Traditions-Versandhändler zieht es nach Polen – Kritik an Bundesregierung: „Viele Krisen zu meistern“

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Polen entwickelt sich zu einem Magneten für deutsche Unternehmen. Auch der Versandhändler Otto schließt sich an. Ein Zeichen der „Deindustrialisierung“?

Hamburg – Immer wieder warnen Unternehmen und Ökonomen vor der Abwanderung von Unternehmen aus Deutschland. Zum Beispiel hatten Konzerne wie Miele und Meyer Burger angekündigt, woanders produzieren zu wollen. Der Traditions-Versandhändler Otto gab schon 2022 einen ähnlichen Schritt bekannt. Jetzt äußerte sich der ehemalige Vorstandsvorsitzende dazu.

Otto will von Polen aus liefern – Für „Next-Day“-Bestellungen

Ursprünglich sollte das neue Logistikzentrum in Polen schon im Frühjahr 2024 den Betrieb aufnehmen. Nach aktuellem Stand (April 2024) steht die Einweihung im Herbst des Jahres 2024 bevor. Das Logistikzentrum soll vom westpolnlischen Ilowa aus ganz Europa beliefern. „Polen liegt für ein europäisches Unternehmen wie unseres sehr zentral“, verriet Michael Otto, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Gruppe, im Focus. Von Ilowa aus könne Otto „künftig große Teile Deutschlands noch am selben Tag nach der Bestellung beliefern“. Otto zufolge habe das Unternehmen gute Erfahrungen mit der polnischen Politik und Verwaltung gemacht.

Handy mit Otto-App.
Smartphone mit Otto-App (Symbolfoto). Polen entwickelt sich zu einem Magneten für deutsche Unternehmen. Auch der Versandhändler Otto schließt sich dieser Entwicklung an. © IMAGO / Lobeca Felix Schlikis

Für Deutschland dagegen wünscht sich der Unternehmer Otto eine bessere Stimmung. „Wir Deutschen neigen ohnehin eher zum Jammern und Klagen“, bemängelte er. Die wirtschaftliche Situation vieler Unternehmen sei besser als die Stimmung. Auf seinen Afrika-Reisen, wo er viel Armut sehe, würden die Menschen trotzdem „viel Fröhlichkeit“ zeigen. Zudem müsse man erkennen, dass Deutschland derzeit viele Krisen zu meistern haben. Das sei herausfordernd. „Die stetigen Auseinandersetzungen in der Regierung helfen nicht, die Stimmung zu verbessern.“

Otto fordert Investitionen mit Voraussicht – „Wir brauchen klare Entscheidungen“

Das Logistikunternehmen Hermes Fulfilment soll als Verwalter des Standorts in Ilowa agieren. Ein dreistelliger Millionenbereich soll in die Errichtung des polnischen Werks geflossen sein, in dem die Otto Group jetzt ihre Logistik bei den Handelsunternehmen Otto und MyToys neu organisieren will. Trotzdem schreibt Otto Deutschland als Standort keineswegs ab: „Zugleich bauen wir unsere Lagerlogistik an deutschen Standorten aus.“ Auf eine Anfrage, was Otto ausgerechnet nach Polen geführt hatte, hatte der Konzern noch nicht reagiert.

Gleichzeitig müssten sich die politischen Rahmenbedingungen ändern. Es gebe viele Krisen zu meistern und eine Ampel-Koalition, die sich untereinander bekriegt, helfe der Stimmung nicht. „Wir brauchen gerade dort klare Entscheidungen, die dann auch Bestand haben müssen“, sagte Otto dazu. Als Beispiel nannte er die Energiewende: Hier müssten langfristige Investitionen in Milliardenhöhe her, auf die sich die Unternehmen dann über Jahrzehnte müssten verlassen können.

Unternehmen wandern aus Deutschland ab

Otto ist damit nur einer von vielen Unternehmen, die aktuell im Ausland Standorte aufbauen. Der Traditionskonzern Miele beispielsweise hatte vor einer „nachhaltigen Veränderung der für uns relevanten Rahmenbedingungen“ gewarnt und angekündigt, Teile seiner Produktion von Gütersloh nach Polen zu verlagern. Ähnlich sieht es bei Michelin aus: Vonseiten des Reifenherstellers hieß es, dass ein Kundenkontaktzentrum von Karlsruhe nach Polen ziehen soll. Der dänische Pumpenhersteller Grundfos hatte ebenfalls einen Rückzug aus Deutschland bekannt gegeben, das Solarunternehmen Meyer Burger wird sich in den USA neu ansiedeln.

Aus verschiedenen Branchen kommt daher die Forderung nach mehr politischer Einflussnahme. Seien es Resilienz-Boni für die Solarbranche oder das Wachstumschancengesetz für alle – nach jetzigem Stand drohe Deutschland eine Deindustrialisierung. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte bislang jedoch eine hartnäckige Resistenz gegen die Hilferufe aus der Wirtschaft gezeigt.

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