Vollgas im Münchner Volkstheater mit „fünf minuten stille“
„fünf minuten stille“ heißt das neue Stück von Leo Meier. Es wurde jetzt im Münchner Volkstheater uraufgeführt – eine Arbeit in Kollektiv-Regie. Unsere Kritik:
Bis zu 340, in Worten: dreihundertvierzig, Kilometer pro Stunde – das ist die Spitzengeschwindigkeit, die in der Formel 1 gefahren wird. Zwar kann das Ensemble von „fünf minuten stille“ dieses Tempo nicht ganz mitgehen. Rasant ist es dennoch, was Liv Stapelfeldt, Anne Stein, Jan Meeno Jürgens und Steffen Link da auf die Bühne 3 des Münchner Volkstheaters bringen. Nicht nur deshalb tragen die vier klassische Racing-Overalls, natürlich mit fetten Werbe-Patches.
Das Stück, das am Mittwoch (9. Oktober 2024) uraufgeführt wurde, ist ein Experiment, auch für das Theater. Es musste wohl etwas Überzeugungsarbeit bei Christian Stückl geleistet werden, bis der Intendant zustimmte. Denn die Schauspielerinnen und Schauspieler haben im Kollektiv Regie geführt. Der Text, schreiben sie im Programmheft, sei „so stark vom Spiel her gedacht, dass es schade wäre, dem noch ein aufwendiges Regiekonzept hinzuzufügen“.
Leo Meier ist Autor und Schauspieler – das merkt man „fünf minuten stille“ an
Das stimmt: In jeder Zeile von „fünf minuten stille“ ist spürbar, dass Autor Leo Meier obendrein als Schauspieler arbeitet. Seine Sätze wollen unbedingt gesprochen werden, da ist viel pointiertes Dialog-Pingpong. Meiers Ausgangsidee ist so simpel wie verführerisch in dieser Zeit: Drei Menschen kommen zusammen, um für einen Moment der Stille zu lauschen. Die Welt ist schließlich laut genug, das Gemecker, Genöle und die schlechte Laune der anderen Leute ebenso. Klingt gut, ist aber zum Scheitern verurteilt. Logisch, oder? Man verrät nicht zu viel, wenn man schreibt, dass es in dieser Inszenierung kaum still ist im Theater: Das wiederum liegt nun nicht ausschließlich an den Kranken, die – wie immer im Herbst –, zur Genesung eine Kulturveranstaltung besuchen.
Meiers Protagonisten kriegen sich sehr zuverlässig und sehr konsequent in die Haare, schmieden untereinander Allianzen, die flugs wechseln. Da geht es ums Autofahren, ums Radl, um Flugreisen, ums große Miteinander und um die kleinen privaten Dinge. Es geht um „Hoden-Kobolde in ihren SUVs“, und es fallen Sätze wie „Ich habe hier gerade nicht als Mensch gesprochen, sondern als Fahrradfahrer“. Kurzum: Das Ziel, dass alle mal „fünf Minuten keine Meinung haben“, weil „die Stille uns guttun wird“, wird hier herrlich unterhaltsam verfehlt. Denn getrieben von ihrer eigenen kleinen Angst, sind die Charaktere ständig damit beschäftigt, „das Problem dieser Welt zu problematisieren“.
Freilich gibt es keine echte Entwicklung im Stück, das zudem nur schwer ein Ende findet, was bedauerlich ist. Letztlich stört es aber nicht weiter, denn für 70 Minuten ist „fünf minuten stille“ eine sehr unterhaltsame Farce. Dafür sorgt das Ensemble, das zunächst mit rotierender Besetzung geprobt hat und sich vorbehält, bei den Folgeaufführungen zum Rotationsprinzip zurückzukehren. Bei der Premiere gaben Stapelfeldt, Link und Jürgens so richtig Gas – Anne Stein kam erst ganz am Schluss dazu. Emil Borgeest, der auch für die Kostüme verantwortlich ist, hat dem Quartett einen Raum zwischen Innen und Außen gebaut – mit Teppichboden, Landschaftsmalerei im Hintergrund und neben dem Gemälde eine vollgerümpelte Garage, in der sich eine Tür befindet, die verschlossen ist: Schutz vor den „Monstern“ da draußen.
Die Schauspielerin und ihre beiden Kollegen gehen das hohe Tempo problemlos mit, das dieser Text unbedingt braucht. Im Zusammenspiel agieren sie genau und halten die Spannung auch, wenn Autor Meier mal für ein paar Zeilen in den Leerlauf schaltet. Hingebungsvoll stürzen sie sich obendrein in Phrasen und Plattitüden. „Jetzt sitzen wir hier“, stellen sie schließlich fest, „und kommen aus der ganzen Sache nicht mehr raus.“ Ist so. Macht aber dennoch Spaß. Vollgas-Applaus.