Ein Raum, der alles kann: In Aubing eröffnet das Bergson mit dem Elektra Tonquartier seinen lange erwarteten Hightech-Konzertsaal.
Der Bass geht durch Mark und Bein. Als Erstes spielen sie im neuen Elektra Tonquartier im Bergson-Kunstkraftwerk ein Crescendo vom Band, das einen durchschüttelt wie die Dolby-Surround-Reklame im Kino. Vorne auf der Bühne stehen im Neonlicht der künstlerische Leiter Roman Sladek und seine 14-köpfige Jazzrausch Bigband – und kaum hat der Kitzel in Magen und Rückgrat nachgelassen, legen sie auch schon nach: noch mehr Bässe und Beats aus dem Laptop, die aber die scharfen Bläsersätze, den Damengesang und die Gitarre nicht ersäufen. Dieser trocken klingende Raum sei perfekt für seine Bigband, gibt Sladek launig zu Protokoll: „Für sehr laute, sehr fette Musik, die auch geil gespielt ist.“ Aber das sei eben nicht alles, Elektra könne noch so viel mehr.
Um markige Worte sind sie nicht verlegen im Münchner Westen. „Big Bang“ – Urknall – lautet das Motto dieses rauschenden Eröffnungsabends für den lange erwarteten Bergson-Konzertsaal in Aubing, zu dem 800 Gäste erschienen sind, darunter allerlei kreative und politische Prominenz. Und tatsächlich ist dieser Abend womöglich ebenso wichtig wie die eigentliche Eröffnung des Kunstkraftwerks vor genau einem halben Jahr. Denn jetzt gilt’s: Kann das neue Herzstück eine Anziehungskraft (auch für Sponsoren) entwickeln, die das ambitionierte Projekt auf längere Sicht wirtschaftlich rentabel macht? Ewig wollen die Gebrüder Amberger vom Münchner Familienunternehmen Allguth bei aller Leidenschaft für die Sache sicher kein Geld zuschießen müssen.
Der Sound wirkt mal wie in einer Basilika, mal so, als stünde man in einem Kammermusiksaal
Als „Europas klügster Konzertsaal“ wird das Elektra Tonquartier deswegen beworben – und in der Tat: Was es kann und was Sladek und seine Mitmusiker auf der Bühne demonstrieren, ist beeindruckend. 24 Mikrofone und 80 Lautsprecher hat die Firma Müller-BBM aus Planegg hier verbaut. Das Vivace genannte Raumakustiksystem kann den Klang der gespielten Instrumente computergesteuert verändern. Auf jedem der 500 Zuschauerplätze wirken die Töne, die Saxofonist Moritz Stahl gerade improvisiert, mal so, als blase er sie in einer Basilika, mal so, als stünde er in einem Kammermusiksaal. Viel Hall, ein bisschen Hall oder gar keiner – eine perfekte Simulation.
„Es gibt keine gute oder schlechte Akustik, sondern nur eine Akustik, die zu dem passt, was auf der Bühne stattfindet“, sagt Sladek. Und die sei hier eben fein justierbar. „Es gibt auf der Welt keinen Raum, der das so geil kann wie das Elektra Tonquartier.“ Um noch mal zu zeigen, wie’s nicht geht, lässt er seinen Jazz-Techno zur Kirchenhall-Einstellung bollern – ein einziger Sound-Brei ist die Folge. „Nur damit ihr mal mitkriegt, womit wir uns sonst rumschlagen müssen – in der Elbphilharmonie zum Beispiel.“
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Die Stadt hat einst überlegt, ob sie in Aubing nicht das Gasteig-Interimsquartier errichtet
„Ich bin ja schon froh, dass er nicht den Gasteig erwähnt hat“, sagt Münchens Kulturreferent Anton Biebl hinterher zu unserer Zeitung beim „Flying Dinner“ im festlich ausgeleuchteten Atrium – das übrigens auch einen guten Klang hat, wie das frisch aus der Taufe gehobene hauseigene Kammerorchester Bergson Phil‘ zeigt. Biebl strahlt übers ganze Gesicht. „Ich finde das toll, was die hier machen.“ Ein privat finanziertes Projekt, das es in vier Jahren von der Sanierung des historischen Gebäudes bis zum Betrieb geschafft habe – das sei phänomenal. Er hofft auf eine Kooperation. Denn wenn die Gasteig-Sanierung losgeht und die Zwischennutzung „Fat Cat“ ausziehen muss, verliere man mit dem Carl-Orff-Saal eine Spielstätte in der Größenordnung von Elektra. „Das bereitet mir Sorgen.“
Die Stadt hat sich das alte Heizwerk übrigens einst als möglichen Interimsstandort für die Philharmonie angeschaut. „Ich stand hier mit dem damaligen Dirigenten Gergiev – der war so begeistert, dass er schon das Holz für den Saal aussuchen wollte“, sagt Biebl lachend. Freilich: Für die Stadt waren die Sanierungskosten nicht darstellbar.
Als hätte er’s gehört, sagt Bergson-Sprecher Maximilian Maier kurz darauf, als das Kraftwerk vor 100 Jahren geplant worden sei, habe man „noch nicht jede Schraube europaweit ausschreiben müssen“. Jetzt endlich sei es wirklich fertig geworden, mit einem Saal, der alles kann. „Als Kraftwerk für Kultur.“