„Typisch deutsches Eskalationsgerede“: Muss Scholz für Frieden „all in“ gegen Putin gehen?
Kann die Friedenskonferenz in der Schweiz der Ukraine Frieden bringen? Zuerst muss Deutschland den Kurs ändern, sagt Roderich Kiesewetter IPPEN.MEDIA.
Es ist eine wichtige Woche für die Ukraine: Erst die Wiederaufbaukonferenz in Berlin, dann das G7-Treffen und schließlich der Friedensgipfel in der Schweiz – aber können all die Gespräche eine Wende im Ukraine-Krieg bringen, womöglich sogar tatsächlich Frieden? Einige Beobachter zweifeln lautstark. Auch, weil Aggressor und Kriegspartei Russland beim Gipfel bei Luzern nicht dabei sein wird.
Einer der entschlossensten politischen Unterstützer der Ukraine in Deutschland sieht in den Terminen „sehr gute Initiativen“ – warnt mit Blick auf die Schweiz aber auch: „Es ist nicht zu erwarten, dass die Konferenz schlagartig zu einem Rückzug Russlands aus der Ukraine führt und somit konkrete Verhandlungen auslöst.“ Wladimir Putin sehe sich aktuell „auf der Gewinnerseite“ und habe kein Interesse an Verhandlungen, sagt CDU-Politiker Roderich Kiesewetter im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. Das liege auch an Deutschlands Kurs. Kiesewetter fordert vor dem Gipfel ein „All-in“ von Kanzler Olaf Scholz (SPD).
Vor dem Friedensgipfel: Ukraine-Sieg möglich – aber Putin muss „gezwungen werden“
„Der Westen und auch Europa sind wirtschaftlich Russland um ein Vielfaches überlegen. Wenn der politische Wille da ist, der Ukraine zum Sieg zu verhelfen, also ihr Staatsgebiet in den Grenzen von 1991 zu befreien, ist das möglich“, sagt Kiesewetter. Dafür müsse gerade Europa aber „endlich“ die Strategie ändern: zu „all in“ und „whatever it takes to win the war“. Nur aus einer Position der Stärke könne Putin „überhaupt irgendwann zu Verhandlungen gezwungen werden“ – ähnlich äußerte sich zuletzt Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel. Gerade Deutschland zögere und zaudere aber, meint Kiesewetter.

„Das bedeutet nicht, dass wir kämpfende Truppen senden, sondern dass wir zunächst unsere eigene Rüstungsproduktion endlich hochfahren und der Ukraine wesentlich mehr aus eigenen Beständen und dem Weltmarkt liefern“, betont der CDU-Politiker. Für den Kriegsverlauf werde 2024 Material und Logistik entscheidend sein – was 2022/23 auch wegen „strategischer Blindheit in Ländern wie Deutschland“ nicht produziert wurde, könne nun nicht in der Ukraine sein.
Wie kann Russlands Krieg gegen die Ukraine gestoppt werden, Herr Kiesewetter?
Der CDU-Abgeordnete nennt IPPEN.MEDIA sechs konkrete Ansatzpunkte:
1) Globale Unterstützung durch die Schweizer Friedenskonferenz: „Deutschland kann selbst beitragen, unentschlossene Staaten aus Afrika, Südamerika oder Asien von Selenskyjs Friedensplan zu überzeugen.“
2) Rüstungsproduktion hochfahren: „Die Materialfrage und die Logistik werden für 2024 entscheidend sein.“ – „Der Krieg entscheidet sich auf dem Gefechtsfeld, da Russland sich aktuell auf der Gewinnerseite sieht und aktuell kein Interesse an Verhandlungen hat.“
3) 0,25 Prozent der Haushalte der Nato-Staaten für die Ukraine: „In der Dynamik des Krieges muss Europa etwas gegen die Kriegswirtschaft Russlands und die Unterstützung Russlands durch China, Russland, Iran und Nordkorea entgegensetzen.“
4) Sanktionen: „Unsere Sanktionen müssen nachgeschärft und Schlupflöcher geschlossen werden. Dazu gehört auch, Chinas Unterstützung zu stoppen.“
5) Militärische Hilfe: „Praktisch unterstütze ich auch die Ansätze Frankreichs und einer Koalition der Willigen, die Ukraine bei der Logistik und Ausbildung zu entlasten und gegebenenfalls nicht-kämpfende Soldaten zu senden oder eben die Flugabwehr auf den Westen der Ukraine auszuweiten, um die ukrainische Flugabwehr zu entlasten, sodass sie im Osten verstärkt werden kann.“
6) Nato-Perspektive für die Ukraine: „Psychologisch ist es wichtig, dass die Ukraine beim NATO-Gipfel in Washington eine eindeutige Einladung und einen klaren Zeitplan für die Nato-Mitgliedschaft erhält.“
Kritiker warnen hingegen laufend vor der Gefahr eines Kriegs zwischen Russland und Nato, womöglich gar eines Weltkriegs. Und sie stehen mit dieser Sorge in Deutschland offenbar nicht alleine da. Bei der EU-Wahl holten Parteien wie AfD und BSW mehr als 20 Prozent der Stimmen. Die Parteichefs Alice Weidel und Sahra Wagenknecht forderten noch am Wahlabend sofortige Verhandlungen mit Putin. Kiesewetter hält das nicht nur für unrealistisch – sondern sieht Warnungen vor Eskalation auch als deutsches Phänomen.
