Putins Selbstmordmissionen: Russlands Panzer ohne Chance gegen ukrainische Drohnen
Russland stellt um auf Infanteriekampf. Und bereitet der Ukraine neue Herausforderungen – der Preis des Erfolgs ihrer Drohnen gegen Panzer-Attacken.
Kiew – „Der Krieg Drohnen gegen Drohnen hat bereits stattgefunden“, sagt Kyle Mizokami. Der Autor des Magazins Popular Mechanics erinnert an ein Gefecht im März 2024, als russische unbemannte Kampffahrzeuge im Rahmen eines Angriffs auf ukrainische Stellungen vorrückten, dort jedoch von FPV-Drohnen (First-Person-View) beschossen und zerstört worden waren. Das Gefecht führten Maschinen, die Bediener saßen mit ihren Konsolen auf ihrer jeweiligen Seite kilometerweit weg. Jetzt erinnert David Axe vom Magazin Forbes erneut daran, dass durch die Drohnen im Ukraine-Krieg praktisch jeder Angriff mit bemannten Panzern für die Invasionsarmee Wladimir Putins zum Himmelfahrtskommando werde. „Es ist unmöglich, ihnen zu entkommen“, legt der Guardian nach.
Die Statistik gibt dem britischen Blatt recht: Aufgrund von Angaben des Generalstabs der Ukraine wollen die Verteidiger im Jahr 2024 mehr als 3.000 russische Panzer und nahezu 9.000 gepanzerte Fahrzeuge zerstört haben. „Die aktuellen Produktionsraten Russlands bei Panzern und Fahrzeugen deuten darauf hin, dass solche Verluste auf lange Sicht wahrscheinlich unerschwinglich sein werden, insbesondere da das Land weiterhin auf seine Bestände aus der Sowjetzeit zurückgreift“, schreiben die Analysten des Thinktanks Institute for the Study of War (ISW).
Putin schwenkt um: Offenbar fühlt sich auch die russische Militärführung von der Realität eingeholt
Offenbar fühlt sich auch die russische Militärführung von der Realität eingeholt: „Die Russen halten ihre gepanzerten Fahrzeuge so weit wie möglich weg, weil sie große Angst vor unseren Panzerabwehrraketensystemen haben“, sagt Orest Drymalovskyi zu ArmyTV, wie der Sender n-tv den Sprecher der 79. Separaten Luftangriffsbrigade der Ukraine zitiert. Laut Drymalovskyi verzichte die russische Armee in Richtung Kurachowe in der Region Donezk bei Angriffen auf gepanzerte Fahrzeuge oder setze sie höchstens aus sicherer Entfernung zur Feuerunterstützung ein. Das ist keine wirklich neue Entwicklung, aber möglicherweise eskaliert jetzt die Situation, und die russischen Truppen sind tatsächlich gegen die Drohnen der Ukraine mit ihrem Latein am Ende.
„Schließlich kann eine Streitmacht, die sich der Bedrohung durch Massen von Drohnen bewusst ist und entsprechend ausgerüstet ist, deren Effizienz beeinträchtigen. Drohnen haben viele Einschränkungen, die durch adaptive Taktiken umgangen werden können. Diese Methoden sind schwer skalierbar.“
Bereits Ende 2023 hatte das ISW einen russischen Militärblogger dahingehend wiedergegeben, dass die russischen Streitkräfte kurz vor einer „wahren Renaissance des Infanteriekampfes“ stünden. Die Quelle führte das bereits zu diesem Zeitpunkt zurück auf die Verluste an Panzern, Schützenpanzern und gepanzerten Mannschaftstransportwagen. „Drohnenpiloten sind zu den Scharfschützen des modernen Militärs geworden“, schreibt Tim Mak. Sie operierten im Dunkeln und versteckten sich vor aller Augen – sie seien für die Streitkräfte von entscheidender Bedeutung – sowohl als Machtmultiplikator für die eigene Seite als auch als Tiefschlag für die Moral der Gegner, führt der Autor des ukrainischen Blogs Counteroffensive.News aus.
Die Drohnen-Technologie hat die Frontlinien auseinandergezogen und in Todeszonen von mehreren Kilometern Tiefe verwandelt. „Damals, im Jahr 2022, liefen wir noch mit Maschinengewehren hinter den Baumreihen herum“, sagt Denys. Der britische Guardian zitiert den jetzt zum Drohnenpiloten umgeschulten Soldaten. Diese Todeszonen gewähren den Verteidigern einen gewissen Sicherheitsabstand; für die Angreifer wird jeder Meter zur Hölle. Diese „‘Infanterie-zuerst‘-Doktrin“, wie sie Forbes-Autor Axe nennt, wird dann Russland wieder etliche Hundert Menschenleben kosten. „Eine bemerkenswert beständige Regel der Kriegsführung ist, dass sich die Menschen mit der Weiterentwicklung der Waffen immer weiter vom Töten entfernen“, schreibt Kyle Mizokami in Popular Mechanics.
