Dušan David Pařízek inszenierte für die Salzburger Festspiele „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus. Premiere war auf der Perner-Insel in Hallein. Unsere Kritik:
Es ist die vielleicht stärkste Szene dieses Theaterabends, der reich ist an eindrucksvollen Momenten. In jedem Fall ist es die stillste Szene – und entfaltet gerade deshalb ihre enorme Wucht. Da steht also Vinzenz Chramosta, den Branko Samarovski gerade eben noch als knorrigen, knurrigen Wiener Patrioten gespielt hat („Es genügt nicht, wenn man nur seine Pflicht erfüllt!“), und weiß weder ein noch aus. „Sie haben seinen Sohn gestern einrückend gemacht“, wie es bei Karl Kraus heißt. Auch der Junior ist jetzt Menschenmaterial im Weltkrieg – und aus der einst so breiten Brust des Alten kommt nicht mal mehr ein Wimmern. Der Nörgler, den Elisa Plüss mit ebenso viel Furor wie Empathie ausstattet, schließt ihn in die Arme, gibt Sicherheit und Halt in einem Augenblick, der weder das eine noch das andere kennt.
„Die letzten Tage der Menschheit“ hat am 5. September am Wiener Burgtheater Premiere
Sie haben es also wieder getan. Elf Jahre nach der jüngsten Auseinandersetzung mit Karl Kraus’ Weltkriegs-Collage (damals im Landestheater) haben die Salzburger Festspiele heuer Dušan David Pařízek mit der Inszenierung von „Die letzten Tage der Menschheit“ betraut. Erneut entstand die Produktion in Zusammenarbeit mit dem Wiener Burgtheater, wo sie am 5. September 2025 herauskommen wird. Am Freitag (25. Juli 2025) war Premiere auf der Perner-Insel in Hallein – sie wurde nach drei Stunden, 15 Minuten (eine Pause) heftig beklatscht und mit Standing Ovations gefeiert.
Zu Recht. Vor allem im ersten Teil glücken dem tschechischen Theatermacher und seinem siebenköpfigen Ensemble eine atmosphärische Dichte und Dringlichkeit, die völlig überzeugen. Sie erzählen von der Gegenwart, ohne sich ans Heute ranzuwanzen. Leider zerfasert der Abend nach der Pause, als Pařízek die Charaktere direkt an der Rampe ins Publikum sprechen lässt. Jeder Monolog endet mit derselben Frage: „Was empfinden Sie jetzt?“ Da wedelt die Inszenierung dann doch arg mit dem Zeigefinger und bremst sich selbst etwas aus.
Dabei ist das Ding ja eigentlich unspielbar. 220 Szenen, 200 Schauplätze, gut und gerne 1000 Figuren – Kraus (1874-1936) hat seine 1922 erstmals publizierte Tragödie nicht grundlos als Lesedrama konzipiert und erst spät für die Bühne freigegeben. Der Österreicher legt Verblendungen und Verflechtungen von Presse und Politik sowie die perverse Propaganda im Ersten Weltkrieg offen. „Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich gesprochen worden“, schreibt er im Vorwort. „Die grellsten Erfindungen sind Zitate.“ Eine entlarvende Anklage also, geschrieben mit O-Tönen. Meisterhaft.
Pařízek bleibt in seiner Fassung ganz bei Kraus, hat aber eine eigene Dramaturgie für das Stück entwickelt. Das Personal hat er auf sieben Figuren reduziert und zusammengefasst. Seine Schauspielerinnen und Schauspieler verstehen es hinreißend, diese Vorlage zu nutzen. Jede und jeder kann wahrhaftige Solo-Momente gestalten – und doch funktionieren sie auch als Team ganz zauberhaft.
Michael Maertens aast sich als deutscher Diplomat durchs Kriegstreiben. Sein Sigmund Schwarz-Gelber will nichts anbrennen lassen und gerät doch ständig zu nah ans Feuer. Nicht nur bei der werten Gattin (Dörte Lyssewski, die 2014 die Schalek spielte), die ihre Patriotinnen-Rolle überzeugend brutal annimmt. Sondern auch bei Kriegsreporterin Schalek, die der Herr Politiker ganz fesch findet. Marie-Luise Stockinger jedoch lässt keinen Zweifel daran, dass ihre Figur einzig geil auf Feindesblut ist. Auch Peter Fasching beeindruckt, der an Schlagwerk, E-Gitarre, mit Alphorn und Soundsystem einen bedrohlich wummernden, nervös flirrenden Klangteppich ausrollt. Die Bühne wird von einem rostroten Kubus dominiert, auf den Tageslichtprojektoren Artikel, Fotos, Karten projizieren. Ja, so einfach kann spannendes Theater gemacht sein.