„Wählten den pragmatischen Weg“ - Läuft Deutschland in die Schweden-Falle? Wer die AfD ignoriert, stärkt die Populisten

Der Bruch der Ampel-Koalition hat ein Beben durch Deutschlands politische Landschaft geschickt. Davon profitiert insbesondere die AfD.

Aktuell stehen die Rechtspopulisten in Umfragen bei 18 Prozent und sind damit weiter zweitstärkste Kraft im Land. Nur bringen der AfD ihre Stimmen nichts.

Denn mit ihnen zusammenarbeiten will niemand – weder auf Landes- noch auf Bundesebene. Die etablierten Parteien schließen das kategorisch aus. Zuletzt verdeutlichte das CDU-Chef Friedrich Merz.

Niemand will mit der AfD koalieren

Er sagte während der Sitzung im Bundestag am Mittwoch unmissverständlich an die AfD-Fraktion gerichtet: „Weder vorher noch nachher noch zu irgendeinem anderen Zeitpunkt gibt es eine Zusammenarbeit meiner Fraktion mit Ihren Leuten - egal mit wie vielen Leuten Sie hier im nächsten Deutschen Bundestag sitzen werden.“

Die AfD wolle diese Zusammenarbeit ja auch gar nicht wirklich, so Merz. „Und sie wird nicht stattfinden.“

Ganz egal, wie man die Haltung des Chefs der stärksten Kraft im Land, an der wohl nach den Neuwahlen kein Weg in der Regierung vorbeiführen wird, nun findet: mit der AfD koaliert am Ende niemand. Das klappte trotz der Wahlerfolge nicht in Brandenburg, nicht Thüringen und nicht in Sachsen. Der Bund wird sicher keine Ausnahme sein.

Die Folgen der AfD-Isolation und verschenkte Wahlstimmen

Was aber bedeutet diese Isolation nun für die Rechtspopulisten? Ein Blick nach Schweden offenbart, in welche Falle Deutschland gerade zu tappen droht.

Der schwedische Schriftsteller Håkan Boström formuliert das Problem in einem Meinungsbeitrag für die liberale Tageszeitung „Göteborgs-Posten“ so: „Die Nuss, die für deutsche Politiker noch zu knacken ist, ist der Umgang mit der rechtspopulistischen Unzufriedenheitspartei AfD, die fast ein Fünftel der Wählerschaft vereint.“

Zur AfD hinzu komme nun auch die linkspopulistische Partei BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht). Boström kommt zu dem Schluss: „Die Deutschen sind dort, wo Schweden vor zehn Jahren war, mit verschiedenen Versuchen, so zu tun, als gäbe es die unzufriedenen Parteien nicht.“

Die Folge dieser Ignoranz sei, dass die etablierten Parteien gezwungen seien, in unheiligen Bündnissen (Stichwort: Ampel) mitzuregieren und damit ihr eigenes Selbstvertrauen weiter zu untergraben – „während die Populisten nur an Stärke gewinnen“, meint Boström. Das Ganze ähnele eher einer klassischen Tragödie, in der der Held unfreiwillig seinen eigenen Untergang herbeiführe.

Wie die Rechtspopulisten in Schweden Einfluss erlangten

Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Tobias Etzold. Er ist Forscher am Norwegischen Institut für Internationale Beziehungen (NIUP) und Experte für Nordeuropa-Politik.

Im Gespräch mit FOCUS online sagt er: „In Deutschland versucht man, den Einfluss von AfD und BSW möglichst klein zu halten, indem Bündnisse gebildet werden, die nicht immer harmonisch sind und oft nicht uneingeschränkt funktionieren.“ Der Ampel-Bruch zeige das deutlich.

Der Blick auf die vergangenen Jahre in der schwedischen Politik weist einige Parallelen zu Deutschland auf. Seit Herbst 2014 befand sich Schweden nämlich in einer ähnlichen Lage wie die Bundesrepublik heute: „Ein zunehmend polarisiertes Parteienspektrum, mit einer immer stärkeren, aber von etablierten Parteien ignorierten rechten Randpartei: die Schwedendemokraten“, so Etzold.

Zwischen 2010 und 2014 legten die Schwedendemokraten stark zu und erreichten bei der Wahl 2014 auf knapp 13 Prozent. „Sie wurden ein bedeutender Faktor, der die bisherigen Mehrheitsverhältnisse veränderte. Weder die konservativ-bürgerlichen noch die Mitte-links Parteien konnten allein eine Mehrheit bilden“, sagt der Politologe.

Das hatte zur Folge, dass sich die anderen Parteien mit der Frage konfrontiert sahen, wie sie mit den Schwedendemokraten umgehen sollten. „Ihnen wurde klar, dass diese Partei am rechten Rand immer stärker wurde und sie aber nicht mit ihr zusammenarbeiten wollten. Dies machte es schwierig, stabile Mehrheiten zu bilden“, sagt Etzold.

Deutschland steht mit der AfD an einer ähnlichen Schwelle

Deutschland steht aktuell an einer ähnlichen Schwelle: AfD – und auch BSW – gewinnen an Zuspruch, aber eine direkte Zusammenarbeit wird konsequent abgelehnt ähnlich wie in Schweden – bis 2022.

