Während Putin bellt, lässt ein kleines Land Moskaus Drohgebärden ins Leere laufen
Russlands Einfluss auf seine Nachbarschaft bröckelt – nicht langsam, sondern sichtbar und hörbar. Am deutlichsten zeigt das derzeit Aserbaidschan. Präsident Ilham Alijew, sonst kein Mann unnötiger Konfrontationen, demonstriert gegenüber Moskau eine neue Härte.
Zeitenwende im Kaukasus: Aserbaidschan widersetzt sich dem Kreml
Lange ließ Aserbaidschan Wladimir Putin sein neoimperiales Gehabe stillschweigend durchgehen – doch damit ist es jetzt vorbei. Der Ton zwischen Baku und dem Kreml ist schärfer denn je, und das nicht ohne Grund: Ende Dezember 2024 wurde ein aserbaidschanisches Passagierflugzeug über russischem Luftraum von einer russischen Boden-Luft-Rakete getroffen.
38 Menschen starben. Moskau sprach von einem bedauerlichen Versehen – eine echte Entschuldigung blieb aus. Im Juni 2025 dann der nächste Affront: Zwei Aserbaidschaner sterben unter fragwürdigen Umständen in russischem Polizeigewahrsam. Während Baku protestiert, wiegelt der Kreml ab.
Als Alijew jüngst die Ukraine für ihren Widerstand gegen die russische Invasion lobte und wörtlich sagte, Kyjiw solle „nicht aufgeben und die Besatzung niemals akzeptieren“, war das mehr als nur eine Solidaritätsadresse.
Es war ein Seitenhieb auf die imperiale Logik des Kremls – und eine Erinnerung daran, dass auch Aserbaidschan mit Karabach einen von Armenien besetzten Landesteil zurückerobert hat. Passend dazu hat die staatliche ukrainische Öl- und Gasgesellschaft Naftogaz gerade ihr erstes Abkommen mit Aserbaidschans Energieunternehmen SOCAR geschlossen, um über die Transbalkan-Route kleinere Mengen aserbaidschanischen Erdgases zu importieren – ein weiterer Schritt zur engeren Energiekooperation zwischen Kyjiw und Baku.
Warum Moskaus Drohgebärden ins Leere laufen
Die Reaktion aus Moskau kam prompt – aber sie zeigte vor allem die Schwäche des einstigen Hegemons. Kremlsprecher Peskow redete beschwichtigend von einem „vorübergehenden Tief“ in den Beziehungen. Gleichzeitig legte die russische Propagandamaschinerie den Schalter um. Telegram-Kanäle mit Millionen Followern forderten „Strafen“ für Baku.
Der Ton war offen rassistisch, sprach von „Tomatenhändlern“, die man jetzt an den Grenzen „schwitzen lassen“ solle. Manche warnten sogar vor „militärischen Maßnahmen“. Offiziell hielt sich der Kreml zurück – aber die Botschaft war eindeutig: Wer widerspricht, wird eingeschüchtert.
Nur: Das zieht nicht mehr. Alijew reagierte mit klarer Ansage: Er kündigte eine internationale Klage gegen Russland wegen des Flugzeugabschusses vom Dezember 2024. In aserbaidschanischen Medien wählt man inzwischen in Bezug auf Russland Begriffe wie „imperiales Gehabe“ und „Respektlosigkeit gegenüber souveränen Staaten“.
Gleichzeitig wurden in Baku mehrere russische Staatsbürger festgenommen, darunter auch Mitarbeiter russischer Staatsmedien – mutmaßlich mit Verbindung zu Geheimdiensten. Es war ein kalkulierter Schritt: Baku hat gezeigt, dass es sich nicht einschüchtern lässt.
Ein weiterer Affront: Alijew sagte seine Teilnahme an der Siegesparade zum 9. Mai in Moskau ab – ein Bruch mit einem für den Kreml wichtigen Treuesignal. Beim kürzlich abgehaltenen Schuscha Global Media Forum lobte der Vize-Chef der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Michail Gusman Aserbaidschans „einzigartige Außenpolitik“ und fragte nach Alijews „Erfolgsprinzipien“. Kurz darauf wurde er entlassen – ein deutliches Zeichen für Moskaus Nervosität.
Bröckelnde Einflusszone: Wie sich der postsowjetische Raum vom Kreml emanzipiert
Die jüngsten Episoden reihen sich ein in eine Serie schleichender, aber nachhaltiger Entfremdungen im postsowjetischen Raum. Moskau hat durch seinen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine das Land ohnehin für immer verloren – politisch, wirtschaftlich und mental. Armenien beispielsweise, einst treuer Satellit Moskaus, fühlt sich seit dem zweiten Karabachkrieg vom Kreml verraten.
