Mysteriöse „Beton-Bomben“ an Ukraine-Jets: Siegeszug der Hammer-Kits
Irritierende Bilder von mit Beton ummantelten Bomben: Die Ukraine setzt auf französische Gleitbomben-Kits – weniger mysteriös, dafür erfolgreich.
Kiew – „Aufgrund all dieser Risiken – feindliche Raketen und die Schwierigkeit, Aufgaben mit alter sowjetischer Ausrüstung auszuführen – erleiden wir manchmal herbe Verluste“, schrieb Yuri Ignat. Den Oberst und Sprecher der ukrainischen Luftwaffe hatte das Magazin The War Zone Mitte August zitiert – nachdem die Verteidiger im Ukraine-Krieg mit einem Video in sozialen Netzwerken Furore gemacht hatten: mit dem „bisher besten Blick auf den Abwurf raketengestützter Hammer-Bomben durch die ukrainische MiG-29“, wie das Magazin getitelt hat. Jetzt sind neue Bilder aufgetaucht – irritierende Bilder im Kampf gegen Russland.
Das Magazin Defense Express publiziert ein auf einem Telegram-Kanal publiziertes Foto von einem AASM-Hammer-Kit, das laut dem Magazin an einer 230 Kilogramm schweren hochexplosiven Brandbombe der Mk-Serie befestigt sei. „Interessanterweise lassen seine Farbe und Textur darauf schließen, dass es sich um eine Betonbombe handeln oder eine ähnliche Beschichtung aufweisen könnte“, schreibt Defense Express.
Putins Bedrohung aus Frankreich: die französische Hochpräzisionsbombe AASM Hammer
Im Juni hatte die Kyiv Post frohlockt, dass die Ukraine gegen Wladimir Putin seit März dieses Jahres erfolgreich die französische Hochpräzisionsbombe AASM Hammer einsetze und damit in bestimmten Frontsektoren Vorteile für sich erringen könne. Das aktuelle Foto ist ungewöhnlich, weil die Ummantelung die Norm der bisherigen Einsätze sprengt: Beton – jedenfalls sieht die Oberflächen-Beschaffenheit danach aus. Das Kürzel der Waffe ergibt sich aus dem Französischen – Armement Air-Sol Modulaire (Modulare Luft-Boden-Waffen) – und dem Englischen – HAMMER – Highly Agile Modular Munition Extended Range.
„Es gibt Taktiken, bei denen man tief einsteigen und einige Dinge tun kann … und dann wieder zurückkommt.“
Tatsächlich ist Beton als Ummantelung keine Fantasterei, sondern geht auf Waffentechnik des Zweiten Weltkriegs zurück. Die deutsche Luftwaffe soll bereits anfangs des Krieges auf 250 Kilogramm-Bomben aus Beton gesetzt haben. Diese Waffen hatten zwar weniger Sprengstoff getragen, dafür allerdings seien Metallsplitter eingearbeitet worden; die Waffen an sich haben letztendlich mehr durch die Wucht des Aufpralls gewirkt, denn durch Explosivstoffe. Die Wirkung ergab sich durch deren kinetische Energie, also der Kombination aus schierer Masse und Beschleunigung.
1989 soll die Betonbombe wieder reaktiviert worden sein, wie die New York Times (NYT) im Oktober 1999 zu berichten wusste; weil die USA gezielte Schläge gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein führen, aber die Zivilbevölkerung schonen wollte, seien Betonbomben eingesetzt worden. Aus Angst vor dem Tod von Zivilisten habe die U.S.-Luftwaffe damit begonnen, 1000 Kilogramm schwere, lasergesteuerte Bomben statt mit Sprengstoff mit Beton zu füllen und sie auf militärische Ziele in der Nähe von besiedelten Gebieten abzuwerfen, schreibt die NYT.
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Größtmögliche Verluste: Die aktuellen Bilder des Hammer-Kits zeigen keine Betonbomben
Die Waffe wirkt mit Wucht auf ein punktuelles Ziel statt mit einer unkontrollierten Streuwirkung. „Man kann sich den Zeh daran stoßen“, wie die New York Times den Oberstleutnant Michael S. Waters zitiert hat. Der Sprecher der amerikanischen Operation wollte damit ausdrücken, dass die Wirkung auf einen kleinen Radius begrenzt und der Tod von Zivilisten durch die Nutzung dieser Waffe nahezu ausgeschlossen sei, obwohl sich NYT-Autor Steven Lee Myers kaum verkneifen konnte, die Waffe als „hinterhältig“ zu titulieren. Die aktuellen Bilder des Hammer-Kits aus dem Ukraine-Krieg zeigen aber tatsächlich keine Betonbomben – schließlich will die Ukraine im Kampf gegen Wladimir Putin mit jedem Schuss größtmögliche Verluste unter den Angreifern erzielen.
Anders als die USA im Irak kämpft die ukrainische Luftwaffe gegen einen übermächtigen Gegner: „Die Taktik des Einsatzes amerikanischer Antiradar-Raketen vom Typ AGM-88 HARM (High-speed Anti-Radiation Missiles), GBU-62 JDAM-ER oder französischer Hammer-Bomben ist mit einem ernsthaften Risiko für die Piloten verbunden. Um einen Kampfeinsatz erfolgreich abzuschließen, müssen ukrainische Piloten sich feindlichen Flugabwehr- und Kampfflugzeugen nähern und komplexe taktische Techniken anwenden“, hatte Yuri Ignat gegenüber The War Zone geäußert.
