Geschlechtseintrag leichter ändern: Expertin sieht keine Gefahr von „inflationärer Nutzung“
Die Ampel will die Rechte für transgeschlechtliche Menschen stärken. Auf einen Nenner kommen die Sachverständigen bei dem Selbstbestimmungsgesetz aber nicht.
Berlin – Wie divers die Stimmen in der Debatte sind, wird schon vor den Bundestagstüren sichtbar. Dort stehen Frauen und protestieren. „Ja zu Frauenrechten! Nein zum Selbstbestimmungsgesetz“, steht auf einem Banner. Frauen, die also dagegen sind, dass künftig Menschen schneller ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ändern können. An diesem Dienstagmorgen steht die öffentliche Anhörung im Bundestag zum Selbstbestimmungsgesetz von SPD, Grüne und FDP an.
Dieses Selbstbestimmungsgesetz erhitzt die Gemüter schon seit Monaten. Die Ampel-Koalition hatte sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, das in die Jahre gekommene Transsexuellengesetz von 1980 zu ersetzen. Die Rechte von transgeschlechtlichen Menschen sollen jetzt gestärkt werden. Eines der Kernelemente: Die zwei psychiatrischen Gutachten sowie der eine Gerichtsbeschluss sollen künftig nicht mehr nötig sein, um den Geschlechtseintrag und Vornamen zu ändern. Eine einfache Erklärung beim Standesamt soll ausreichen. Weniger diskriminierend, weniger bürokratisch.
Die Sachverständigen sind uneins beim Selbstbestimmungsgesetz
So einfach das Vorhaben klingt, so unterschiedlich wird es betrachtet. Die Besucherränge bei der öffentlichen Anhörung im Bundestag sind gut gefüllt. Jemand trägt eine Jacke in Regenbogen-Farben. Ein Statement für Vielfalt und Offenheit. Unten im Anhörungsraum machen sich Abgeordnete der AfD immer wieder lustig über bestimmte Begriffe oder Darstellungen der geladenen Experten. Welten prallen aufeinander.
Die Sachverständigen sind zur öffentlichen Anhörung gekommen, um die rechtlichen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Dimensionen des Selbstbestimmungsgesetzes zu analysieren.
Es ist vor allem der Kinderschutz, bei dem die Meinungen bei den geladenen Experten weit auseinander gehen. Der Entwurf sieht vor, dass über 14-Jährige ihren Geschlechtseintrag selbst ändern können, wenn die Sorgeberechtigten zugestimmt haben. Im Konfliktfall entscheidet das Familiengericht. Bei unter 14-Jährigen müssen die Eltern diese Erklärungen einreichen.
Vor allem Pläne für Kinder und Jugendliche werden unter die Lupe genommen
Betroffene Kinder werden damit „in eine Situation gebracht, die sie hoffnungslos überfordert“, kritisiert Professor Bernd Ahrbeck, von der Internationalen Psychoanalytischen Universität Berlin. „14-Jährige befinden sich in einer lebensgeschichtlichen irritierenden, häufig vulnerablen Lebenssituation“, sagt Ahrbeck. Während in anderen Bereichen Schutzfunktionen greifen würden, wäre das bei dem geplanten Gesetz nicht der Fall.
Anders sieht es Professor Sibylle Winter von der Charité-Universitätsmedizin in Berlin. „Es ist unbestritten, dass viele Jugendliche in Pubertät eine kritische Auseinandersetzung mit sich, ihrem Körper und ihrem Geschlecht haben“, sagt Winter. Allerdings sei durch das Selbstbestimmungsgesetz nicht davon auszugehen, „dass eine inflationäre Nutzung“ des erleichterten Geschlechtseintrags einsetzt. Die erfolgt laut der Kinder- und Jugendpsychiaterin Winter „nur nach langjähriger Auseinandersetzung oder bei sehr hohem Leidensdruck“.
Rechtswissenschaftlerin: Gesetz klärt den Geschlechtseintrag nicht die medizinische Transition
Unmittelbar mit dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz verknüpft, ist auch die Diskussion über die medizinische Geschlechtsangleichung, der sogenannten Transition, von transgeschlechtlichen Menschen. „Wenn der Weg einmal beschritten worden ist, wird man lebenslang zum Patienten“, warnt Professor Aglaja Stirn, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Und weiter: Das Risikopotential des Ampel-Vorhabens sei größer als der Nutzen.
Professor Bettina Heiderhoff, Rechtswissenschaftlerin, von der Universität Münster, mahnt bei dem Kern des Gesetzes zu bleiben. Sie stellt klar: „Wir sollten zunächst daran denken, dass es ja nur um den Geschlechtseintrag geht, das ist nichts wirklich Gefährliches, nichts, was man auch wieder umkehren könnte.“ Das Gesetz sei für transgeschlechtliche Menschen, vielmehr ein Instrument, „das von der staatlichen Bevormundung weg, zur Privatautonomie hinführen soll“.
Tessa Ganserer: Deutschland plant „nicht etwas völlig Neues“
Die Anhörung zeigt: Es ist eine rechtliche, familienpolitische und medizinische große Aufgabe, das Selbstbestimmungsgesetz in die Wege zu leiten. Und ist es an der Zeit. Schon 2015 hat der Europarat eine Resolution gegen die Diskriminierung von transgeschlechtlichen Menschen verabschiedet. „Beim gesellschaftlichen Diskurs um das Selbstbestimmungsgesetz könnte man den Eindruck gewinnen, als würden erst durch das Gesetz plötzlich die Menschen trans werden“, sagt Tessa Ganserer (Grüne), erste transgeschlechtliche Bundestagsabgeordnete. Doch: „Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt transgeschlechtliche Menschen in allen Teilen der Gesellschaft und Berufsgruppen: im Deutschen Bundestag, bei der Bundeswehr, bei der Polizei“, sagt Ganserer. Und die Ampel-Koalition „nicht etwas völlig Neues planen“, vielmehr haben bereits „zahlreiche europäische Länder die Forderung des Europarats“ umgesetzt.