„Schattenkrieg“: Putin schmuggelt seine „dunkle Flotte“ an deutscher Seegrenze vorbei

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Wieder einsatzfähig: Das U-Boot „Novorossiysk“ schmuggelte sich Ende August am Fehmarnbelt vorbei in Richtung Syrien. Vom Atlantik an wurde das Boot von einem Überwasser-Kampfschiff eskortiert. Russland taucht immer häufiger provokativ in der Ostsee auf. © IMAGO / ITAR-TASS

Putin spielt eine Scharade auf der Ostsee; seine Tanker tauchen auf und wieder ab. Auch ein U-Boot hat er wieder aktiviert. Russland verbreitet Angst.

Berlin – Im „Nato-Meer“ tobe ein Schattenkrieg, schreibt Christiane Kühl. Ihrer Meinung sei die Ostsee zu einem sicherheitspolitischen Brennpunkt geworden, wie die China-Expertin in der Wochenzeitung Das Parlament notiert. Marode Tanker, russische Kampfjets, Störmanöver, zählt sie auf. Parallel prophezeit das Magazin Politico eine „Katastrophe, die nur darauf warte, zu geschehen“ – als Folge des Ukraine-Krieges ist Wladimir Putin offenbar gezwungen, seine Schiffe durch die Ostsee zu schmuggeln., um unter dem Radar der Nato zu bleiben. Dort braut sich etwas zusammen.

Aktuell scheinen drei Schiffe gleichzeitig die Aufmerksamkeit der Ostsee-Anrainer auf sich zu ziehen, wie Europäische Sicherheit und Technik (ESUT) berichtet. Dem Magazin zufolge sorgen wieder die russischen Tanker „Yaz“ und „General Skobelev“ für Unruhe in internationalen Gewässern. Darüberhinaus kreuzte ein russisches U-Boot Ende August durch den Fehmarnbelt – das Boot soll die „Novorossiysk“ gewesen sein, wie ESUT berichtet. Der Zweck der Fahrt scheint unbestimmt, als Ziel gilt der syrische Hafen Tartus.

„Novorossiysk“ wieder im Dienst: Putin schickt U-Boot gen Syrien

Bemerkenswert an der Sichtung ist, dass das Schiff offensichtlich wieder seinen Dienst aufgenommen hat. Davor war das U-Boot zwei Jahre in Kronstad bei St. Petersburg überholt und modernisiert worden und nicht in den Ukraine-Krieg involviert gewesen. Die „Novorossiysk“ gehört zur Schwarzmeer-Flotte, die von der Ukraine erfolgreich aus dem Schwarzen Meer verdrängt worden war. Jetzt stößt sie offenbar wieder zur Mittelmeer-Einsatzgruppe der russischen Marine.

„Dort tanken sie auf, pumpen auf See ihre Ladung von einem Schiff zum anderen – um die Herkunft des Öls zu verschleiern – oder dümpeln einfach nur herum. Schweden beobachtete Schattentanker in seiner 200-Seemeilen-Wirtschaftszone, die mit Kommunikationsgeräten ausgestattet sind, die von normalen Handelsschiffen in keiner Weise benötigt werden.“

Seit März 2024 gehört Schweden als jüngstes Mitglied zur Nato, damit übt das Verteidigungsbündnis die Kontrolle über die Insel Gotland aus – das Sprungbrett zur Verteidigung des Baltikums gegenüber Russland. Deshalb scheint sich Moskau besonders für die Insel zu interessieren. Schweden beobachte in seiner 200-Seemeilen-Wirtschaftszone Schattentanker, die mit Kommunikationsgeräten ausgestattet seien die von normalen Handelsschiffen in keiner Weise benötigt würden, schreibt Christiane Kühl: „Dort tanken sie auf, pumpen auf See ihre Ladung von einem Schiff zum anderen – um die Herkunft des Öls zu verschleiern – oder dümpeln einfach nur herum“.

Experten gehen davon aus, dass die Frachter neben Öl auch Informationen transportieren – sie also spionieren. Grundsätzlich hätte sich die „dunkle Flotte“ oder „Schattenflotte“ im Verlauf des Ukraine-Krieges gebildet, um die europäischen Sanktionen zu umfahren und russisches Öl gen Asien zu transportieren. Das Nachrichtenmagazin Spiegel ging im Juli von einer Größe von 600 bis 1.400 Schiffen innerhalb dieser Flotte aus – unter Rückgriff auf Angaben des Versicherers Allianz Commercial.

Unter falscher Flagge: Putins „Seelenverkäufer“ bedrohen die Schifffahrt

Neben dem militärischen Risiko durch Spionage sehen Beobachter Risiken vor allem darin, dass die Flotte vornehmlich aus „Seelenverkäufern“ besteht – zum Teil unter fremder Flagge – , „die außerhalb der internationalen Vorschriften und oft ohne angemessene Versicherung betrieben werden“, wie der Spiegel Justus Heinrich zitiert. Der Leiter der Schifffahrtsversicherung in Deutschland und der Schweiz von Allianz Commercial berichtet von Dutzenden Zwischenfällen, „darunter Brände, Maschinenausfälle, Kollisionen, Kontrollverlust und Ölverschmutzung“. Kosten, die schlimmstenfalls der Regierung des Anrainerstaates aufgebürdet würden.