Das Foto in den sozialen Netzwerken zeigt offenbar eine thermische Schutzbeschichtung, die im Brandfall die Detonation verzögern solle und häufig auf amerikanischen Flugzeugträgern zum Einsatz käme, wie Defense Express schreibt. Das Magazin mutmaßt daraufhin, dass Frankreich keine kompletten Gleitbomben geliefert habe, sondern getrennt voneinander die Bomben und die AASM-Hammer-Kits, um die Freifall-Munition in präzisionsgelenkte Munition zu verwandeln.
AASM-Hoffnungsträger aus Frankreich: 50 Stück an die Ukraine pro Monat
Das Magazin hatte recherchiert, ob die Waffen auf dem französischen Flugzeugträger Charles de Gaulle generell thermisch beschichtet wären, allerdings hatten diese Recherchen wohl ergeben, „dass nur wenige Bomben, die von Marine-Rafales getragen werden, thermisch beschichtet sind, was darauf hindeutet, dass diese Brandschutzmaßnahme eher begrenzt eingesetzt wird“, wie das Magazin schreibt. Offenbar besteht insofern keine Erklärung, warum gerade die ukrainischen Bomben thermisch beschichtet sind – möglicherweise hat die französische Luftwaffe einfach ausgemistet.
Wie die Kyiv Post im Juni berichtet hatte, wollte Frankreich pro Monat 50 Stück an die Ukraine liefern. Grundsätzlich gilt die AASM-Hammer als verlängerter Arm der ukrainischen Luftwaffe. Die Standardkonfiguration von AASM basiere derzeit auf einer 250 Kilogramm schweren Bombe, die mit weit verbreiteten Bombenkörpern wie der Mk 82, dem BLU-111-Penetrator und der französischen CBEMS/BANG kompatibel sei, schreibt aktuell das Magazin Army Recognition. Deren Informationen zufolge sei eine 125 Kilogramm schwere Bombenvariante bereits 2009 erfolgreich getestet worden, „und für die zukünftige Entwicklung ist ein 1.000 Kilogramm schweres Modell vorgesehen, um die Vielseitigkeit des Systems auf ein breiteres Spektrum von Einsatzprofilen auszudehnen“, berichtet das Magazin.
Verluste minimieren: AASM-Kit verspricht ukrainischen Piloten Sicherheitsabstand von 70 Kilometern
Die Waffe ist entwickelt worden für die französischen Kampfjets Dassault Rafale und Mirage 2000 – Letztere will Frankreich an die Ukraine abgeben. Um nicht auf die Lieferung westlicher Flugzeuge warten zu müssen, hatte die Ukraine ihre MiG-29, Su-27 und Su-24 schnell für den Einsatz der AASM Hammer umgerüstet, schreibt die Kiew Post. Jeder Kilometer an Reichweite zahlt in die Lebensversicherung der ukrainischen Piloten ein – das AASM-Hammer-Kit verspricht den ukrainischen Piloten einen Sicherheitsabstand von 70 Kilometern.
„Eine solche Abschussreichweite hält sie in ausreichender Entfernung von der Frontlinie und gibt ihnen Zeit, Raketenabwehrmanöver durchzuführen, falls Flugabwehrraketen auf die Flugzeuge abgefeuert werden. Dies ist äußerst wichtig, da die Ukraine derzeit nur über wenige Kampfflugzeuge verfügt“, schreibt Kyiv Post-Autor Bohdan Tuzov. Im Juni hatte Army Recognition berichtet, dass die AASM-Hammer-Kits ein entscheidender Schritt zur Modernisierung des alten Arsenals der Ukraine darstellten – insbesondere nach der Erschöpfung der ungelenkten Munition“.
Erlösung für die Ukraine: eine Waffe, mit der man Dinge tun kann … „und dann wieder zurückkommt.“
Die Ukraine rüstete darauf auch ihre alten sowjetischen Erdkampfflugzeuge um – die Su-25 Frogfoot (zu Deutsch: Froschfuß). Das Magazin lässt durchblicken, dass die Umrüstung notwendig geworden war, weil wohl auch die USA ihre Bestände an Freifallbomben sukzessive abbauten und die an die Ukraine gelieferten Exemplare nicht ersetzen wollten oder konnten. Wie verschiedene Medien berichten, war die Ankündigung der Franzosen über die stetige Lieferung dieser Waffe eine Erlösung für die Ukraine, weil sie deren Möglichkeiten vervielfachte und Planungssicherheit versprach.
Obwohl die Hammer aufgrund ihres Raketenantriebs für Angriffe auf Entfernungen prädestiniert sei, hinge der Erfolg einer militärischen Operation allerdings letztendlich vom einzelnen Piloten ab, wie James Hecker noch Mitte August vom Magazin The War Zone zitiert worden war.
„Natürlich ist es so, dass die Reichweite der Bombe davon abhängt, je niedriger man ist und je weiter man von den Boden-Luft-Raketen entfernt ist, die einen aufgrund der Erdkrümmung erkennen können“, sagte der General der US Air Force und Kommandeur der US Air Forces in Europa (USAFE). „Es gibt Taktiken, bei denen man tief einsteigen und einige Dinge tun kann … und dann wieder zurückkommt.“