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Ukraine in Zugzwang: Sie müsste den russischen Schützentrupps ebenfalls Infanterie entgegensetzen
Nach Michael Kofman mündet das in einer allgemeinen Unfähigkeit, vorbereitete Verteidigungsanlagen zu überwinden, die durch flächendeckende Aufklärungs- und Angriffsdrohnen gedeckt werden“, wie Forbes den Analysten des in Washington D.C. ansässigen Thinktanks Carnegie Endowment zitiert. Verstreute Infanterie ist erstens schwerer anzugreifen als massierte Fahrzeugbewegungen; zweitens ist der Verteidiger gefragt, inwieweit der einzelne Infanterist so gefährlich würde, dass dessen Abwehr mit einer Drohne militärischen Sinn ergäbe. Immerhin könnte ein geübter Soldat eine Drohne abschießen, aus einem gepanzerten Fahrzeug heraus ist das nahezu unmöglich.
Das wiederum setzt die Ukraine unter Druck, weil sie den russischen Schützentrupps ebenfalls Infanterie entgegensetzen müsste – Schützen, die sie nicht hat, oder denen die notwendige Fronterfahrung fehlt, um gegen Putins abgehärtete und angstgetriebene Truppen bestehen zu können. Die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) hatte bereits im Sommer vergangenen Jahres von der geringen Ausbildungsqualität der neuen Rekruten der Ukraine berichtet. Angeblich hätten die frisch mobilisierten Soldaten sogar Hemmungen, auf Wladimir Putins Invasionstruppen zu schießen – wie beispielsweise in den Kämpfen um Pokrowsk.
Ukraine-Krieg steht still: Patt zwischen den Kriegsparteien hat sich auch auf die Drohnenwaffe übertragen
Laut dem Guardian habe sich das Patt zwischen den beiden Kriegsparteien auch auf die Drohnenwaffen übertragen. Das ukrainische Verteidigungsministerium will bis Mitte Dezember vergangenen Jahres „1,1 Millionen Einweg-FPV-Drohnen sowie 100.000 weitere hoch entwickelte Fluggeräte geliefert“ haben, so dessen offizielle Stellungnahme gegenüber dem Guardian. Von „1,2 bis 1,4 Millionen“ Drohnen auf russischer Seite spricht Samuel Bendett. Der Analyst des US-Thinktanks Center for Naval Analyses behauptet zudem, dass sich beide Seiten technologisch nichts nähmen, weil jede Seite umgehend von der anderen kopiere, wie ihn der Guardian wiedergibt.
„In Russland diskutiert das Militär seit fast einem Jahrzehnt über den Einsatz von Robotern und autonomen Systemen im großen Maßstab, um Soldaten aus gefährlichen Kampfeinsätzen zurückzuziehen und die gegnerische Verteidigung zu überwältigen und so Folgeschläge zu erleichtern“, schreibt Bendett für den US-Thinktank Center for a New American Security. Allerdings bringt das neue taktische Vorgehen Russlands die Ukraine erneut in Schwierigkeiten. Aufgrund der Drohnen-Technologie hat sie Russlands Panzerwaffe zurückgedrängt und den Feind gezwungen, auf Infanteriekampf umzustellen. Für dessen Bekämpfung benötigt die Ukraine wiederum mehr Infanteristen, die sie möglicherweise aus Drohnen-Einheiten abziehen müssten; was der russischen Panzerwaffe wiederum erneut mehr Freiheiten bescheren würde.
Drohnen im Ukraine-Krieg: Viele Einschränkungen, die durch adaptive Taktiken umgangen werden
Die autonome Steuerung von Drohnen mittels Künstlicher Intelligenz steckt noch in den Kinderschuhen – und sollte sich rasant entwickeln, wie Nataliia Kushnerska für 2025 fordert. Die Ukraine müsse Russland in der Drohnentechnologie überflügeln, so die Leiterin des ukrainischen Verteidigungs-Technologieclusters Brave1 in einem Aufsatz für den Thinktank Atlantic Council. Kushnerska erwartet im laufenden Jahr weitere Innovationen von Langstreckendrohnen. Da sie sich genauso offensiv einsetzt für die Entwicklung von Drohnen zur Abwehr von Luftschlägen, kann das in der Folge nur bedeuten, dass die Ukraine ihre Taktik dahingehend ausbaut, Russland so lange zu bekämpfen, bis Wladimir Putin schlichtweg ökonomisch an den eigenen Ambitionen scheitert.
Die Drohne ist dafür nicht die Lösung, sondern der Beginn einer neuen Kriegsführung, wie Justin Bronk und Jack Watling klarstellen: Jede Drohne würde mit der Zeit immer ineffektiver, da der Gegner seine Gegenmaßnahmen verfeinere, schreiben die Analysten des britischen Thinktanks Royal United Services Institute (RUSI). „Um sicherzustellen, dass ein UAV-Komplex (Unmanned Aerial Vehicle) weiterhin effektiv funktionieren kann, sind alle sechs bis zwölf Wochen Updates von Software, Verhaltenslogik, Sensoren und Funkgeräten erforderlich. Die Flugzeugzelle ist die konstante, aber am wenigsten wichtige Komponente.“
Für Bronk und Watling sind Drohnen deshalb nur eine wichtige Waffe eines künftigen Krieges und auch im aktuellen Geschehen kein Allheilmittel. Solange die Gegner voneinander lernen: „Schließlich kann eine Streitmacht, die sich der Bedrohung durch Massen von Drohnen bewusst ist und entsprechend ausgerüstet ist, deren Effizienz beeinträchtigen. Drohnen haben viele Einschränkungen, die durch adaptive Taktiken umgangen werden können. Diese Methoden sind schwer skalierbar.“