Republik vor dem großen Wahlknall: Der Mikado-Kanzler im wilden Osten

  • Georg Anastasiadis
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Wer das Spiel „Mikado“ kennt, weiß es genau: Wenn man ein Stäbchen falsch bewegt, bricht alles zusammen. Neuen Umfragen zufolge sieht es für die etablierten Parteien im Osten der Republik mindestens ebenso heikel aus. Ein Kommentar von Georg Anastasiadis.

Die Rechtspopulisten der AfD sollte man auf gar keinen Fall wählen, die Links-Rechts-Populisten vom „Bündnis Sahra Wagenknecht“ aber bitte auch nicht: So bekommen es die Wähler im wilden Osten täglich gepredigt durch die etablierten Parteien und viele Medien. Mit durchschlagendem „Erfolg“: Die neue Thüringen-Umfrage sieht AfD und BSW vor der Landtagswahl im September gemeinsam bei fast 50 Prozent der Stimmen, während die Ampelparteien zusammen gerade noch auf 13 Prozent kommen. Nicht mal mehr der erste Ministerpräsidentenposten für die Wagenknecht-Partei scheint jetzt mehr ausgeschlossen, mit der CDU als Mehrheitsbeschafferin. Der Osten entgleist in Zeitlupe. Und je mehr die Etablierten zetern und mahnen, desto größer scheint die Lust dort, gerade das zu tun, was die West-Eliten am meisten schockiert.

Der Osten entgleist in Zeitlupe

Dafür gibt es Gründe: Es ist das lange schon berühmt-berüchtigte Gefühl, bevormundet und abgehängt zu werden, dazu die nostalgische Sympathie für die alte Besatzungsmacht Russland und die Abneigung gegen Amerika. Ein großer Teil der Bevölkerung in Ostdeutschland fühlt sich heute von „westlichen Werten“ leider nicht (mehr) angezogen, erst recht nicht von den allzu „woken“ grün gefärbten Eliten. Tief im Fühlen der Menschen verankert ist aber auch die alte „Volksgemeinschafts“-Idee der DDR (und davor der Nazis). Völkische Ideen stoßen hier auf mehr Zustimmung als im kosmopolitischen Westen. Nach dem Zusammenbruch der DDR hat erst die Linkspartei und dann die AfD als Kümmererpartei begonnen, entwurzelte Menschen einzusammeln. Merkels Migrationspolitik wurde als Störung dieser Gemeinschaft empfunden. Auf Ablehnung stieß die entgrenzte Zuwanderung schnell überall in Deutschland, aber nirgendwo war die Entfremdung zwischen etablierten Parteien und Wählern so tief wie im Osten.

Die Neigung vor allem der Ampelparteien und ihres Mikado-Kanzlers, auch nach dramatischen Wahlniederlagen – so wie zuletzt bei der Europa-Klatsche – routiniert wieder zur Tagesordnung überzugehen, in der Asylpolitik, beim Bürgergeld, verstärkt gerade im Osten die Zweifel an der Problemlösungskompetenz der Etablierten. Das trifft auch die CDU, die ja nach der Exkommunikation der Konservativen durch Angela Merkel vielerorts Bündnisse mit SPD und Grünen eingehen musste. Dass die liberale Demokratie im Osten jetzt vor dem ultimativen Stresstest steht, ist das Gemeinschaftswerk von Parteien, die es besser als ihre Wähler zu wissen glaub(t)en.

Georg Anastasiadis