„Hochattraktiv“ – und zwischen den Lagern: Ein Land wird für Trump, Putin und Ukraine-Krieg immer wichtiger

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Die Geopolitik wandelt sich enorm. Bei den zahlreichen Akteuren geht ein bedeutendes Land oft unter.

Straßburg/Neu-Delhi – Spätestens seit Beginn des Ukraine-Krieges entwickelt sich eine neue Weltordnung – mit vielen Machtzentren. Russland attackiert die Sicherheitsarchitektur in Europa, China beansprucht Taiwan. Unterstützt werden beide Verbündete von Nordkorea und dem Iran. Die Achse der Autokratien fordert einen gemeinsamen Feind heraus: die USA – auch die Verhandlungen über einen Frieden im Ukraine-Krieg ändern diese Konstellation nicht grundlegend.

Aber: Ein zunehmend bedeutsamer internationaler Akteur, der in vielen Fragen zwischen beiden Lagern steht, fehlt in vielen Rechnungen: Indien. Das meint auch Angelika Niebler. Die stellvertretende CSU-Parteichefin ist als Abgeordnete im Europäischen Parlament die Vorsitzende der Indien-Delegation. „Indien will sich nicht an einen globalen Akteur binden. Nicht an Russland oder die USA. Und an China schon gar nicht“, sagte Niebler dem Münchner Merkur.

Das Verhältnis zwischen Indien und China ist angespannt

China und Indien sind seit Jahrzehnten Rivalen. Hauptgrund ist der Konflikt entlang der gemeinsamen Grenze im Hochgebirge des Himalayas. Sie basiert auf einer Grenzziehung der einstigen britischen Kolonialherren – weder Indien noch China haben sie gänzlich akzeptiert. Im Jahr 1962 führten die bevölkerungsreichsten Länder der Welt einen kurzen Grenzkrieg, den China gewann. Erst Anfang der 1990er-Jahre einigten sich beide auf den Status quo, bis eine endgültige Lösung gefunden werde.

Doch 2017 gerieten Indien und China wieder aneinander. Auch Bhutan war an den Zusammenstößen im Dreiländereck beteiligt. Im Frühjahr 2020 prügelten Soldaten beider Staaten aufeinander ein und bewarfen sich mit Felsbrocken. Mindestens 20 indische Soldaten und eine unbekannte Anzahl chinesischer Kämpfer verloren bei den Auseinandersetzungen ihre Leben. Manche Quellen sprechen von 60 Toten.

Im Oktober 2024 näherten sich beide Länder wieder an. Beim BRICS-Gipfel trafen sich der indische Regierungschef Narendra Modi und der chinesische Staatschef Xi Jinping bei einem persönlichen Gespräch. Beide Politiker setzten damit einen Neustart in den schwierigen diplomatischen Beziehungen in Gang und versprachen öffentlich, das Verhältnis zu verbessern. Ein Akteur könnte bei der Annäherung eine wichtigere Rolle spielen: Russland.

Indien verurteilt Putins Invasion in die Ukraine nicht

Das Land gilt als enger Verbündeter Chinas. Beobachter beschreiben die Beziehung zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und Xi fast als freundschaftlich. Zudem verbindet Russland und Indien seit Jahrzehnten eine enge wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit. Neu-Delhi hat Putins Einmarsch in die Ukraine nicht verurteilt. Die Ölimporte aus Russland sind in den vergangenen drei Jahren drastisch gestiegen.

Der internationale Vorwurf lautet: Indien finanziert Putins Kriegsmaschinerie zu einem wesentlichen Teil. Modi konterte mit dem Hinweis auf die „stabile und freundschaftliche“ Beziehung zu Moskau. Zudem sei die indische Bevölkerung enorm von russischer Energie abhängig. Seit 2022 sind die russischen Ölexporte nach Indien um das Zwanzigfache gestiegen. Indiens Kohleeinfuhren aus Russland haben sich im selben Zeitraum verdreifacht. Zudem umgeht der Kreml die westlichen Sanktionen im Energiesektor mit enormer Unterstützung Modis.

Angelika Niebler verschränkt ihre Arme und lächelt.
Angelika Niebler ist die Vorsitzende der EU-Delegation für die Beziehungen zu Indien. © Privat

Niebler fordert deshalb stärkere EU-Sanktionen gegen Indien: „Wenn wir unsere europäischen Sicherheitsinteressen verteidigen, müssen wir indische Schiffe und Unternehmen, die Putin bei der Umgehung westlicher Sanktionen unterstützen, stärker sanktionieren. Wir können für niemanden eine Ausnahme machen.“

Russland und Indien: EU arbeitet an weiteren Sanktionen

Aktuell arbeite die EU an konkreten Sanktionen – auch für Russland. „Wir können nicht zulassen, dass unsere Stromversorgung und Telekommunikationskabel mit Ankern auf dem Meeresboden zerstört werden. Das ist eine ernste Gefahr. Wir bereiten verschiedene Maßnahmen vor, weil wir natürlich ein hohes Sicherheitsinteresse haben“, erklärt Niebler. Zurzeit prüfe die EU, wie sie rechtlich gegen die hybride Kriegsführung vorgehen kann.