Als Baku 2023 die gesamte völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehörende Region zurückeroberte, blieb Russland als Schutzmacht untätig. Heute verhandeln beide Länder über ein Friedensabkommen – ohne Moskau. Premierminister Paschinjan sucht seither neue Partner – in Brüssel, Paris und Washington. Jüngst trat Armenien dem Internationalen Strafgerichtshof bei – dem Gremium, das einen Haftbefehl gegen Putin ausgestellt hat.
Auch Kasachstan geht leise, aber entschieden auf Distanz. Präsident Tokajew weigerte sich öffentlich, die sogenannten Volksrepubliken in der Ostukraine anzuerkennen. Die russische Sprache verliert im öffentlichen Raum an Boden, Kasachisch wird zur Verwaltungssprache erklärt.
Symbolträchtig verweigerte Astana zum Ärger Moskaus die Teilnahme an der Staatengruppe BRICS+. Gemeinsam mit der EU treibt Astana mit dem südlichen Korridor eine alternative Versorgungsroute voran, die Europas Energieversorgung diversifizieren und die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen reduzieren.
Georgien wiederum ist gespalten. Zwar regiert dort eine Moskau-freundliche Regierung, doch die Gesellschaft ist überwiegend pro-europäisch. Als das Parlament im Frühjahr ein „Agentengesetz“ nach russischem Vorbild verabschieden wollte, gingen zehntausende Georgier auf die Straße.
Moskaus Führungsanspruch verfängt nicht mehr
Auch Moldau wendet sich konsequent dem Westen zu. Präsidentin Maia Sandu treibt den EU-Beitrittsprozess voran, während russische Einflussversuche im Land zunehmend scheitern. Das Land setzt auf Integration mit Europa und hat – wie die Ukraine – den strategischen Bruch mit Moskau längst vollzogen.
Selbst in Usbekistan und Turkmenistan, traditionell autoritäre und russlandnahe Staaten, zeigt sich der Trend. Beide orientieren sich außenpolitisch zunehmend an China und wirtschaftlich an der Türkei. Der Kreml wird höflich behandelt – aber nicht mehr als strategischer Mittelpunkt begriffen.
Russland reagiert darauf nicht etwa mit ehrlicher Selbstreflexion, sondern mit der bekannten Mischung aus Herablassung, Drohgebärden und historischer Nostalgie. Doch der Mythos von der unantastbaren Führungsmacht des postsowjetischen Raumes verliert an Glaubwürdigkeit – und damit an Wirkung.
Aserbaidschan zeigt nun als erster Staat offen, dass man auch anders mit Moskau umgehen kann. Die Regierung in Baku betont, man sei zu einem ehrlichen Dialog bereit – aber nicht unter Drohung, nicht unter Diktat. Wer Gleichbehandlung will, muss sich selbst an Regeln halten. Wer Respekt erwartet, muss ihn auch zeigen. Dass ausgerechnet ein mit harter Hand regierter Staat wie Aserbaidschan diese Lektion ausspricht, ist bemerkenswert – und sagt viel über den Zustand des Kremls aus.
Der Osten sortiert sich neu: Brüssel statt Moskau als Partner der Wahl
Für die Europäische Union ergibt sich daraus eine historische Chance: Die Absatzbewegungen mehrerer Ex-Sowjetrepubliken öffnen ein Fenster, um sich als verlässlicher Partner zu präsentieren – als wohltuende Alternative zu russischer Dominanz und chinesischer Einflussnahme.
Der Kreml bleibt in der Region ein Akteur. Aber er ist nicht mehr die unumstrittene Referenz. Das Machtzentrum hat sich verschoben – sondern zurück in die Hauptstädte der einst abhängigen Republiken. In Baku, Astana, Eriwan, Kiew und Chisinau wird längst Politik gemacht, die sich nicht mehr nach Moskau richtet.
Für Putin ist das mehr als nur ein diplomatisches Ärgernis. Es ist der Beweis, dass die alte imperiale Ordnung unwiderruflich zerfällt. Und je lauter Russland bellt, desto offenkundiger wird: Der Biss hat an Kraft verloren.
Oliver Rolofs ist Sicherheitsexperte, Mitbegründer Munich Cyber Security Conference (MCSC) und ehemaliger Kommunikationschef der Münchner Sicherheitskonferenz. Dort verantwortete er unter anderem das Cybersicherheits- und Energiesicherheitsprogramm.