100-Tage-Bilanz für Merz: Geht es mit der deutschen Wirtschaft voran?
Kanzler Merz will der deutschen Wirtschaft wieder auf die Beine helfen. Doch in einer Umfrage zeigen sich Wirtschaftsentscheider enttäuscht. Ein Überblick über die ersten 100 Tage.
Berlin – Bei seiner ersten Regierungserklärung im Mai machte Kanzler Friedrich Merz (CDU) eine große Ankündigung: Schon im Sommer sollten die Deutschen spüren – „hier verändert sich etwas zum Guten, hier geht es jetzt voran“. Nun ist der Sommer schon etwas länger ins Land gezogen, doch die Stimmung ist eher verhalten. Was hat die schwarz-rote Koalition in den 100 Tagen für die deutsche Wirtschaft getan?
100 Tage Merz: Deutsche Wirtschaft schwächelt weiter
Die Zahlen zeigen: Der deutschen Wirtschaft geht es unter Merz nicht schlechter – aber insgesamt gibt sie immer noch ein recht kraftloses Bild ab. Nach dem unerwarteten Mini-Wachstum zum Jahresauftakt ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nämlich im zweiten Quartal geschrumpft: Es fiel 0,1 Prozent niedriger aus als im Vorquartal, wie das Statistische Bundesamt Ende Juli mitteilte.

Immerhin: Der Ifo-Geschäftsklimaindex – das wichtigste deutsche Konjunkturbarometer – stieg im Juli den fünften Monat in Folge. Es verharrt aber auf vergleichsweise niedrigem Niveau. „Der Aufschwung der deutschen Wirtschaft bleibt blutleer“, sagte deshalb Ifo-Präsident Clemens Fuest. Für das laufende Jahr sagen die Münchner Forscher lediglich ein Wachstum von 0,3 Prozent voraus. Deutschland war als Europas größte Volkswirtschaft sowohl 2023 als auch 2024 geschrumpft.
Auch ein Konsumboom ist nicht in Sicht. Die Verbraucher zeigten sich zuletzt knausrig: Das für August berechnete Konsumklima-Barometer trübte sich um 1,2 auf minus 21,5 Punkte ein, wie die Institute GfK und NIM zu ihrer Umfrage mitteilten. „Die Verbraucher halten es mehrheitlich nach wie vor für ratsam, das Geld eher zurückzuhalten und nicht für größere Anschaffungen zu verwenden“, sagte NIM-Experte Rolf Bürkl.
Und was hat die Regierung getan? Sie möchte die Wirtschaft vor allem mit milliardenschweren Steuerentlastungen für Unternehmen wieder in Schwung bringen. Beschlossen wurde unter anderem:
Das Steuerpaket: Booster für die Wirtschaft
Konkret sollen Unternehmen ihre Ausgaben für Maschinen und Geräte im laufenden und in den nächsten zwei Jahren degressiv von der Steuer abschreiben können – und zwar mit bis zu 30 Prozent. Dadurch sinkt direkt nach einer Anschaffung die Steuerlast und Firmen haben schneller wieder mehr Geld zur Verfügung.
Die degressive Abschreibung soll vor allem in der unmittelbaren Phase nach einer Investition entlasten. Firmen sollen dadurch schneller wieder Geld haben, um neu investieren. Das Instrument greift aber nur bei Unternehmen, die ausreichend Geld für den Kauf von Maschinen und Geräten haben.
Wenn der sogenannte Booster ausgelaufen ist, soll ab 2028 schrittweise die Körperschaftsteuer sinken – und zwar von derzeit 15 Prozent auf zehn Prozent im Jahr 2032. Das soll die Liquidität in den Unternehmen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit stärken. Außerdem wird der Kauf eines reinen Elektroautos für Unternehmen steuerlich attraktiver.
Der Kampf gegen Schwarzarbeit
Hier geraten Barbershops, Kosmetik- und Nagelstudios ins Visier. Ihre Beschäftigten sollen für mögliche Kontrollen künftig immer den Personalausweis dabeihaben – ähnlich wie bisher schon in der Baubranche und der Gastronomie.
Außerdem soll die Finanzkontrolle Schwarzarbeit schlagkräftiger gegen schwere Wirtschaftskriminalität und organisierte Kriminalität werden. Geplant sind eine bessere digitale Vernetzung und ein besserer Datenaustausch zwischen Behörden. Um die Justiz zu entlasten, soll die Finanzkontrolle Betrugsfälle selbstständig ahnden können.
Eine Entlastung bei Gaspreisen: Gasspeicherumlage wird abgeschafft
Unternehmen und Verbraucher werden von den Kosten der Gasspeicherumlage befreit. Die Gasspeicherumlage war während der Gaskrise 2022 eingeführt worden, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Die Energiewirtschaft wurde so verpflichtet, die Gasspeicher mit teurem Gas zu befüllen, die entstandenen zusätzlichen Kosten wurden auf die Endverbraucher umgelegt.
