Nach AfD-Umfrage-Schock: Merz „kann nur mit Bruch der Koalition“ überleben

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Nach 100 Tagen im Amt ist Bundeskanzler Friedrich Merz unbeliebter als Olaf Scholz und die AfD liegt in Umfragen vor der Union. Ein Politologe fordert gar einen Bruch der Koalition.

Nur jeder dritte Deutsche ist laut eine aktuellen Umfrage von Infratest dimap mit der Politik von Bundeskanzler Friedrich Merz zufrieden. Bei Olaf Scholz war es zum gleichen Zeitpunkt jeder Zweite. Während Kanzler Merz außenpolitisch in der Ukraine-Frage auch aktuell punkten kann ist die Liste der innenpolitischen Kritik lang: vom unerwarteten Schwenk in der Schuldenpolitik, der ausgebliebene Stromsteuersenkung, der verpatzten Richterwahl bis zum Alleingang in der Frage um Waffenlieferungen an Israel. Gar ein Krisentreffen im Kanzleramt während der Sommerferien war nötig, um den Kurs zu korrigieren.

Den Publizisten und Politologen Andreas Püttmann wundert das Stimmungstief nicht: „Bei den meisten neuen Regierungen folgt auf den Vertrauensvorschuss in den Umfragen ein Durchhänger, wenn sie in die konfliktreichen Ebenen des Tagesgeschäfts kommt. Insofern ist es nicht überraschend, dass die Union an Popularität verliert. Ungewöhnlich ist aber, dass dies so früh eintritt.“

Die Gründe für das Befragungs-Tief sieht Püttmann schon im Wahlkampf. Der CDU-Parteichef habe „ein falsches Erwartungsmanagement betrieben. Der Quasi-Heilserwartung eines drastischen Politikwechsels kann er nun nicht gerecht werden. Die Enttäuschung der Menschen ist damit vorprogrammiert, weil in Regierungsverantwortung Sachzwänge und Koalitionszwänge Abstriche notwendig machen“, sagt der Politologe, der für die Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU nahe) tätig war.

Hat die AfD von den Patzern der ersten 100 Tage unter Kanzler Friedrich Merz profitiert? © Montage IPPEN.MEDIA / IMAGO / Future Image / dts Nachrichtenagentur

Merz-Regierung verliert nach 100 Tagen an Zustimmung – AfD zieht in Umfrage vorbei

Dass die AfD nun in einzelnen Umfragen vor der Union liegt, muss den Regierungschef schmerzen, hatte er doch das Ziel ausgerufen, mit seiner härteren Migrationspolitik die Wählerzahl der rechten Partei halbieren zu wollen. Um den richtigen Umgang mit der AfD ringen Politologen wie die Abgeordneten. Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt glaubt, das „Fenster der Möglichkeit, Wähler von der AfD zurückzugewinnen, hat sich bereits geschlossen“, da die Partei keine reine Protestpartei mehr sei. Die AfD könne sich daher nur noch selbst besiegen.

Patzelt sieht die Schuld für die starke AfD nicht bei der aktuellen Merz-Regierung. Es seien weniger die Fehler des aktuellen CDU-Vorsitzenden „als die von Angela Merkel, die zum Erstarken der AfD geführt haben. Sie hat die Aufgabe der Union nicht darin gesehen, bis zum rechten Rand alles zu integrieren und durch ihr Beharren auf der Migrationspolitik und der alternativlosen Energiepolitik ist die AfD seit über 10 Jahren erstarkt.“

Unions-Fraktionschef Friedrich Merz hat versucht „das Stinktier zu überstinken“

Sein Kollege Püttmann hält Migration genau für das falsche Thema für die CDU. „Anstatt sich auf einen Wirtschaftswahlkampf zu fokussieren, ist er (Merz) nach dem Anschlag von Aschaffenburg auf das von der AfD besetzte Thema Migration aufgesprungen und hat versucht, das Stinktier zu überstinken.“ Es sei zu einseitig, Zuwanderung nur als Bedrohung zu thematisieren, wenn ganze Berufssparten wie Pflege, Gastronomie, Reinigung und Bau schon jetzt ohne Migranten nicht mehr funktionierten.

