Michael Ehlers über TV-Duell - „Ich, Ich, Ich“: Rhetorik-Experte zerlegt Scholz' Auftritt und kürt den Sieger
Im Kanzler-Duell mit vertauschten Rollen macht Friedrich Merz Sympathiepunkte, Olaf Scholz lässt Authentizität vermissen. Rhetorik-Experte Michael Ehlers sieht einen Sieger und vermisst etwas bei beiden Kandidaten.
Olaf Scholz als amtierender Kanzler und Kanzlerkandidat Merz eigentlich in der Rolle des Herausforderers. Die aktuellen Umfragewerte wiesen den beiden allerdings andere Rollen zu. Denn die Merz-CDU erreicht aktuell nahezu die doppelten Werte der Scholz-SPD. Es war also der Noch-Bundeskanzler, der kämpfen und Punkte machen musste. Merz konnte also aus der Stärke heraus abwarten, wie sich Scholz präsentieren würde. Für ihn ging es darum, keine oder so wenig Fehler wie möglich zu machen.
Als Oppositionsführer der demokratischen Parteien hatte er außerdem die Möglichkeit, den Finger in die – angesichts Deutschlands politischer Lage reichlich vorhandenen – offenen Wunden der Ampel-Politik zu legen. Es folgte eine sachliche und zu 50 Prozent sogar unterhaltsame Sendung. Erfreulich: Im Gegensatz zu den US-amerikanischen Duellen, in denen man gefühlt nur noch unter die Gürtellinie zielt, kann Deutschland noch Debatte und bleibt sachlich mit unterhaltsam feinen Angriffen.
Rhetorische Stärken und Schwächen
Olaf Scholz verzichtete weitestgehend auf persönliche Angriffe. In einigen Momenten zeigte er allerdings genau die Leidenschaft, die in der Vergangenheit oft vermisst wurde. Dieser Versuch, Führungsstärke durch seine persönliche Version von dynamischen Gesten zu symbolisieren, wirkte nicht authentisch. Zu viel „Ich, Ich, Ich“ statt uns Wählern und Wählerinnen aufzuzeigen, was wir von seiner Politik haben.
Auch sein lässiges Lehnen am Pult wirkte zu sehr einstudiert. Es ist klar zu sehen, dass Scholz versuchte, aus einer vermeintlichen Schwäche eine Stärke zu machen. Jeder Marketingprofi weiß, dass das noch nie funktioniert hat.
Friedrich Merz hingegen blieb authentisch und überzeugte überraschenderweise sogar durch Humor und ein hohes Maß an Gelassenheit. Er hat für seine Verhältnisse viel gelächelt und sogar mehrmals herzlich gelacht. Und das ist etwas, das wir sehr selten bei ihm sehen. Diese freundliche Note brachte ihm Sympathien ein.
Jedoch unterliefen ihm im Verlauf einige Ungenauigkeiten. Er hat sich, nachdem er am Anfang wohl deutlich das Gefühl hatte, dass er die ersten beiden Diskussionsrunden gewonnen hatte, etwas selbstverliebt gezeigt und ist dann etwas nachlässig in seiner Körpersprache geworden. Dass er aufgrund seiner Größe besonders an seiner Körperhaltung, vor allem im Zusammenspiel mit der Kamera, arbeiten muss, wird er wohl nie mehr lernen.
Weil er es einfach nicht schafft, sein Kinn von der Brust zu nehmen, bestraft ihn das TV-Bild hart. Sein Brillenrand wirft Schatten und ihm auf die Augen. Damit beraubt er sich selbst positiver Wirkung, die besonders an diesem Abend gut gegriffen hätte.
Über Michael Ehlers

Michael Ehlers trainiert seit zwei Jahrzehnten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Top-Manager, Profi-Sporttrainer und viele mehr. Er hält Vorträge zu den Themen Rhetorik, Kommunikation, Digitale Transformation und Motivation. www.der-rhetoriktrainer.de
Rhetorischer Sieger
Wer konnte punkten?
