„Habe das als Wohnung definiert“: 18-Jähriger lebt im Zug – wie gut ihn Bahn-Mitarbeiter schon kennen
Lasse Stolley lebt im Zug und fährt jeden Tag quer durch Deutschland. Warum die Notlösung für den Teenager zu einem Dauerzustand geworden ist.
Mittenwald – „Ganz schön verrückt“ sei das, was der junge Mann da mache. Franz Xaver Gernstl ist beeindruckt. Am malerisch gelegenen Bahnhof von Mittenwald (Landkreis Garmisch-Partenkirchen) hat der Filmemacher Lasse Stolley getroffen. Bei einem Plausch am Bahnsteig berichtet der von seiner ungewöhnlichen Lebensform. Mit 16 Jahren hat Stolley die elterliche Wohnung in Schleswig-Holstein gegen eine Bahncard 100 eingetauscht.
„Unglaublich entlastend“. Teenager gefällt die ungewöhnliche Lebensform
„Ich reise quer durch Deutschland, fahre an die Alpen oder die Ostsee und besuche Freunde“, berichtet er freudestrahlend. Was er für sein Leben im Zug braucht, passt in einen 30-Liter-Rucksack. „Minimalismus heißt auch Freiheit“, sagt Stolley, der bei einem Kölner Start-up angestellt ist. „Sich nicht um irgendwelche Dinge kümmern zu müssen, ist einfach unglaublich entlastend.“ Arbeiten könne er dank WLAN im ICE meist gut: „Ich entwickle Apps.“
Wie das Leben im Zug funktioniert:
Als Inhaber einer Bahncard 100 darf Stolley sich kostenlos am Buffet in der DB-Lounge bedienen. Um zu duschen, geht er bei seinen Stopps in öffentliche Schwimmbäder. Seine Wäsche wäscht er oft per Hand auf der Toilette, das kann mühsam sein. „Mit ein wenig Übung lässt es sich ziemlich gut schlafen“, schreibt der 18-Jährige auf seinem eigenen Reiseblog. Er lag auch schon in der ebenerdigen Gepäckablage. In seinem Rucksack hat er einen Laptop, ein paar T-Shirts, zwei Hosen, ein Nackenkissen und seine Reisedecke. Das muss reichen.
Jeden Tag lernt Stolley auf seinen Fahrten durchs Land neue Menschen kennen. In einem zurückliegenden Gespräch mit unserer Redaktion hat er den Austausch mit einem Sprengmeister erwähnt. Der habe ihm erzählt, wie es ist, eine Bombe zu entschärfen. „Das war wahnsinnig interessant. Wir haben die ganze Nacht gequatscht, obwohl ich eigentlich schlafen wollte.“
Jugendlicher lebt im Zug – seine Freundin hat er in der DB Lounge kennengelernt
Ob ihm denn ein festes Zuhause nicht manchmal fehle, will Gernstl wissen. Alles kein Problem, entgegnet Stolley, der zum Zeitpunkt der Dreharbeiten erst 17 ist: „Ich habe das für mich als Wohnung definiert.“ Mit der Zeit habe er viele Bahn-Mitarbeiter kennengelernt – und die ihn: „Teilweise bringen die mir schon das Essen an den Platz, das ich gerne mag.“
Zu sehen ist das Gespräch in der Folge „Von Meerjungfrauen und Globetrottern“ (verfügbar in der ARD-Mediathek) der beliebten TV-Reihe „Gernstl unterwegs“. Für die ist nach über 40 Jahren Schluss. Im Gespräch mit unserer Redaktion hat Filmemacher Gernstl (73) an zahlreiche prägende Momente zurückgedacht.
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„Mehr gelernt, als in meiner gesamten Schulzeit“
Seine Freundin hat Stolley nicht im Zug kennengelernt, sondern bei einer Verschnaufpause in der DB Lounge. „Natürlich hat sie auch eine Bahncard 100“, sagt er mit einem Schmunzeln. „Wir fahren auch öfter mal gemeinsam.“ Bayern hat es dem Teenager besonders angetan. „Ich liebe das Wandern in den Alpen.“
Wie lang man denn solch ein Leben führen könne, sinniert Gernstl beim Treffen in Mittenwald. Ursprünglich als Notlösung entstanden, kann sich Stolley derzeit keine Veränderung vorstellen. Das Leben im Zug habe ihn verändert, erklärt der Teenager. „Ich bin viel offener geworden, habe eine viel bessere Menschenkenntnis bekommen. Ich habe mehr gelernt als in meiner gesamten Schulzeit.“