2022 führte an den Schwedendemokraten kein Weg mehr vorbei. Die „Verweigerungskultur“, bei der Parteien sich zu Koalitionen zwangen, um die Rechtspopulisten von der Macht fernzuhalten, nahm ein Ende – und Schweden musste seine Strategie ändern.

Die Flüchtlingskrise stärkte die Schwedendemokraten bis 2018 enorm. Ihre Zustimmung stieg auf fast 18 Prozent. Hinzu kam „eine gewisse Unzufriedenheit mit dem System und Skepsis gegenüber der Elite“, sagt Etzold.

Sozialdemokraten und bürgerlich-konservative Parteien ähnelten sich zudem in vielen Fragen, insbesondere was die Migrationspolitik betrifft, sehr stark. „Für die Wähler war das Einheitsbrei.“ Eine Entwicklung, die auch in Deutschland zu beobachten sei.

„Dass die Schwedendemokraten bei den Wahlen im September 2022 zweitstärkste politische Kraft und größte Partei rechts der Mitte wurde, war eine Art Erweckungsmoment im Umgang mit der populistischen Partei zumindest im bürgerlichen Lager“, sagt Etzold. Es kam daraufhin zum ersten offiziellen Kooperationsbündnis mit den Schwedendemokraten.

Sie schafften also immerhin den Aufstieg bis zum Kooperationspartner, einer formellen Vereinbarung zwischen Parteien, bei der eine oder mehrere Parteien zwar nicht Teil der Regierung sind, aber diese in zentralen politischen Fragen unterstützen, um stabile Mehrheiten zu gewährleisten. Das heißt: Die Schwedendemokraten sind nicht offizieller Teil der Regierung.

In Deutschland sind solche Bündnisse eher unüblich. Minderheitsregierungen, die von außen durch solche Bündnisse gestützt werden, gelten in Deutschland als instabil und politisch riskant, weshalb sie bisher selten in Betracht gezogen wurden.

„Diese Vereinbarung brachte aber Probleme mit sich“, erklärt Etzold. „Sie konnten dem Regierungsprogramm ihren Stempel aufdrücken, vor allem in Fragen der Migration und inneren Sicherheit.“

Das Schweden-Dilemma, das auch Deutschland droht

„Kritiker behaupten, die Schwedendemokraten treiben die Regierung vor sich her. Obwohl sie Einfluss haben, tragen sie keine offizielle politische Verantwortung und können die Schuld auf die Regierungsparteien schieben, wenn etwas schiefläuft“, erklärt der Experte.

Dies habe dazu geführt, dass sie in den Umfragen stabil geblieben sind und kaum an Popularität eingebüßt haben, wie es oft bei populistischen Parteien der Fall ist, sobald sie Regierungsverantwortung übernehmen.

Für den Politologen zeigt sich hier „ein klassisches Dilemma, vor dem auch Deutschland steht“.

„Man will oder kann den Randparteien nicht zu viel politischen Einfluss gewähren, aber man darf sie auch nicht ignorieren. Man muss einen Mittelweg finden.“ Die Schweden hätten sich schließlich nach vielen Jahren des Zögerns für den pragmatischen Weg entschieden.

„Es könnte hilfreich sein, die Ideologie etwas zurückzustellen, die Scheuklappen abzulegen und zumindest miteinander zu reden. In Deutschland sind wir noch nicht an diesem Punkt angelangt, was jedoch an beiden Seiten liegt“, sagt Etzold.

Auch rechtspopulistische Parteien müssen ihren Teil beitragen

Er weist darauf hin, dass die Verantwortung für einen pragmatischen Umgang nicht allein bei den etablierten Parteien liegt. Auch die rechtspopulistischen Parteien müssten ihren Teil dazu beitragen.

Häufig werde der Vorwurf einseitig auf die etablierten Parteien projiziert, sie würden die Populisten ignorieren. Gleichzeitig fehle es den Populisten jedoch an echtem Willen zur Zusammenarbeit, was sich in ihrer Rhetorik und den polemischen Angriffen im Bundestag zeige.

In Schweden hingegen sei die politische Rhetorik mittlerweile deutlich gemäßigter. Szenen, wie sie im Deutschen Bundestag vorkommen, seien im schwedischen Reichstag in dieser Form nicht zu beobachten.

Etzold empfiehlt, auch Deutschland solle einen pragmatischen Umgang mit der AfD in Betracht ziehen, „indem sie zumindest eruieren, wo gemeinsame Interessen liegen, was gemeinsam umsetzbar ist und was die Bevölkerung letztendlich will“.

Gerade in Migrationsfragen gebe es Parallelen. „Die bürgerlich-konservativen Parteien in Schweden haben oft ähnliche Positionen wie die Schwedendemokraten.“ Es sei wichtig, zu schauen, wo Gemeinsamkeiten existieren und wo man gemeinsam umsetzen kann, um die Populisten nicht vollständig außen vorzulassen – „dann, wenn sich keine anderen Mehrheitsverhältnisse bilden lassen“, so der Politologe.