Die Gasspeicherumlage soll künftig vom Bund finanziert werden. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) sprach von einer Entlastung von rund 3,4 Milliarden Euro. Laut Gesetzentwurf macht diese Umlage derzeit für Haushaltskunden rund 2,4 Prozent und für Großkunden rund 5 Prozent des Gaspreises aus. Dazu kommt außerdem noch eine Senkung der Netzentgelte, ein Bestandteil des Strompreises. Die Bundesregierung hat zudem beschlossen, die Senkung der Stromsteuer für das produzierende Gewerbe ab 2026 zu verstetigen.

Das Tariftreuegesetz bei öffentlichen Aufträgen
Bei öffentlichen Aufträgen des Bundes ab 50.000 Euro sollen Firmen ihre Beschäftigten nach Tarifbedingungen bezahlen müssen. Sie müssen damit Entgelt, Weihnachtsgeld, Urlaub und Ruhezeiten wie in branchenüblichen Tarifverträgen gewähren. Aufträge zur Beschaffung für die Bundeswehr sind ausgenommen.
Außerdem soll die Vergabe öffentlicher Aufträge einfacher, schneller und digitaler werden. Dafür sollen Wertgrenzen für Direktaufträge erhöht werden. Ziel ist, dass zum Beispiel Gelder aus dem Sondervermögen für die Instandsetzung der Infrastruktur schnell fließen können.
Geplante Milliarden-Investitionen der Bundesregierung in die Verteidigung und die Infrastruktur sollen darüber hinaus der deutschen Wirtschaft helfen.
100 Tage Merz: Das sagen Experten
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm zieht eher ein ernüchterndes Fazit. Zwar habe die Wirtschaft die Hoffnung auf Besserung und einige Stimmungsindikatoren gingen nach oben. „Aber die Regierung hat bisher nicht geliefert“, sagte Grimm den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Grimm forderte Steuersenkungen für Unternehmen sowie den Abbau von Regulierung – „von den Rahmenbedingungen am Arbeits- und Wohnungsmarkt über die Regelungen zum Klimaschutz bis zum Datenschutz“. Stattdessen werde neue Bürokratie aufgebaut wie bei dem Tariftreuegesetz. „Deutsche Unternehmen werden von einem wahren Regulierungsdickicht ausgebremst“, beklagte sie.
Auch Unternehmer und leitende Angestellte zeigen sich in einer repräsentativen Umfrage der Meinungsforscher von Civey für die WirtschaftsWoche enttäuscht: Demnach sind 59 Prozent der Befragten unzufrieden oder sogar sehr unzufrieden mit der bisherigen Leistung von Kanzler Merz.
Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier meint, es sei sichtbar, dass die Regierung versuche, die Probleme in der Wirtschaft „in den Griff zu bekommen.“ Doch: „Aber die großen Wenden sind ausgeblieben in beiden Bereichen.“ Ergebnisse könnten sich jedoch „auch noch nicht in großem Ausmaß nach 100 Tagen zeigen“. Das brauche Zeit.
Deutsche Wirtschaft: Hoffnung auf Aufschwung im kommenden Jahr
Tatsächlich gibt es für das kommende Jahr Hoffnung auf einen Aufschwung – vor allem in Bezug auf die Investitionen. „Denn mit den beschleunigten Abschreibungsregeln, einer reduzierten Unsicherheit in Bezug auf die US-Handelspolitik, einer generell etwas besseren Stimmung und der Aussicht auf massive staatliche Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung stehen die Aussichten auf ein positives Wachstum gut“, sagte der Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank, Cyrus de la Rubia, laut Reuters.
Zwar werden die Zölle, die US-Präsident Donald Trump verhängt hat, den deutschen Außenhandel belasten. Daher, meint Geraldine Dany-Knedlik, Konjunkturchefin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), seien für einen stärkeren Aufschwung die geplanten Milliarden-Investitionen aus dem Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz entscheidend. Spürbare Impulse erwarte sie im kommenden Jahr.
Auch bei der genossenschaftlichen Union Invest zeigt sich Volkswirt Michael Herzum optimistisch, dass der Aufschwung schuldenfinanziert von innen kommen kann: „Mit dem Infrastrukturpaket in Deutschland und der Steuerentlastung gibt es mittelfristig auch Impulse für mehr Wachstum. Die höheren Investitionen in die Verteidigung sollten das Wachstumspotenzial in Deutschland und Europa ebenfalls erhöhen. Wir erwarten, dass dies die Zoll-Belastungen mehr als kompensiert.“ Mit dpa, AFP, Reuters