CDU will Bürgergeld abschaffen: Woran die „neue Grundsicherung“ scheitern könnte
Die CDU will das Bürgergeld abschaffen und durch die neue Grundsicherung mit harten Sanktionen ersetzen. Ein Arbeitsmarktforscher sieht dabei hohe Hürden – und zweifelt an der Wirkung.
Nürnberg – Die CDU will das Bürgergeld „in der jetzigen Form“ abschaffen. Das betonen die Spitzen der Partei immer häufiger. „Das Bürgergeld bringt keine Arbeitsanreize, es fördert keine Integration in Arbeit und es belastet die Steuerzahler“, sagte etwa CSU-Politiker und arbeitsmarktpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Stracke, IPPEN.MEDIA. Er spricht von einem „Sprung ins Abseits“. Es sei Zeit für eine „neue Grundsicherung“, die den Fokus auf „echte Vermittlungserfolge“ lege und Bürokratie abbauen.
CDU-Pläne beim Bürgergeld vor Hürden: „Totalverweigerer schwer präzise und rechtssicher zu erfassender Begriff“
Besonders Generalsekretär Carsten Linnemann geht dabei immer wieder in die Offensive. Mit der „neuen Grundsicherung“ will die Union den Druck auf Bürgergeld-Beziehende erhöhen – etwa durch höhere Anforderungen und härtere Sanktionen. Besonders die sogenannten „Totalverweigerer“ sind dabei im Fokus der Union. Wer eine „zumutbare“ Arbeit „ohne sachlichen Grund“ ablehne, soll seine Ansprüche auf die Grundsicherung verlieren. Ebenfalls kein Geld mehr soll es geben, wenn Leistungsberechtigte mehr als einmal Termine im Jobcenter verpassen.
Ob die Pläne in dieser Form umgesetzt werden können, ist jedoch zweifelhaft. Das liegt zum einen schon am Begriff der „Totalverweigerer“, wie Arbeitsmarktforscher Bernd Fitzenberger erklärte. „Juristisch ist das aber ein schwer präzise und rechtssicher zu erfassender Begriff, man verwendet ihn für Menschen, die mehrfach Jobangebote ablehnen“, sagte der Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) dem Focus.
„Praktisch keine ‚Totalverweigerer‘ in der Statistik“: Nur Einzelfälle im Bürgergeld verweigern Arbeit
„Mit dem Begriff, wie er in den Jobcentern verwendet wird, gibt es praktisch keine ‚Totalverweigerer‘ in der Statistik.“ Es seien nur Einzelfälle, die mehrfach Jobangebote ablehnen. Laut Fitzenberger könne das auch daran liegen, dass eine rechtssichere Feststellung einer „Totalverweigerung“ eine hohe Hürde für Jobcentermitarbeitende darstelle. „Aber in einer schwachen Wirtschaftslage wie derzeit ist es aber auch so, dass Bürgergeld-Beziehenden nur selten ein Jobangebot gemacht wird“, sagte der Arbeitsmarktforscher.
Tatsächlich hatte auch die ehemalige Ampel-Koalition die Möglichkeit geschaffen, Erwerbslosen das Bürgergeld komplett zu streichen. Jobcenter haben diese Möglichkeit bereits seit Ende März. Wie oft die Totalsanktionen wegen „Totalverweigerungen“ ausgesprochen werden, weiß das Bundesarbeitsministerium jedoch nicht.
„Die CDU müsste eine Regelung finden, die verfassungskonform wäre“ – für Bürgergeld-Sanktionen
Fitzenberger kann sich jedoch nicht erklären, wie Linnemann auf eine „sechsstellige Summe“ der „totalverweigernden“ Bürgergeld-Berechtigten kommt. Linnemann habe recht damit, dass Meldeversäumnisse, also verpasste Termine im Jobcenter, oder die Nichtteilnahme an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen ebenfalls Sanktionsgründe seien. „Hier stellt sich die Frage, ob er darauf hinaus will, dass man diesen Menschen dann die vollen Leistungen streicht“, sagte der IAB-Direktor im Focus-Interview. Bei Meldeversäumnissen gibt es bereits Sanktionen. Sie sind tatsächlich der häufigste Grund, weshalb Jobcenter das Bürgergeld kürzen. Bisher sind das laut Bundesagentur für Arbeit jedoch zehn Prozent, die für einen Monat gestrichen werden.
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Härtere Sanktionen haben dagegen hohe rechtliche Hürden. „Das Bundesverfassungsgericht hat hier auch Verhältnismäßigkeit angemahnt, die rechtlichen Hürden für eine vollständige Leistungskürzung sind hoch“, verwies Fitzenberger auf das Urteil zu Sanktionen von 2019. „Die CDU müsste als erst einmal eine Regelung finden, die verfassungsrechtlich konform wäre.“ Es gebe zwar Spielräume, „aber komplett den Regelsatz und die Erstattung der Unterkunftskosten zu streichen, erscheint nach meinem Verständnis durch das Verfassungsgerichtsurteil mit sehr hohen rechtlichen Hürden verbunden zu sein“.
IAB-Direktor Fitzenberger zweifelt an pauschaler Meldepflicht für Bürgergeld-Beziehende
Fitzenberger zweifelt zudem die pauschale Pflicht der Erwerbslosen an, sich jeden Monat im Jobcenter zu melden. „Grundsätzlich ist eine Erhöhung dieser Kontaktdichte sinnvoll“, erklärte der Arbeitsmarktforscher. Die Menschen bekommen dadurch eine intensivere Betreuung und seien gezwungen, sich intensiver mit der Stellensuche auseinanderzusetzen. Die Jobcenter seien jedoch überlastet. Auch für die „Aufstocker“ könne „ein monatlicher Pflichttermin zu einem nutzlosen Ritual“ werden. Fitzenberger empfiehlt dagegen, den Jobcentern die Freiheit zu geben, „Termine so häufig anzusetzen, wie sie es auch wirklich für sinnvoll halten“.
Sanktionen allgemein sind laut dem Experten zwar notwendig, aber „nicht das Allheilmittel, um Menschen sofort in Beschäftigung zu bringen“. Der IAB-Direktor erklärte im Focus-Interview dagegen: „Es klingt paradox, aber am besten sind die Sanktionen, die man nicht aussprechen muss – also wenn sie nur im Raum stehen, um sicherzustellen, dass die Leistungsberechtigten ihrer Mitwirkungspflicht nachkommen.“
CDU will mit Bürgergeld-Abschaffung und „neuer Grundsicherung“ zehn Milliarden sparen
Durch die härteren Maßnahmen im Rahmen der „neuen Grundsicherung“, die zudem eine Abschaffung der Übergangszeit beim Schutz des Vermögens sowie der Wohnung vorsieht, will die Union laut Generalsekretär Linnemann etwa zehn Milliarden Euro einsparen. Doch auch hier bremst der Ökonom. Um das beurteilen zu können, müssten die geplanten Maßnahmen genauer spezifiziert werden. „Viel wird aber an der konjunkturellen Lage hängen.“ Die steigenden Ausgaben beim Bürgergeld seien der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung und dem Anstieg in der Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine geschuldet.