Ukraine-Krieg zwingt zum Umkleiden: Bundeswehr erhält neue Farben

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Eingekleidet zum Abtauchen: Bundeswehr-Spezialkräfte wie die Kampfschwimmer tragen schon länger das Multitarn-Schema. Bis 2029 sollen alle Kräfte der Bundeswehr ihre „Flecktarn“-Ausrüstung getauscht haben. Der Grün-Anteil wird reduziert zugunsten einer besseren „Unsichtbarkeit“ in städtischen Umgebungen. © IMAGO/Björn Trotzki

Abschied aus dem Mischwald. Die Bundeswehr will in Städten deutlich „unsichtbarer“ werden. Deshalb wird „Flecktarn“ jetzt gegen „Multitarn“ ausgetauscht.

Berlin – „Wer wider besseren Wissens auf Tarnung verzichtet, riskiert nicht nur die eigene Gesundheit“, sagt Jan Halama. Im Bundeswehr-Podcast „Nachgefragt“ hat der Heeresaufklärer und Leiter des Technologiestützpunkts Tarnen und Täuschen der Bundeswehr betont, wie dringend der Ukraine-Krieg und Wladimir Putins aggressiver Expansionsdrang alle militärischen Kräfte individuell dazu verpflichtet, mit ihrer Umgebung zu verschmelzen. Künftig wird sich auch die Bundeswehr der veränderten Vegetation neu anpassen.

„Multitarn kommt, für alle“, schreibt Waldemar Geiger. Der Autor des Militärjournals hartpunkt.de berichtet, dass die Bekleidung aller kämpfenden Kräfte umgestellt werden wird: vom jetzigen, „Flecktarn“ genannten Muster auf ein unter „Multitarn“ firmierendes Äußeres. Kein neues Muster, sondern eines, das von der Bundeswehr bereits genutzt wird. „Multitarn“ haben bisher ausschließlich die Spezialkräfte getragen, bei der Marine beispielsweise die Kampfschwimmer, im Heer das Kommando Speziakräfte (KSK) oder Fernspäher. Vom Jahr 2026 werde neue persönliche Bekleidung im Querschnitt durch die gesamte Bundeswehr das neue Tarnschema aufweisen, so hartpunkt.

Ukraine-Krieg lebt vor: Tarnen und Täuschen wieder Generaltugenden einer modernen Armee

Tarnen und Täuschen seien wieder zu den Generaltugenden einer modernen Armee zu zählen, erklärte beispielsweise Oberstleutnant Martin Winkler, Leiter des Sachgebietes „Auswertung“ im Kommando Heer, im Bundeswehr-Podcast „Nachgefragt“. Bei den Einsätzen beispielsweise in Afghanistan oder Mali waren Armeen im Gegenteil darum bemüht, wie Winkler sagte, „offen Präsenz zu zeigen und zu stabilisieren“. In einem Krieg, der wie in der Ukraine Mann gegen Mann und von Baumgrenze zu Baumgrenze geführt wird, ist das Gegenteil gefordert. Auch und vor allem aufgrund des massenhaften Auftretens von Drohnen.

„Ich sehe viele kluge Köpfe, aber sie werden nicht zusammengebracht, die Dinge versanden. Die Strukturen sind überbürokratisiert, die Bundeswehr lernt zu langsam. Und das bedeutet: Sie würde im Ernstfall wohl erst durch hohe Verluste Lehren ziehen.“

„Wenn ich mit einer Gruppe Soldaten im Gelände oder im Gefecht bin und einer tarnt nicht sein Gesicht oder nicht seinen Helm, dann gefährdet er sein Leben und vor allem das Leben seiner Kameraden“, stellt Halama fest. „Weil dann die Gefahr sehr groß ist, dass dieser eine Soldat entdeckt wird und somit die ganze Gruppe aufgeklärt wird“, sagt der Ausbilder im Podcast „Nachgefragt“. Laut hartpunkt werde bereits neue Bekleidung für die Bundeswehr-Kräfte aus dem 2022 aufgelegten Sondervermögen finanziert. In den 100 Milliarden Euro waren 2022 insgesamt 2,4 Milliarden Euro für die Erneuerung der Bekleidung und der persönlichen Ausrüstung vorgesehen – diese Neuanschaffungen erreichen in diesem Jahr die Truppe.