Püttmann fordert daher, die Union müsse die demografische Herausforderung neu kommunizieren. „Wir brauchen eben nicht nur hochqualifizierte Ingenieure, sondern überhaupt Menschen“, sagt er. „Das Thema Migration hätte differenzierter beleuchtet werden müssen. Jetzt kann die Regierung handeln, und das muss sie tun.“ Auch die Wohnungsnot junger Menschen müsse stärker thematisiert werden.

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Kritik an Personalpolitik der Union „Triumvirat des Schreckens“

Püttmann kritisiert ferner die Personalpolitik von Friedrich Merz. „Das Gesicht der Partei darf nicht nur das ‚Triumvirat des Schreckens’ Merz-Frei-Spahn sein. Die CDU hat doch überparteiliche Sympathieträger wie Norbert Röttgen, Roderich Kiesewetter, den CDA-Chef Dennis Radtke und Ministerpräsidenten, die erfolgreich regieren. Diese Sympathieträger muss die Union bundespolitisch sichtbarer einbinden.“

Mach der verpatzten Richterwahl fordert der Politologe auch innerparteillich personelle Konsequenzen: „Die verpatzte Richterwahl ist in erster Linie Herrn Spahn zuzuschreiben und der schon im Asylstreit manifestierten Arroganz gegenüber den Kirchen, die Sachverwalter des „C“ sind. Er hat die Zentralität christlicher Grundwerte für einen Teil der Abgeordneten unterschätzt.“ Die Union dürfe nun nicht die Flinte ins Korn werfen und den Regierungschef nach wenigen Monaten auswechseln. „Aber es wäre ein Befreiungsschlag, wenn sie den Fraktionsvorsitzenden auswechseln würde“, betont Püttmann. Dafür biete Spahn genug Gründe.

Patzelt „Die CDU kann nur mit einem Bruch der Koalition wieder stark werden“

Der Politologe Patzelt sieht das Hauptproblem für die Union im Koalitionspartner. „In dieser Koalition wird es keine Lösung geben, denn die SPD wird ein unangenehmer Koalitionspartner bleiben. Sie steht selbst unter starkem Druck des linken Flügels, der seine Partei aus der Zwangsehe mit der Union befreien wollte. Damit verliert die SPD Stimmen an die Linken.“

Umgekehrt habe Merz sich voreilig an die linke Mitte gebunden: „Indem Merz erklärt hat, nur mit SPD und Grünen regieren zu wollen, hat er dem Wähler signalisiert‚ dass es mit ihm nur eine Mitte-Links-Politik geben wird. Da heißt im Umkehrschluss für die Wähler, wenn sie eine andere Politik wollen, müssen sie AfD wählen.“

Patzelt sieht eine Möglichkeit für Profilgewinn der Konservativen daher in einem drastischen Befreiungsschlag: „Merz hat in einer für die CDU fatalen Lage angefangen und fand noch keinen Mut, sich durch strategische Richtungsentscheidungen aus der babylonischen Gefangenschaft der viel kleineren SPD zu befreien“, sagt der Politologe. „Wäre er ein Stratege, müsste er das Gespräch mit der AfD suchen. Die CDU kann nur mit einem Bruch der Koalition und einer Minderheitsregierung wieder stark werden, die in Einzelfragen auch mit der AfD stimmt, wenn man Neuwahlen vermeiden möchte, bei denen die AfD gewinnen würde.“ Weil Merz sich festgelegt habe, nicht mit der AfD zusammenarbeiten zu wollen, würden „den 100 Tagen des Missvergnügens eine Anzahl von weiteren missvergnüglichen Monaten folgen.“

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