Krebs-Früherkennung: Experten hinterfragen Effektivität eines Verfahrens
Der Galleri-Bluttest verspricht eine Revolution in der Krebs-Früherkennung. Doch Experten äußern nun ernsthafte Zweifel an seiner Genauigkeit.
London – Nicht so erfolgreich wie erwartet? Die Galleri-Blutuntersuchung, eine innovative Methode zur Früherkennung von Krebs, war ursprünglich in der medizinischen Gemeinschaft als vielversprechend eingestuft worden. Der Test behauptet, bis zu 50 verschiedene Krebsarten identifizieren zu können, viele davon in einem frühen Stadium. Allerdings äußern nun Fachleute des renommierten British Medical Journal (BMJ) ernsthafte Zweifel an der Genauigkeit des Tests und der Ethik der zugrundeliegenden Studien. Trotz dieser Bedenken scheint der britische National Health Service (NHS) Millionen in das Projekt zu investieren.
Krebs-Früherkennung: Verspricht der Galleri-Bluttest mehr als er halten kann?
Je früher Krebs erkannt wird, desto höher sind die Überlebenschancen. Der Galleri-Bluttest, der die Hoffnungen vieler Krebspatienten weckte, versprach, mit hoher Genauigkeit auf 50 Krebsarten zu testen – das ist bis zu zehnmal mehr als vorherige Tests entdecken konnten. Das Verfahren identifiziert krebsbezogene Marker anhand von DNA-Fragmenten im Blut. „Wird ein Krebssignal entdeckt, sagt Galleri den Gewebetyp oder das Organ, das mit dem Krebssignal assoziiert ist, mit einer Genauigkeit von 88 Prozent voraus, um die nachfolgende Diagnostik zu unterstützen“, so die Aussage auf der Homepage des kalifornischen Biotechnologieunternehmens Grail.

Das Time-Magazin kürte das Verfahren 2022 zu einer der besten Erfindungen des Jahres. Schon in einer klinischen Studie konnte Galleri etwa doppelt so viele Krebserkrankungen identifizieren wie die empfohlene Vorsorgeuntersuchung, so die Angaben auf der Website des Unternehmens. Doch laut BMJ könnte der Test für Früherkennungen nicht geeignet sein. Dies geht aus Dokumenten hervor, die dem Fachjournal zugespielt wurden. Während der Galleri-Test Krebs in fortgeschrittenen Stadien relativ zuverlässig erkennt, ergaben Folgestudien für die Frühstadien I bis III eine Erkennungsquote von 43,9 Prozent, so das BMJ.
In einer weiteren Studie lag die Quote der Krebserkennung im frühesten Stadium I bei nur 16,8 Prozent. Die Ergebnisse seien „auffallend niedrig“, sagt Clare Turnbull, Professorin für Krebsgenetik am Institute of Cancer Research in London. „Von einem guten Screening-Test erwartet man in der Regel eine hohe Sensitivität für Krebserkrankungen im Frühstadium, da dies in der Regel die Krebsarten sind, bei denen ein chirurgischer Eingriff dem Patienten eine hohe Heilungswahrscheinlichkeit – oder langfristige Remission – bietet.“
Das sind die Zweifel der Experten am Galleri-Bluttest: „Kriterien nicht geeignet“
Der britische Gesundheitsdienst NHS führt derzeit eine Studie mit 140.000 Teilnehmern durch, um die Wirksamkeit des Tests genauer zu bestimmen. Diese Studie kostet 150 Millionen Pfund (etwa 175 Millionen Euro). Abhängig von den Ergebnissen dieser Untersuchung soll ein Pilotprojekt mit bis zu einer Million Tests gestartet werden. Für Galleri wäre dies lukrativ: Ein einzelner Test kostet derzeit in den USA 950 US-Dollar (etwa 870 Euro).
Doch es gibt Zweifel. Der Test gilt als erfolgreich, wenn „bei mindestens 30 Prozent der Personen mit positivem Testergebnis tatsächlich eine Krebserkrankung vorliegt, die Krebserkrankungen in Stadium IV um 30 Prozent gegenüber der Kontrollgruppe verringert und der Test 75 Prozent mehr Krebserkrankungen entdeckt werden als in der Kontrollgruppe.“
Aus internen Dokumenten geht hervor, „dass die verwendeten und bislang unveröffentlichten Kriterien nicht geeignet sind, ein neues nationales Screening-Programm zur Rettung von Menschenleben zu rechtfertigen“, so das BMJ. Selbst Mike Richards, der Vorsitzende des unabhängigen britischen Screening-Komitees UK NSC, soll gegenüber der NHS-Chefin Amanda Pritchard „ernsthafte Bedenken“ über die Studie geäußert haben. Er zweifelte auch daran, ob der Nutzen des Tests die Nachteile überwiegt und ob dies zu angemessenen Kosten geschieht.
Interessenskonflikt zwischen NHS und Biotechnologieunternehmen?
Laut BMJ werfen interne Dokumente die Frage auf, ob die Vereinbarung zwischen NHS und dem Biotechnologieunternehmen Grail nicht „zu industriefreundlich“ ist. Der britische Gesundheitsdienst hat sich bereit erklärt, eine Million Tests nach erfolgreichem Abschluss der ersten Phase der Studie zu kaufen, sowie bis 2030 fünf Millionen weitere Tests zu erwerben, sofern bestimmte Kriterien erfüllt werden. Im Gegenzug würde Grail eine „neue hochmoderne Testverarbeitungs- und Sequenzierungsanlage im Vereinigten Königreich bauen“, falls der NHS eine jährliche Mindestmenge abnimmt.
Dies wirft die Frage auf, ob die Studie wirklich unvoreingenommen durchgeführt wird. Es gibt auch ethische Bedenken. In einer Studie aus dem Jahr 2023 lieferte der Test bei etwa 1,4 Prozent der Teilnehmer ein positives Ergebnis, bei 62 Prozent war dies jedoch falsch. Solche falsch-positiven Ergebnisse – also eine falsche Krebsdiagnose – führen nicht nur zu psychischen Belastungen, sondern haben auch finanzielle Auswirkungen.
„Mit einer Sensitivität für das Stadium I von weniger als 20 Prozent insgesamt und nur 44 Prozent für alle Krebsarten im Stadium I bis III halte ich eine Studie nicht für ethisch vertretbar.“
Die vorläufigen Ergebnisse der Studie wurden Ende Mai in einem Blog des britischen Gesundheitsdienstes veröffentlicht, in dem es hieß, dass NHS England sie „nicht überzeugend genug“ fand. Die endgültigen Ergebnisse werden 2026 erwartet, erst dann kann ein endgültiges Urteil über den Galleri-Bluttest gefällt werden. In der Vergangenheit hatte auch das Unternehmen Theranos versprochen, Bluttests zu revolutionieren. Nur wenige Tropfen aus dem Finger sollten für umfangreiche Analysen ausreichen.