Gesamtkosten für die letztendliche Umstellung müsse das Bundesverteidigungsministerium aktuell noch schuldig bleiben, wie Euronews berichten. Dem Medium zufolge solle das Einkleiden zum Abtauchen dank neuem Muster aber 2028 und 2029 erfolgen. Wie die Wirtschaftswoche bereits 2016 berichtet hatte, soll sich das Verteidigungsministerium allerdings lange geweigert haben, dieses Tarnschema einzuführen.

Das neue Muster hatte sich indes hartnäckig im Militär und in der Politik gehalten, nachdem das Wehrwissenschaftliche Instituts für Werk- und Betriebsstoffe (WIWeB) in Zusammenarbeit mit der Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH (IABG) bereits 2016 in einer Studie nahe gelegt hat, dass sich die Vegetation dermaßen ändere, dass Soldaten in ihrem alten Flecktarn (5-Farben-Flecktarndruck oder kurz 5 FTD) mit einem hohen Grün-Anteil daraus hervorstechen würden, schreibt das Magazin Soldat & Technik. Wie dessen Autor Waldemar Geiger betont, sollte „zukünftige Bekleidung in einem helleren Tarndruck beschafft werden“. Offenbar hat der Ukraine-Krieg dieser Studie Nachdruck verliehen.

Russland zwingt zu neuem Einsatz: Gefechte künftig immer stärker auf urbane Zentren konzentriert

Laut Soldat & Technik habe sich 2023 auch die damalige Wehrbeauftragte Eva Högel den Wünschen aus der Truppe angeschlossen, allerdings darauf verzichtet, laufende Beschaffungsverfahren umzuwerfen. Da Wladimir Putin gedroht hat, seine Expansion möglicherweise auch auf Nato-Gebiet auszudehnen, scheint die Bundeswehr dazu genötigt zu sein, künftig wieder einen „nennenswerten Beitrag in der klassischen Bündnisverteidigung zu leisten“, wie der Historiker Sönke Neitzel formuliert. Kampfanzüge für Out-of-Area-Einsätze wie in Afghanistan oder Mail können daher eingemottet werden; auch ist unwahrscheinlich, dass eine russische Armee auf breiter Front die Nato angreifen würde, was noch im Kalten Krieg die bestimmende Befürchtung gewesen war.

Auch deshalb hat der 5-Farben-Flecktarndruck ausgedient, auch wenn dieses Tarnschema seine Berechtigung hatte und auch noch haben würde – wie beispielsweise beim Einsatz im grünen europäischen Mischwald, schreibt Waldemar Geiger in hartpunkt. Allerdings gehen Analysten und Militärs seit etlichen Jahren davon aus, dass sich Gefechte künftig immer stärker auf urbane Zentren, also vornehmlich Städte konzentrieren würden. Dort werden dem Multitarn mit seinem deutlich reduzierten Grün-Anteil Vorteile zugesprochen.

Der Feldanzug im „klassischen Flecktarn“ enthält „fünf Farben (Braun, Schwarz und drei Grüntöne) in unregelmäßig gekleckerten Flecken, so die Wirtschaftswoche. Parallel traten die Soldaten „out-of-area“ die Tarn-Variante aus Sandfarben, Braun und leichten Dunkelgrün-Flecken, so das Blatt. Das neue Tarnschema gilt als eine Symbiose beider Muster und besteht aus sechs Farben – sie sollen Soldaten verschwinden lassen in einer Umgebung mit viel Sand beziehungsweise Stein und nur geringem Bewuchs mit Grün. Noch in den 1990er-Jahren waren Bundeswehrsoldaten komplett im reinen Nato-Oliv aufmarschiert.