Wenn allerdings die Schattenschiffe mit regulär fahrenden Schiffen kollidierten, wären möglicherweise sogar diese Schiffe die Leidtragenden und würden für die Bergung in Regress genommen werden. Elisabeth Braw sieht darin deshalb „Risiken für die globale maritime Ordnung“, wie sie für den Thintank Atlantic Council geschrieben hat. Die Opfer dieser Aktivitäten seien beispielsweise Dänemark und Norwegen, die auf den Routen der Schattenschiffe lägen. Die Analystin zitiert einen Schiffsversicherer dahingehend, dass allein durch norwegische Gewässer zwölf Schattenschiffe täglich kreuzten.

„Syrien-Express“ unterwegs: Nato besorgt über Aufkreuzen von russischen Kampfschiffen

Die russischen Tanker „Yaz“ und „General Skobelev“ fahren auf dem „Syrien-Express“ und gehören demnach zum gewohnten Bild in dieser Region. Auch dass sie zwischen Brest und Dover ein Rendezvous mit der Korvette „Stoikiy“ hatten; und von der weiter eskortiert wurden, ist normal. Aber: Damit habe sich „die Vorgehensweise, dass russische Hochwerteinheiten von Kriegsschiffen gedeckt werden, verfestigt“, schreibt ESUT, „die genauen Hintergründe dieser Bewegungen bleiben im Dunkeln. Misstrauisch machen insbesondere die Bewachung durch russische Kriegsschiffe als auch andere Merkmale“.

Das Magazin scheint damit ebenfalls anzuspielen auf den Verdacht der Spionage. Schiffe tauschen entsprechend der internationalen Schifffahrtsregeln ihre nautischen Daten über das AIS (Automatic Identification System) aus. Wie ESUT schreibt, sei die „General Skobelev“ Anfang Mai vom Radar verschwunden, laut dem Magazin schien das Schiff die Übertragung seiner Identifikation gestoppt zu haben. Der Vorfall ereignete sich auf einer Fahrt von Mitte April an vom russischen Baltijsk in den ägyptischen Zielhafen Port Said. In der Straße von Sizilien verloren Analysten offenbar plötzlich ihre Spur.

Hybride Kriegführung: Putin plant möglicherweise einen Krieg, den er nicht führen muss

Das ist typisch für Schiffe der „dunklen Flotte“: Die Manipulation der Positionierungssysteme erschwert die Bestimmung von deren Routen. Das Verhalten der russischen Schiffe wird intransparent, der Grad der Bedrohung für die Nato-Länder steigt. Den Begriff des „Schattenkrieges“ hatte wohl die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas erstmal öffentlich geäußert. Das betreffe neben der See- auch die Luftfahrt. Riskante Nebenwirkung im Ukraine-Krieg sind seit einiger Zeit Russlands GPS-Störungen, die die zivile Luftfahrt bedrohen – wenn die Instrumente ausfallen, sind die Flugzeuge für diese Zeit im Blindflug unterwegs.

In der Nato herrscht Konsens, diesen Störungen entschlossen zu begegnen; Elisabeth Braw spricht auch von Provokationen. China-Expertin Christiane Kühl zitiert Minna Ålander damit, dass dieser „Schattenkrieg“ das Substitut einer realen militärischen Auseinandersetzung werden könnte; die vielleicht Russland aus Mangel an Kräften vielleicht nie mehr wird führen können. Ålander geht davon aus, dass Putin bemüht sei, das nordatlantische Verteidigungsbündnis zu destabilisieren.

Die Sicherheitsexpertin am Finnish Institute for International Affairs in Helsinki rechnet stattdessen damit, dass Russland einen Krieg gewinnen wolle, ohne ihn wirklich führen zu müssen. Ansätze davon sähe sie bereits „in der mannigfaltigen hybriden Kriegführung Russlands gegen viele europäische Länder“, so Ålander laut dem Parlament. Nurlan Aliyev sieht überhaupt keine andere Möglichkeit für Russland in der Region, um auf hybride Kriegführung verzichten zu können.

Der Sicherheitswissenschaftler des estnischen Thinktank International Center for Defense and Security hält das für den einzig verbleibenden Weg, selbst wenn Russland die Ukraine militärisch in die Knie zwingen könnte. „Es würde weiterhin deren Gesellschaften, insbesondere deren Wähler, ins Visier nehmen, um Druck auf die Regierungen auszuüben“, schreibt Aliyev.

Der „Schattenkrieg“ läuft: Putin offenbar auf Kurs einer gezielten Provokation

Laut dem Spiegel prüfe Dänemark, inwieweit maroden Öltankern die Durchfahrt verweigert werden könne. Allerdings sehen die Dänen eine Lösung lediglich auf internationaler Ebene. Möglicherweise ziele Russland auch auf genau so eine Maßnahme ab, um sich gegenüber der Welt in eine Verteidigungshaltung gedrängt zu fühlen und entsprechend militärisch zu antworten. Dann rücke ein Atomschlag tatsächlich in gefährliche Nähe.

Für das Magazin Politico hat die Schifffahrts-Journalistin Elisabeth Braw einen pragmatischen Ansatz versucht. Die Regierungen vor allem der Anrainer und die betroffenen Reedereien sollten ihrer Meinung dokumentieren, was Ihnen an Kosten durch die dunklen Schiffe im Dienste Russlands entstanden sei. Sie geht davon aus, dass nach dem Ukraine-Krieg das Putin-Regime ohnehin zu Reparationen gegenüber der Ukraine herangezogen würde. Dann sollten auch die Rechnungen für die Kosten der Schattenschiffe fällig gestellt werden.

Für Braw die einzige Lösung, „da es eindeutig keine gute Idee wäre, als Vergeltungsmaßnahme Wackelboote zu schicken, die in russischen Gewässern Chaos anrichten“.

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