Donald Trump und Narendra Modi unterhalten sich.
US-Präsident Donald Trump spricht mit dem indischen Premierminister Narendra Modi während einer Pressekonferenz im East Room des Weißen Hauses. © Ben Curtis/dpa

Gleichzeitig will sich die Europäische Union ihre Beziehungen zu Indien nicht zerstören. Der Grund: Mit über 1,4 Milliarden Einwohner ist das Land laut Niebler ein „hochattraktiver Absatzmarkt – unter anderem in den Bereichen Maschinenbau und Automobilindustrie“. Zudem seien Indien und Europa durch ihre grundsätzliche demokratische Werteorientierung verbunden. Allerdings sieht die EU-Abgeordnete auch Unterschiede. „Wir haben eindeutig andere Vorstellungen über Menschenrechte, Chancengleichheit, Gleichberechtigung und den Umgang mit Minderheiten.“

Die Bedeutung Indiens im internationalen Geflecht verdeutlicht die mögliche Schlüsselrolle des Landes bei der Beendigung des Ukraine-Krieges – zumindest indirekt. Am 23. Januar hatte US-Präsident Donald Trump beim Weltwirtschaftsforum in Davos angekündigt: „Ich werde Saudi-Arabien und OPEC fragen, die Ölkosten zu verringern“. Er fügte an: „Wir müssen sie verringern und ich bin ehrlich gesagt überrascht, dass man das nicht schon vor der Wahl getan hat.“ Eine Senkung des Ölpreises könne den Ukraine-Krieg „sofort“ beenden. Hier kommt Indien ins Spiel.

Öl-Exporte nach Indien: Putins Russland droht herber finanzieller Verlust

Sollte das Land wegen weltweit sinkender Preise weniger Öl aus Russland importieren und sich stärker an Exporten aus dem Nahen Osten bedienen, wäre das ein harter – wenn nicht sogar fataler – Schlag für Putins Kriegskasse. „Das wäre ein geschickter Move“, meint Niebler. Sie sieht einen weiteren positiven Effekt: „Wenn der Ölpreis auf dem Weltmarkt sinkt, hätte das auch gute Auswirkungen für unsere europäischen Verbraucher. Insofern könnte ich diesen Schritt nur begrüßen.“ Indien hat bereits Interesse signalisiert, Öl aus anderen Staaten zu kaufen.

Die jüngsten US-Sanktionen gegen russische Ölkonzerne und Schiffe von Putins Schattenflotte verunsichern offenbar indische Handelspartner. Infolge der neuen Sanktionen blockierten indischen Finanzinstitute Zahlungen für Rohöl aus Russland. Laut internationalen Medienberichten erwägen indische Raffinerien, auf russisches Öl zu verzichten.

Indiens Offenheit für die Zusammenarbeit mit vielen Akteuren zeigte auch Modis jüngster Besuch bei Trump. Bei einer Pressekonferenz verkündeten die Staatsmänner eine Vertiefung der strategischen Partnerschaft. Der Handel zwischen den USA und Indien soll in den kommenden fünf Jahren auf 500 Milliarden Dollar verdoppelt werden. In den Bereichen künstliche Intelligenz und Halbleiter wollen die Staaten enger zusammenarbeiten. Ein weiterer Fokus soll auf dem Aufbau starker Lieferketten für strategische Mineralien wie Lithium und seltene Erden liegen.

Indien und USA unter Trump vertiefen wirtschaftliche Zusammenarbeit

Laut Trump kündigte Modi eine Senkung der Zölle auf US-Produkte an. Um das jährliche US-Handelsdefizit von rund 45 Milliarden US-Dollar auszugleichen, werde Indien mehr Öl und Gas von den USA kaufen. Zudem würden die Importe von US-Waffen steigen. „Wir werden den Verkauf von Rüstungsgütern an Indien um viele Milliarden Dollar erhöhen“, teilte Trump mit. Der Republikaner stellte Modi den Verkauf modernster Tarnkappen-Kampfjets vom Typ F-35 in Aussicht.

Der Handel im militärischen Bereich ist besonders erwähnenswert, weil Indien in diesem Bereich in der Vergangenheit vor allem mit Russland Geschäfte machte. In den vergangenen zwei Jahrzehnten bediente Moskau rund zwei Drittel der indischen Waffenkäufe. Laut dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut lag der Gesamtwert bei über 60 Milliarden Dollar. Nun könnten Modi und Trump eine Kehrtwende eingeläutet haben. Eine Stärkung des indischen Militärs gegenüber China ist auch im Interesse der USA. (Jan-Frederik Wendt)

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