Nato-Aufgaben geändert: Frontverlauf vermutlich außerhalb von Eichen- und Hainbuchenwäldern

Der damals propagierte Verteidigungsfall war darauf ausgelegt, dass Deutschland an seiner Grenze verteidigt worden wäre – die deutsche „Ostfront“ hätte sich somit beispielsweise in den Eichen- und Hainbuchenwäldern östlich von Braunschweig befunden. „Mit dem vorhandenen Fünffarb-Flecktarn hat man doch eine auf europäische Bedingungen und damit auf das für mindestens ein Jahrzehnt wahrscheinlichste Szenario optimierte Lösung. Welches militärische Argument spricht denn dafür, diese durch eine für Mittel- und Osteuropa weniger optimale Lösung zu ersetzen?“, schreibt Kommentator „Gerlach“ aktuell auf dem Militärblog Augen geradeaus !.

Tarnung bedeutete damals: Schminke ins Gesicht und Zweige an den Helm. Heute würde vermutlich direkt in Braunschweigs Innenstadt gekämpft werden. „Der strategische Wert von Städten liegt nach konventioneller Betrachtung darin, dass sie Industrie-, Wirtschafts-, Politik-, Kommunikations- und Kulturzentren von Staaten bilden. Als solche war ihre Eroberung oder Zerstörung oft das Ziel von Kriegsparteien“, schrieb bereits vor 20 Jahren Stephan Maninger in einer Analyse für den Bundesverband Sicherheitspolitik an Hochschulen. Seine These gilt heute mehr denn je: „Ihre Kontrolle ist zudem oftmals von einer psychologischen Bedeutung, die sich auf den Verlauf eines ganzen Interventionseinsatzes oder Krieges entscheidend auswirken kann.“

Experte über Bundeswehr: „Sie würde im Ernstfall wohl erst durch hohe Verluste Lehren ziehen“

Ein Soldat mit Zweigen am Helm wirkt dort mindestens deplatziert. „Multitarn“ soll ein Tausendsassa der Täuschung werden – universell einsatzbar für verschiedene Umgebungen und unabhängig von Klimazonen. Ob die neue Tarnung auch signifikant gegen Drohnen helfen würde, bleibt bislang unbeantwortet. Drohnen in der Ukraine arbeiten inzwischen bereits mit Wärmebild-Optiken, dagegen sind Tarnschemen machtlos, obwohl das Überleben von vor allem infanteristischen Kräften davon abhängt, dass sie dem Feind so schwer wie möglich machen, sie im Gelände zu identifizieren.

„Die Optiken werden immer besser, und es wird immer schwieriger, sich vor diesen Optiken zu verstecken“, sagt aber Jan Halama. Wärmebildgeräte sind demnach in der Lage, die von einem Körper ausgehende Infrarotsignatur als Wärmestrahlung sichtbar zu machen. Ein Wärmebildsensor vermag trotz vollkommener Dunkelheit oder anderen visuellen Hindernissen wie Rauch oder Nebel Temperaturunterschiede zu registrieren und diese in ein Thermalbild umzuwandeln, schreibt das Outdoor-Magazin Spartanat.

Ob die Bundeswehr dank ihrer neuen Bekleidung kampfkräftiger wird, bleibt abzuwarten – die Erkenntnis über das neue Tarnschema musste auch erst über etliche Jahre hinweg wachsen. Historiker Neitzel bleibt skeptisch, wie er in einem aktuellen Interview gegenüber der Welt geäußert hat: „Ich sehe viele kluge Köpfe, aber sie werden nicht zusammengebracht, die Dinge versanden. Die Strukturen sind überbürokratisiert, die Bundeswehr lernt zu langsam. Und das bedeutet: Sie würde im Ernstfall wohl erst durch hohe Verluste Lehren ziehen.“

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