„Tod durch 1000 Stiche“: Immer mehr Experten warnen vor russischer Sabotage in Deutschland

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In Deutschland häuften sich zuletzt Sabotageakte und seltsame Vorfälle. Experten warnen vor wachsender hybrider Kriegführung durch Putins Russland auch bei uns.

Die verstörenden Meldungen häufen sich, seit Wochen. So galt vergangene Woche 24 Stunden lang auf dem Nato-Luftwaffenstützpunkt Geilenkirchen bei Aachen die zweithöchste Sicherheitsstufe „Charlie“. So wie während des Nato-Gipfels Anfang Juli, als mehrere US-Basen in Europa die Alarmstufe ausriefen. Es war das erste Mal in zehn Jahren. In Geilenkirchen gab es nach einem Bericht der dpa Hinweise eines ausländischen Nachrichtendienstes „auf Vorbereitungshandlungen für einen wahrscheinlich russischen Sabotageakt gegen den Nato-Stützpunkt durch Einsatz einer Drohne.“

Im April hatte die Polizei in Bayreuth bereits zwei Deutschrussen unter dem Verdacht festgenommen, dass sie im Auftrag des russischen Militärgeheimdienstes GRU schnüffelten und Sabotageakte auf US-Militäreinrichtungen planten. Und im August tauchten mehrmals schnell fliegende Hightech-Drohnen über dem ChemCoast Park Brunsbüttel auf, einem Industriegebiet für Unternehmen aus der Chemie- und Mineralölwirtschaft direkt neben Hamburgs Flüssiggas-Terminal, in dem Saboteure Ende 2023 Löcher in eine im Bau befindliche Pipeline bohrten, die das LNG-Terminal mit dem Gasnetz verbinden soll. Polizeidrohnen konnten mit den Eindringlingen nicht mithalten, nun wird Spionage vermutet. Ein Motiv dafür gäbe es wohl.

Auffällige Sabotage etwa in Hamburg: „Glaube nicht, dass Moskau zögern würde“

„Dieses Terminal stellt den ersten bedeutenden Versuch Deutschlands dar, russisches Gas so weit wie möglich durch nicht-russisches LNG zu ersetzen“, sagt US-Experte Benjamin Schmitt IPPEN.MEDIA. „Das hat natürlich geopolitische Konsequenzen für Moskau, und ich glaube, dass sie nicht zögern würden, Maßnahmen zu ergreifen, um dies zu stören.“

Experten warnen seit langem vor einer starken Zunahme russischer Sabotageakte in ganz Europa, einschließlich dem Ostseeraum, dem hohen Norden – und auch in Deutschland. Dass solche Sabotageakte oftmals vereinzelt und ohne erkennbaren Zusammenhang geschehen, mag Teil einer gezielten hybriden Kriegführung sein, die für ständige Störungen unklaren Ursprungs sorgen soll. Die Polizei ermittelt meist gegen Unbekannt; nur selten lenkten Sicherheitsbehörden bislang den Verdacht zeitnah auf Agenten von Putins Russland oder deren Handlanger.

„Dass Russland an Sabotageakten beteiligt ist, ist sehr wahrscheinlich“

Die Nato und Sicherheitsexperten hätten immer wieder die Zunahme von Cyberangriffen, Spionagefällen und hybriden Angriffen Russlands auf NATO-Staaten und militärische Einrichtungen verurteilt, sagt Roderich Kiesewetter, ehemaliger Oberst der Bundeswehr und heute CDU-Bundestagsabgeordneter. „Dass Russland an Sabotageakten gegen kritische Infrastruktur oder militärisch relevante Einrichtungen und Logistik direkt beteiligt ist oder diese als Drahtzieher beauftragt, ist deshalb sehr wahrscheinlich.“

Deutschland diene in Europa als Logistik-Hub für die Nato und die Ukraine-Unterstützung, erklärt Kiesewetter IPPEN.MEDIA. „Deshalb sind wir im Fokus russischer Sabotage.“ Er hält es deshalb für wichtig, einen Verdacht gegen Russland und seine Koalitionäre klar auszudrücken – auch wenn es schwierig ist, die Täterschaft zu beweisen. „Denn nur so lässt sich die Bevölkerung über die erhöhte Bedrohungslage aufklären und die Absicht Russlands verdeutlichen, Deutschland und Europa zu destabilisieren.“

Wer war‘s? Russland unter Verdacht – aber schwierige Ermittlungen bei Sabotageakten

EU-Sicherheitsbeamte brachten zuletzt auffällige Brandanschläge und Explosionen in London, Warschau, Riga, Prag oder Paris mit Russland in Verbindung. In Deutschland gab es mehrmals Sabotage an Bahnanlagen, ebenso wie zuletzt vor Olympia in Frankreich. Und jüngst gab es zweimal seltsame Einbrüche an Trinkwasseranlagen in Nordrhein-Westfalen, wie sie zuvor auch in Südfinnland beobachtet worden waren. So wurde Mitte August die Luftwaffenkaserne Köln Wahn abgeriegelt, nachdem in der internen Wasserversorgung abnormale Werte festgestellt worden waren – auch fand sich ein Loch im Zaun. 

Blaues Eingangsschild der Luftwaffenkaserne Köln Wahn am Flughafen Köln Bonn
Abnormale Werte im Trinkwasser: Luftwaffenkaserne Köln Wahn wegen Verdacht auf Sabotage geschlossen © Christoph Hardt/Panama Pictures/Imago

„Die aktuelle Sabotagewelle ist wie eine Drohung mit dem Tod durch 1000 Stiche. Sie reicht von Graffiti mit Ukraine-feindlichen Parolen bis hin zu Brandanschlägen“, meint Schmitt. Experte für demokratische Resilienz bei der Denkfabrik Center for European Policy Analysis (CEPA). „Glücklicherweise wurde bisher noch niemand dabei getötet. Wenn aber ein Zug aufgrund von Sabotage entgleist oder jemand bei einem Brandanschlag ums Leben kommt, dann ist das eine neue Dimension“, sagt er IPPEN.MEDIA. „Wollen wir etwa warten, bis jemand zu Schaden kommt? Und abwarten, wie die Menschen dann reagieren?“

Schmitt spricht sich dafür aus, dass betroffene Nato-Staaten gemeinsam Artikel 4 des Nato-Vertrages ausrufen. Dieser verlangt anders als die Beistandsgarantie von Artikel 5 keine gemeinsame militärische Reaktion, sondern stellt eine Bedrohung für fest, die die gesamte Allianz betrifft – und sieht in der Folge Konsultationen vor. „Es geht darum, das Problem auf eine Ebene zu heben, auf der öffentlich anerkannt wird, dass es eine ständige Sicherheitsbedrohung für das gesamte Bündnis gibt.“

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