Weltkrieg per Russland-Eskalation: „Typisch deutsche Diskussion, egozentrisch, fast hysterisch“
„Dieses Eskalationsgerede ist eine typisch deutsche Diskussion, sehr egozentrisch und fast schon hysterisch sowie ängstlich geführt, um sich selbst kreisend“, erklärt der CDU-Politiker. Wer ständig vor Eskalation warne, folge russischer Propaganda und betreibe „Selbstabschreckung“. Warnungen gab es zuletzt allerdings auch aus den USA.
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Kiesewetter forderte bereits im Frühjahr, den Krieg „nach Russland zu tragen“. „Russland eskaliert ständig in der Ukraine und gegen die Unterstützer der Ukraine“, sagt er nun. Selbstverteidigung und Wiederherstellung des Völkerrechts könnten „nie“ eine Eskalation darstellen.
Wir würden uns selbst nie solche künstlichen Beschränkungen auferlegen, sondern auf eine möglichst effektive Kampfführung setzen und zudem eine entsprechende Unterstützung unserer Partner erwarten.
Kiesewetter fordert deshalb auch, den Einsatz von Waffen aus den USA und Deutschland gegen russische Ziele nicht länger nur auf ein Gebiet um das scharf attackierte Charkiw zu beschränken. „Es ist völkerrechtlich zulässig und militärisch sinnvoll, militärische Einrichtungen, Waffen- und Munitionsdepots, Logistikstrukturen und auch kriegsrelevante Ziele auch auf russischem Boden frühzeitig zu bekämpfen.“ Die Beschränkung gebe Russland „den Vorteil und den Raum, seine Logistik und Truppen einfach neu zu verlegen“. Finnland etwa habe bei seinen Waffenlieferungen nie solch eine Klausel erlassen.
„Opfer“ für Kiews Sieg im Ukraine-Krieg? „Investitionen in unsere eigene Sicherheit“
Nötig seien auch neue und geschärfte Sanktionen, meint Kiesewetter – nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen dessen „CRINK-Allianz“ mit China, Iran und Nordkorea. Ein Hebel seien auch Sanktionen gegen Drittländer wie die „-stan-Länder“ in Russlands Dunstkreis „China wie Iran müssen wirtschaftlich und politisch abgeschreckt werden“, fordert der CDU-Abgeordnete. Er will auch eingefrorene Gelder der russischen Zentralbank in der EU für die Ukraine nutzen.
Aber kann all das – oder auch Angriffe der Ukraine auf russische Raffinerien – nicht Deutschlands Wirtschaft und Wohlstand schaden? Kiesewetters Antwort fällt klar aus: „Unfassbare Opfer“ trage bislang nur die Ukraine: „zehntausende Tote, Verwundete, Vergewaltigung, Folter, Kindesentführung“. Deshalb müsse Russland gestoppt werden. „Insofern handelt es sich bei der Unterstützung der Ukraine auch nicht um ‚Opfer‘, sondern um Investitionen in unsere eigene Sicherheit.“ (fn)