Getarnt als Lobgesänge auf Putin: Russische Politiker feiern Nazi-Gedichte

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Unter einem Pseudonym veröffentlicht ein russischer Journalist Gedichte, die Putin und den Ukraine-Krieg positiv hervorheben. Was niemandem auffällt: Es sind umgemünzte Nazi-Gedichte.

Moskau – Hunderte russische Abgeordnete und Senatoren haben sich in den vergangenen Monaten an kriegsverherrlichenden Gedichten des vermeintlichen Poeten Gennady Rakitin erfreut. Die Gedichte stellen augenscheinlich einen Lobgesang auf Putin und dessen Ukraine-Krieg dar. Der Haken: Die Gedichte sind lediglich umformulierte nationalsozialistische Gedichte aus dem Zweiten Weltkrieg, der Ersteller ein im Exil lebender Anti-Putin-Journalist.

Ab Mitte 2023 erschienen auf der russischen Version von Facebook auf dem Profil von „Gennady Rakitin“ insgesamt 18 Gedichte. Die Seite gab die Dichtungen als zeitgenössische patriotische Pro-Kriegs-Gedichte aus. Ein mit KI erstelltes Foto zeigte den vermeintlichen Poeten mit silbernem Haar und Spitzbart, wie das US-Portal Newsweek berichtet. Hinter dem Pseudonym steckt der im Exil lebende Journalist Andrey Zakharov. Anfang Juni machte Zakharov öffentlich, dass es sich bei dem Profil um einen Streich handelte.

Wladimir Putin
Viele russische Politiker fielen auf die Werke eines vermeintlichen Poeten rein: Aus einem Gedicht über Adolf Hitler aus NS-Zeiten wurde etwa ein Lobgesang auf Putin und dessen Invasion der Ukraine. © IMAGO/Sergei Guneyev

Russischer Journalist teilt umgemünzte Nazi-Gedichte: Hochrangige Kreml-Politiker feiern falschen Poeten

Ein Streich, der ohne die Enthüllung des Journalisten wohl länger nicht aufgeflogen wäre: Die Gedichte wurden monatelang von hochrangigen Kreml-Politikern gelobt und gefeiert. Zakharov sagt, dass rund 100 russische Abgeordnete, 30 Senatoren und Dutzende anderer Kreml-Funktionäre Rakitins „Freunde“ in dem russischen sozialen Netzwerk VKontakte wurden. Darunter Putins Vorsitzende des Kulturausschusses Elena Yampolskaya oder Dmitry Rogozin, ein russischer Senator, wie The Telegraph berichtet. Eines der vermeintlich neuen Gedichte über den Ukraine-Krieg schaffte es in einem Wettbewerb für „Gedichte über die Verteidiger des Vaterlandes“ ins Halbfinale.

Gedichte aus NS-Zeit für Pro-Kriegs-Propagandisten: Deutschland wird zu Russland, Hitler zu Putin

Ein Gedicht namens „Der Führer“ wurde neben einem Foto von Putin veröffentlicht. Es beschrieb den russischen Präsidenten als einen „Gärtner“, der die „Früchte harter Arbeit“ erntet, der von seinem Volk geliebt wird und dessen „Unsterblichkeit steigert“. Doch auch dies war ursprünglich kein von Putins Invasion, die auch viele russische Opfer fordert, inspiriertes Gedicht – sondern die Übersetzung eines Verses über Adolf Hitler aus 1938. Die Originalversion des Führer-Gedichts stammt von Eberhard Wolfgang Möller, einem bekannten Autor der NS-Zeit.

Eine Ode an die Nazi-Sturmtruppen erschien im Russischen und leicht umgemünzt als Tribut an die Kämpfer der Wagner-Söldnertruppe, von denen zuletzt Tausende in Bachmut ihr Leben verloren. „Offensichtlich ist es nicht schwierig, ein patriotisches Gedicht als ein anderes auszugeben. Deutschland wird durch Russland ersetzt und zum Beispiel wird aus dem ‚namenlosen Sturmtruppler‘ der ‚namenlose Wagner-Söldner‘“, sagt Zakharov.

Russland sperrt falschen Dichter in sozialen Netzwerken – Journalist wollte Kreml mit Aktion „demütigen“

Nachdem klar wurde, dass die vermeintlichen Lobgesänge auf Putin nur umgeschriebene Gedichte aus dem nationalsozialistischen Deutschland waren, beantragte die russische Generalstaatsanwaltschaft die Sperrung des fiktiven Poeten innerhalb Russlands. „Das Werk des Dichters ist von IP-Adressen anderer Länder aus zugänglich“, schreibt der Journalist Zakharov auf X (ehemals Twitter).

Der Journalist erklärte, er habe die Gedichte veröffentlicht, um den Kreml zu demütigen, der seine Invasion der Ukraine wiederholt als „Kampf gegen Nazis“ rechtfertigt. Präsident Putin vergleicht den seit mehr als zwei Jahren andauernden Krieg mit der Rolle der Sowjets bei der Besiegung von Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg und betitelt den Angriffskrieg als „Entnazifizierung“ der Ukraine. Die Aufklärung erfolgte schließlich, weil „es moralisch erschöpfend war, endlos in der Düsternis der russischen Z-Welt zu sein“. Das Z gilt als Militär- und Propagandazeichen Russlands. (nbe)

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