Psychiater warnt vor verbreitetem Erziehungsirrtum mit „lebenslangen Folgen“ für Kinder

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Studienergebnisse zeigen, dass rund 31 Prozent eine Erziehungsmethode für angemessen halten, die sich negativ auf die Psyche und kognitiven Leistung auswirken kann.

„Ein Klaps auf den Hintern hat noch keinem Kind geschadet.“ Ein Gedanke, der in den Köpfen von Boomer-Eltern weit verbreitet war, während sie ihre Millennial-Kinder erzogen haben. Doch auch 2025 hält sich der Erziehungsirrtum hartnäckig, wenn er auch weniger verbreitet ist, zeigen Ergebnisse einer Studie anlässlich des Tages der gewaltfreien Erziehung.

Die Klinik für Kinder-​ und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm (UKU) befragte zusammen mit Unicef Deutschland 2530 repräsentativ ausgewählte Personen. Die Studie untersucht, wie sich Einstellungen zu Körperstrafen in der Erziehung seit 2000 verändert haben – damals trat das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung in Kraft.

Dass das Recht Wirkung entfaltet, zeigen die Studienergebnisse: 2016 stimmten 53,7 Prozent der Aussage zu, ein Klaps auf den Hintern habe noch keinem Kind geschadet. 2025 sank die Zustimmung auf 36,9 Prozent. 2005 gaben rund drei Viertel der Befragten an, einen „Klaps auf den Hintern“ als Erziehungsmethode verwendet zu haben. Für angemessen hielten „einen Klaps auf den Hintern“ 2016 nur noch 44,7 Prozent und 2025 30,9 Prozent – immerhin noch fast ein Drittel.

Kind
Studienergebnisse zeigen, die Zustimmung zu Körperstrafen in der Erziehung von Kindern ist bei Männern größer als bei Frauen. (Symbolbild) © Pond5 Images/Imago

„Demütigende Geste“: Worum es bei dem Erziehungsirrtum wirklich gehe

Was diese Erziehungsmethode und Form der körperlichen Bestrafung mit den Kindern macht, weiß Jörg Fegert. Er ist Psychiater, Psychotherapeut und ärztlicher Direktor am UKU. „Abhängig von den Vulnerabilitäten und der Resilienz, können Kinder unterschiedlich reagieren“, sagt Fegert BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA.

Bei den Auswirkungen von körperlichen Strafen komme es auch auf die Intensität der verwendeten Formen und deren Häufigkeit in der Anwendung an. Die Auswirkungen von Körperstrafen, wie dem „Klaps auf den Hintern“ könnten für Kinder eine schlechtere psychische Gesundheit und Verhaltensprobleme, wie zum Beispiel Problemlösung durch Aggression, Depression, Angst und Substanzmissbrauch sein. Es könnte aber auch zu einer geringeren kognitiven Leistungsfähigkeit kommen.

„Vielmehr geht es aber darum, dass es sich bei einem ‚Klaps auf den Po‘ um eine demütigende Geste handelt“, sagt Fegert. Es brauche einen Einstellungswandel, dass es nicht darum gehe, über die Auswirkungen dieser Bestrafungsform nachzudenken oder diese abzuschätzen, sondern darum, Kinder gewaltfrei zu erziehen und ihnen die bestmöglichen Entwicklungsbedingungen zu geben.

Körperstrafen in der Erziehung könnten „lebenslange physische und psychische Folgen“ haben

Körperliche Gewalt und massive Körperstrafen in der Erziehung könnten „lebenslange physische und psychische Folgen haben, den Betroffenen schwer in ihrem Selbstwert schaden und das Risiko für Ausübung von Gewalt in der Erziehung eigener Kinder erhöhen“, erklärt Fegert. Wichtig sei zu differenzieren: Dabei gehe es nicht um den „Alltagsausrutscher“, sondern um sich wiederholende Methoden zur vermeintlichen Kindererziehung als Reaktion auf wahrgenommenes Fehlverhalten.

Auch wenn die Akzeptanz für körperliche Strafen gesunken ist und immer weniger Eltern einen Klaps auf den Hintern oder gar eine Ohrfeige als angebracht ansehen, gebe es noch viel zu tun. „Die Misshandlungsform der Vernachlässigung – also Gewalt durch Unterlassung – bleibt nach wie vor weitgehend unbeachtet. Auch die Ächtung dieser Form der Gewalt muss endlich gesetzlich verankert werden“, fordert Fegert.

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