„Four New Works“ in Salzburg: Geheimnisse des Menschseins mit Tanz-Ikone Lucinda Childs

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Lebende Legende: Lucinda Childs nahm nach 60 Jahren bei den Salzburger Festspielen ihr Solo „Geranium“ wieder auf. © Ruth Walz

Die legendäre US-Choreografin Lucinda Childs zeigt „Four New Works“ bei den Salzburger Festspielen. Nach 60 Jahren nimmt sie dabei ihr Solo „Geranium“ wieder auf.

Sichtbarkeit – darum geht es. Beide Arbeiten wollen etwas offenlegen. An der einen Stelle, an Salzburgs Residenzplatz, nutzt der katalanische Bildhauer Jaume Plensa dafür die ganze Wucht der Materie. „Secret Garden“ nennt er seine frei zugängliche Installationen aus fünf Frauenköpfen: Sie sind aus Gusseisen, jeder ist elf Meter hoch und bringt 30 Tonnen auf die Waage. „Frauen unterschiedlicher Herkunft und Nationalität, die mit geschlossenen Augen zu uns über den inneren Weg sprechen, über all die Schönheit, die wir in uns verborgen halten“, charakterisiert der 69-Jährige seine Skulpturen, die bis 29. August 2025 bestaunt werden können. Er wolle den „geheimen Garten“ des Lebens zeigen, „das Zentrum unserer Träume und Sehnsüchte“. Bei aller Massivität berühren Plensas Arbeiten durch ihre Individualität, ihre Verletzlichkeit.

„Secret Garden“ von Jaume Plensa ist bis 29. August auf dem Residenzplatz in Salzburg zu sehen

Davon erzählt wenige hundert Meter entfernt auf der leeren Bühne der Szene Salzburg auch die Choreografin Lucinda Childs. Wie der spanische Künstler will die US-Amerikanerin etwas für unser Dasein ganz Essenzielles sichtbar machen: den Körper in seiner Leistungs- und Leidensbereitschaft.

Es ist ein Coup der Salzburger Festspiele, die 85-jährige Ikone des postmodernen Tanzes mit ihrem Abend „Four New Works“ an die Salzach geholt zu haben. Mehr noch: Ihr legendäres Solo „Geranium“ von 1965 nimmt sie erstmals nach 60 Jahren am Samstagabend (9. August 2025) wieder auf. Wir können nur ahnen, was diese Produktion bei ihrer Uraufführung ausgelöst hat. Die Choreografie bezieht sich auf das überraschende Finale der Football-Liga NFL im Jahr 1964, als die Cleveland Browns, auf die keiner gewettet hätte, die Baltimore Colts besiegten. Zur knarrenden Testosteron-Stimme des Radiomoderators folgt Childs den Bewegungen von Johnny Unitas, Superstar der Colts. Das Laufen, das Strecken, die Zusammenstöße, das Straucheln und Fallen – die Tänzerin führt all das in maximaler Zeitlupe aus. Für die Festspiele hat sie die Arbeit von einst zu „Geranium ’64“ erweitert. Dazu hat der albanische Videokünstler Anri Sala Spielzüge zu Sequenzen verarbeitet, die auf die Bühnenwand projiziert werden und wie Erinnerungswolken in die Gegenwart herüberwehen.

MEDIENTERMIN SKULPTURENINSTALLATION SECRET GARDEN AM RESIDENZPLATZ / PLENSa
Wuchtige Wunder sind die Skulpturen von Jaume Plensa auf dem Salzburger Residenzplatz. © BARBARA GINDL

Das Ereignis aber ist Childs, ihre Körperbeherrschung, ihr mimisches Spiel, ihre wenigen Kommentare. Dabei zieht sie permanent mit einer Hand einen überdimensionalen Expander mit sich. Das Fitnessgerät ist beides: Stütze und Behinderung. Es bremst die Tänzerin aus, gibt ihr jedoch auch den dringend benötigten Halt. Aus diesem Widerspruch zieht „Geranium ’64“ Spannung: Der menschliche Körper ist zu enormen Leistungen fähig – und dabei so zerbrechlich. Im Weltklasse-Tanz ebenso wie im Spitzensport.

Eröffnet wurde der Abend mit der Uraufführung „Actus“ zur Klavierfassung der Bach-Kantate „Actus tragicus“. Solo oder im Duett erkunden die Tänzerinnen der Lucinda Childs Company den Raum. Die Arbeit „Timeline“ fordert das Ensemble dann insofern besonders, weil die isländische Komponistin und Cellistin Hildur Guðnadóttir die Stille in ihre Musik intensiv einbezieht, was die Abstimmung untereinander erschwert. „Distant Figure“ zur gleichnamigen Komposition von Philip Glass, die Pianist Anton Batagov hinreißend interpretiert, wird abschließend zum tänzerischen Nachdenken über Nähe und Distanz.

Jedoch sind sich diese Werke letztlich in ihrem Bewegungsvokabular zu ähnlich, als dass sie für eine spannende Dramaturgie sorgen und das Publikum tiefer berühren könnten. Aber zu Jaume Plensas Frauenköpfen ist es ja nicht weit.

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