Tiflis mobilisiert werden konnte.

Als am nächsten Tag Georgier friedlich gegen die Verabschiedung des „Russlands-Gesetzes“ protestierten, setzte die Polizei Tränengas, Blendgranaten und Wasserwerfer ein. „Der Georgische Traum hat klar gezeigt, dass er bereit ist, gewalttätige Methoden anzuwenden, um seine Ziele zu erreichen“, schlussfolgert der Professor für Georgienstudien.

„Russland-Gesetz“ in Georgien sorgt international für Kritik – Präsidentin legt Veto ein

Die Verabschiedung des Gesetzes hat nicht nur in Georgien selbst zu Massenprotesten geführt, sondern auch international Kritik hervorgerufen. Die EU, die UNO und die Nato haben die Regierung in Tiflis aufgefordert, ihren Kurs zu ändern. Auch die deutsche Regierung hat eine Rücknahme des Gesetzes gefordert. Georgiens Staatschefin Salome Surabischwili hat ihr Veto gegen das Gesetz eingelegt.

Die als proeuropäisch geltende Politikerin erklärte im Fernsehen: „Heute lege ich ein Veto ein (...) gegen das Gesetz, das im Wesen russisch ist und unserer Verfassung widerspricht.“ Doch das Veto der Präsidentin wird wahrscheinlich nichts bewirken: Die Abgeordneten des Regierungslagers im Parlament in Tiflis haben eine ausreichende Mehrheit, um es zu überstimmen.

EU-Ratspräsident hofft auf „vertieftes Nachdenken“ in Georgien über Russland-Gesetz

EU-Ratspräsident Charles Michel hofft dennoch, dass das Veto etwas bewirken kann. Er sieht darin die Möglichkeit „eines Moments des vertieften Nachdenkens“ für die Regierung.

Er fordert alle politisch Verantwortlichen in Georgien auf, diese Chance zu nutzen und „sicherzustellen, dass Georgien unterstützt von der Bevölkerung auf dem europäischen Weg bleibt“. Michel betont: „In seiner derzeitigen Form entspricht das Gesetz nicht den Werten und dem Weg der EU.“

Russland-Gesetz macht EU-Mitgliedschaft von Georgien kaum vorstellbar

Georgien ist seit Dezember offiziell EU-Beitrittskandidat. Mit dem neuen Gesetz ist eine europäische Zukunft für das Land im Kaukasus jedoch kaum vorstellbar. Auch Georgien-Experte Johnson von der Harvard-Universität spricht sich dafür aus, dass die EU-Kandidatur des Landes nach den jüngsten Maßnahmen ausgesetzt werden sollte. „Die EU muss eine klarere Botschaft senden“, so seine Meinung.

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wir erweitern den Kommentarbereich um viele neue Funktionen. Während des Umbaus ist der Kommentarbereich leider vorübergehend geschlossen. Aber keine Sorge: In Kürze geht es wieder los – mit mehr Komfort und spannenden Diskussionen. Sie können sich aber jetzt schon auf unserer Seite mit unserem Login-Service USER.ID kostenlos registrieren, um demnächst die neue Kommentarfunktion zu nutzen.

Bis dahin bitten wir um etwas Geduld.
Danke für Ihr Verständnis!