Aus rein rhetorischer Sicht sehe ich Friedrich Merz als klaren Gewinner des Duells. In der Rhetorik sind Logos, Ethos und Pathos die drei klassischen Überzeugungsstrategien, die auf Aristoteles zurückgehen. Diese drei Begriffe fassen verschiedene Wege der Beeinflussung und Überzeugung des Publikums zusammen: Logos steht für logische Argumentation und den Gebrauch rationaler Beweise. Es bezieht sich auf die Struktur und den Inhalt der Argumente, die vorgebracht werden. Diesen Teil zu bewerten, überlasse ich den zahlreichen journalistischen Profis und Faktencheckern, die sicherlich bei beiden Kandidaten je nach politischer Ausrichtung inzwischen die Ungenauigkeiten, Auslassungen, entsprechendes Framing etc. aufgedeckt haben werden.
Ethos steht für die Glaubwürdigkeit und Autorität des Redners, also ob ich ihm als Zuhörer das Gesagte auch wirklich abnehme und da kein ungutes Gefühl bleibt. Es bezieht sich auf den Charakter und die Vertrauenswürdigkeit des Sprechers.
Scholz hat den Begriff „Tabubruch“ mehrfach betont und ebenso oft betont, dass er Merz nicht mehr glaubt, wenn dieser betont, auf die Stimmen der AfD zu verzichten. Damit versucht der Kanzler, genau an diesem Punkt anzusetzen und Merz' Glaubwürdigkeit infrage zu stellen.
Betrachtet man nur den Ethos, sehe ich dennoch Friedrich Merz als klaren Gewinner des Duells. Er präsentierte sich authentisch und sympathisch. In einer unübersichtlichen Situation, in der wir gar nicht in der Lage sind, schnell alle vorgebrachten Argumente einzuordnen, stellt diese Fähigkeit einen klaren Vorteil da.
Olaf Scholz hingegen sollte bei seinen Stärken bleiben. Ich würde ihm raten, seine Rolle als sachlicher Politiker beizubehalten und sich sogar noch stärker auf die sachpolitischen Erfolge der vergangenen Jahre zu konzentrieren, um einen Teil der noch 40 Prozent unentschlossener Wähler für sich zu gewinnen.
"Nie wieder sprachlos!: Mit den richtigen Worten besser durchs Leben" von Michael Ehlers
Wo war der Pathos?
Was wir nicht gesehen haben, war der Pathos. Pathos steht für das emotionale Appellieren an das Publikum. Auch das Aufzeigen einer Vision davon, wie dieses Land irgendwann aussehen soll, hätte in diese Kategorie gehört. In diesem Duell trafen allerdings zwei „Aktenfresser“ aufeinander. Das muss nicht schlecht sein für ein Land wie Deutschland, und ich persönlich schätze es mehr als das amerikanische Gepolter, das inzwischen zu Trash-TV für Bildungsferne verkommen ist.
Allerdings hätte ich persönlich gerne gewusst, in welche Zukunft die beiden unser Land jeweils führen möchten. Ein Rat an Merz: mehr lächeln und Freude verbreiten. Ein Rat an Scholz: Sie haben drei Jahre regiert und sind verantwortlich dafür, wie viele Ihrer Leistungen tatsächlich beim Bürger angekommen sind. Für das ständige „Ich habe das gemacht“ ist es einfach zu spät. Nennen Sie den konkreten Nutzen für den einzelnen Bürger und die Bürgerin dieses Landes.
Denn: Politik muss endlich wieder da ankommen, wo sie hingehört. Spürbar beim Wähler. Mein Appell: Ihr seid verpflichtet, so zu handeln und tragt auch die rhetorische Verantwortung dafür, dass eure Leistung gefühlt UND verbal bei den Menschen ankommt. Kommt beides zusammen, werden die Ideologen, Fundamentalisten und Extremisten keine Resonanzräume mehr erhalten.
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