343 Minuten Verspätung, keine Toilette, Evakuierung: ICE-Fahrt nach München wird zur Tortur
Von entspannter Reise keine Spur. Die ICE-Fahrt von Hamburg nach München wurde am Samstag für hunderte Fahrgäste zur Belastungsprobe – samt Zug-Evakuierung.
München – Deutsche Bahn und Verspätungen oder Ausfälle, ein leidiges wie bekanntes Thema. Nicht zuletzt ist das den Reisenden bestens bekannt seit der vielen Bahn-Streiks der GDL in jüngerer Vergangenheit, bis es zu einer Einigung mit dem Konzern kam. Reibungslose Abläufe sind dadurch allerdings längst nicht garantiert. Besonders ärgerlich wurde es indes für hunderte Fahrgäste am Samstagabend (13. April) auf dem Weg von Hamburg nach München. Ein Reporter unserer Redaktion war zufällig an Bord des Zuges und schildert das volle Dilemma – Evakuierung inklusive.
Die erste Hälfte des Weges lief reibungslos. Der ICE startete mit lediglich wenigen Minuten Verspätung in Hamburg, war bei den nächsten Halten in Berlin-Spandau, Berlin-Hauptbahnhof und Berlin-Südkreuz pünktlich auf Kurs. Von dort an sollte es auf direktem Wege ohne Zwischenhalt bis Nürnberg, dann direkt weiter nach München gehen. Planmäßige Ankunftszeit: 20.02 Uhr. Ab 17.45 Uhr ging dann allerdings erstmal nichts mehr und die Tortur begann.
Stromversorgung im ICE nach München bricht zusammen – Klimaanlage kaputt, Toiletten defekt
Praktisch mit der Ausfahrt aus dem sieben Kilometer langen Finnetunnel an der Grenze zwischen Thüringen und Sachsen-Anhalt kam der ICE außerplanmäßig zum Stopp. Auch das kann auf viel befahrenen Zugstrecken durchaus mal passieren. Der Vorfall war allerdings weitaus schwerwiegender. Aufgrund eines technischen Problems war keine Verbindung zur Oberleitung mehr möglich, informierte das Zugpersonal die Fahrgäste im ICE, wie unser Reporter sich erinnert.
Das Problem: Durch den verlorenen Kontakt zur Oberleitung brach auch die Stromversorgung für den Zug ab. Kein Strom bedeutet auch gleichzeitig keine Klimaanlage. Das bestätigte auch die Bahn nach Medienberichten der dpa. Die Luft wurde zunehmend schlechter. Im Zug kam allerdings noch eine weitere Problematik dazu. Der Wechsel auf Notstrom im ICE zwang den Zugführer zu einer erneuten Durchsage, die ihm laut eigener Aussage selber „etwas peinlich“ war: Auch sämtliche Toilettenspülungen im Zug fielen aus. Man bat alle Fahrgäste, die Toiletten möglichst nicht mehr aufzusuchen.
ICE auf dem Weg nach München evakuiert – hunderte Fahrgäste müssen den Zug wechseln
Ebenfalls wurde zu diesem Zeitpunkt bereits klar: Der Zug wird hinter dem Tunnel kurz vor Essleben seine Fahrt nicht mehr fortsetzen können, alle Neustart-Versuche scheiterten. Auch der hinzugerufene Notfallmanager, der schnell nach Feststellung der Probleme am Zug ankam, konnte nichts ausrichten. Wie der Zugführer dann informierte, blieb als letzte Möglichkeit nur noch die Evakuierung in einen neuen Zug auf dem Parallelgleis. Bei vom Zugführer durchgegebenen 600 Fahrgästen mit Gepäck ein großes Unterfangen. Die Bahn korrigierte die Zahl offiziell etwas nach unten, nannte 450 Fahrgäste.

Allerdings geht so eine Evakuierung hunderter Personen samt Gepäck nun mal nicht schnell. Schnell wurde hingegen die Luftqualität in den Abteilen schlechter. Wenig verwunderlich bei gut 20 Grad Außentemperatur und ohne Klimaanlage. Zum Ausgleich gab es Gratis-Wasser im Zug – für die Fahrgäste allerdings ein schwacher Trost. Die Mitarbeitenden im Zug taten allerdings ihr Möglichstes, um die Lage zu verbessern, wie unser Reporter berichtet. So auch der Versuch, wenigstens vereinzelt Türen zu öffnen, um Leute an die frische Luft zu lassen. Dies bedurfte allerdings zahlreicher Klärungsschleifen etwa mit den Fahrdienstleitern, da um Gefahr zu verhindern auch das Parallelgleis hierfür gesperrt werden musste, wie das Personal via Durchsage informierte.
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Stundenlange ICE-Evakuierung – Belastungsprobe auch für Bahn-Personal und Freiwillige Feuerwehr
Nach einiger Zeit gelang es dann, nach abgeklärter Gleis-Sperrung, immerhin, pro Zugteil eine Tür zu öffnen, um Leute via Nottreppe an die frische Luft zu lassen. Allerdings durchzog als Auswirkung der außerplanmäßig geöffneten Tür von da an nicht nur ein kleiner Luftzug, sondern auch ein lautes, durchgängiges Piepen die Abteile. Kurz darauf rückten dann auch Einsatzwagen der Freiwilligen Feuerwehr aus der Region an, um die Evakuierung zu unterstützen. Ein leerer ICE aus Halle machte sich auf den Weg, um die gestrandeten Fahrgäste aufzunehmen.
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Der Evakuierungszug traf um 20.13 Uhr, quasi in den Sonnenuntergang hinein, an der Notfall-Stelle ein. Die Feuerwehr stellte Strahler auf, baute Notfall-Treppen auf. Der Zug wurde Wagon für Wagon evakuiert, die zahlreichen Passagiere samt Gepäck vom alten in den neuen Zug gebracht. Dass die ganze Prozedur ohne großartiges Gemecker oder größere Probleme ablief, lag sicherlich zu guten Teilen auch am Bahn-Personal vor Ort, das mit zahlreichen Durchsagen die Leute vor Ort stets auf aktuellem Stand hielt und Ruhe ausstrahlte.

Bahn-Chaos auf dem Weg nach München – Fahrgäste werden medizinisch versorgt
Mit der Evakuierung waren die Probleme allerdings keinesfalls ausgemerzt. Stattdessen hatten die schlechte Luft im kaputten Zug und die Aufregung um die Evakuierung auch für medizinische Probleme gesorgt. Das Personal informierte via Durchsage, die Abfahrt des neuen Zuges verzögere sich, bis eine Notarztbetreuung bei einem Fahrgast abgeschlossen sei – auch ein Bundeswehrsoldat eilte zur Hilfe, wie unser Reporter mitbekam. Auch die Bahn bestätigte später, einige Fahrgäste hätten unter Kreislaufproblemen gelitten und seien medizinisch versorgt worden. Erst nach guten vier Stunden Aufenthalt setzte sich der Evakuierungszug in Bewegung.
Allerdings waren die Probleme damit längst nicht aus der Welt geschafft. Zwar funktionierte nun die Klimaanlage wieder, es gab auch funktionierende Toiletten und das Zugpersonal verteilte Schokolade an die Fahrgäste. Wegen der langen Wartezeit herrschte im Bordbistro bereits Hochkonjunktur. Doch kurz hinter Erfurt, keine Stunde später, hielt auch der Evakuierungszug außerplanmäßig an, diesmal sogar in einem Tunnel. Wieder meldete sich der Zugführer, wieder mit einem technischen Problem am Zug. Man empfange keine Signale von der Strecke mehr, hieß es noch, bevor die restliche Durchsage im Aufstöhnen der Fahrgäste unterging.
Auch Evakuierungszug mit technischem Problem – Ankunft in München mit 343 Minuten Verspätung
Weitere mehr als 30 Minuten und einen kompletten Systemneustart später hatte man allerdings bewirken können, dass die Fahrt fortgesetzt werden konnte. In der Folge kam es noch zu kleineren außerplanmäßigen Halten, die allerdings nur noch ein Tropfen auf dem heißen Stein der angesammelten Verspätung waren. Mit 343 Minuten Verspätung erreichte unser Reporter schließlich um 1.45 Uhr in der Früh den Münchner Hauptbahnhof. Aus geplanten knapp sechs Stunden Fahrzeit wurden beinahe 12 Stunden. Weiterreisende ab Nürnberg oder München, die ihren Anschluss verpasst hatten, konnten sich anschließend ein Hotelzimmer am Bahn-Schalter im Münchner Hauptbahnhof organisieren lassen.
Für einige Weiterreisende aus München war das Dilemma allerdings längst nicht vorbei. Denn in der bayerischen Landeshauptstadt wartete dann sogleich eine Baustelle auf der S-Bahn-Stammstrecke und die damit verbundene Sperre auf die leidgeplagten ICE-Gäste.
Der in Thüringen liegengebliebene Pannen-Zug hatte übrigens noch weitere Auswirkungen auf den Bahn-Verkehr. Die ICE-Strecke musste bis in die Nacht zu Sonntag gesperrt werden, weil der Zug abgeschleppt wurde. Züge zwischen Berlin und München seien in der Zeit zwischen 18.00 Uhr und 0.45 Uhr umgeleitet worden, gab die Bahn an. (han/ mit Material der dpa)