Medikamente in Deutschland: Firma will Lieferengpässe lindern – und muss Regierung verklagen
In Deutschland sind zahlreiche Medikamente von Lieferengpässen betroffen, Apotheken schlagen Alarm. Ein Unternehmen könnte bei einem Wirkstoff helfen – doch die Landesregierung lehnt ab.
Leinfelden-Echterdingen – Deutschland droht schon wieder ein Herbst und Winter, die von Lieferengpässen bei Arzneimitteln gezeichnet sind. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) warnte im September, dass etwa 500 rezeptpflichtige Medikamente von den Engpässen betroffen sind, es drohe ein Versorgungsproblem, wenn die Erkältungs- und Grippesaison wieder starte. Grund für die Versorgungsprobleme in Deutschland ist unter anderem die fehlende Arzneimittelproduktion in Europa. Für einige Wirkstoffe gibt es nur noch eine Handvoll Hersteller – und die sitzen allzu oft in China oder in Indien.
Lieferengpass bei wichtigen Medikamenten in Deutschland: Sondergenehmigungen für Unternehmen möglich
Um dem Problem zu begegnen, kann das Bundesgesundheitsministerium den zuständigen Landesbehörden eine Genehmigung erteilen, durch die bestimmte Arzneimittel vereinfacht aus dem Ausland importiert werden können. Die finale Genehmigung müssen die Behörden auf Landesebene erteilen, das Gesundheitsministerium kann nur den ersten Schritt ermöglichen.
Solche Genehmigungen wurden nach Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medikamentenprodukte (BfArM) schon mehrfach erteilt, zum Beispiel auch für die Wirkstoffe Amoxicillin, Amoxicillin/Clavulansäure, Azithromycin und Cefaclor. Das sind allesamt Antibiotika, die in Medikamenten für Kinder verwendet werden. Diese werden zum Beispiel bei einer Mittelohrentzündung oder Fieber verschrieben. Amoxicillin und Penicillin sind gerade besonders von einer Versorgungslücke betroffen. Sobald die Atemwegserkrankungen durch die Schulen und Kitas ziehen, könnte es zu echten Problemen kommen.
Unternehmen aus Baden-Württemberg kann Lieferengpass für Antibiotika beheben
Um den Lieferengpass bei Amoxicillin zu beheben, hat ein Unternehmen aus Baden-Württemberg, das eine Niederlassung in Indien hat, angeboten, den Wirkstoff nach Deutschland zu importieren. Im Gespräch mit IPPEN.MEDIA sagt der Geschäftsführer der MVS Pharma, Rainer Proksch: „Wir dachten, wir tun damit etwas Gutes und helfen“. Bevor sie einen Antrag auf Genehmigung gestellt haben, hat seine Firma den Wirkstoff aus Indien in einem unabhängigen europäischen Labor untersuchen lassen - auf eigenen Kosten. Dadurch konnte die MVS Pharma bestätigen, dass die Antibiotika aus Indien unbedenklich seien. Darüber hinaus haben sie die Kosten für eine Untersuchung in Indien vor Ort übernommen. Sie können die gesamte Lieferkette des Produktes nachverfolgen und haben alles prüfen lassen, darüber hinaus besitzt der Standort Zertifikate, die belegen, dass es nach EU-Standards arbeitet.
Proksch und seine Firma haben nach allen eigenen Untersuchungen die Unterlagen und Bescheide beim Regierungspräsidium Stuttgart eingereicht und eine Sondergenehmigung zur Behebung des Engpasses beantragt. Diese wurde allerdings nicht erteilt. Das Regierungspräsidium ließ die MVS Pharma stattdessen wissen, dass sie gegen die Entscheidung Klage einreichen könnten.

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„Uns wurde erklärt, dass wir den offiziellen Genehmigungsprozess starten könnten, aber das dauert eben sehr lange. Dabei hätte man doch mit uns sprechen können, es ist schließlich eine Notsituation“, klagt der Unternehmer, der vor drei Jahren die MVS Pharma in Leinfelden-Echterdingen gegründet hat. Ihm sei es unverständlich, wozu es überhaupt diese Allgemeinverfügung geben soll, wenn Unternehmen am Ende doch wieder gehindert werden. „Das Patientenwohl wird hier komplett außer Acht gelassen“.
In Bayern war 2023 ein Unternehmen erfolgreich und konnte Antibiotika aus Indien importieren
Was Rainer Proksch noch mehr ärgert ist die Tatsache, dass es im Nachbarbundesland Bayern schon 2023 ganz anders gelaufen ist. Dort hat die Firma Puren Pharma ebenfalls eine Sondergenehmigung zur Einfuhr von Amoxicillin für Kindersäfte aus Indien beantragt. Nach BfArM-Angaben wurde diese am 2. Mai 2023 erteilt.
Die in Bayern ansässige Puren Pharma GmbH Co. KG hat 2023 von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) eine Anfrage erhalten, ob sie denn bei dem damals herrschenden Lieferengpass bei Antibiotika für Kinder helfen könnte. Das konnte sie, indem sie die für die USA bestimmte Medikamente aus Indien in den europäischen Markt umleiteten. Dafür brauchte es die Genehmigung der Behörde in Oberbayern. Der Managing Director Regulatory Quality Affairs von Puren Pharma, Rainer Hartung, hat außerdem eine Nachricht direkt an den bayerischen Gesundheitsminister geschickt.
Rainer Hartung, erzählt im Gespräch mit IPPEN.MEDIA von dem großartigen Engagement des damaligen Gesundheitsministers Dr. Klaus Holetschek (CSU). „Ich habe eine E-Mail an Herrn Holetschek geschickt, und war überrascht, als er mich dann auch persönlich angerufen hat. Da war mal jemand, der pragmatisch gehandelt hat“, berichtet er. Circa 50 Tage später sei die erste Lieferung von Antibiotika aus Indien in Deutschland angekommen. „Die Zusammenarbeit mit den Behörden war sehr gut. Der Gesundheitsminister hat mehrmals betont, wie wichtig das ist“, sagt Hartung.
Landesbehörde in Stuttgart sorgt sich um Qualität der Medikamente aus Indien
Seither hat Puren Pharma 90.000 Packungen des Wirkstoffs aus Indien importiert und so zur Linderung des Engpasses in Deutschland beigetragen. Rainer Proksch von MVS Pharma ist der Meinung, dass er noch mehr liefern könnte. „Wir glauben, dass wir den Engpass beheben könnten“, sagt er. Doch obwohl seine Firma und die Puren Pharma den gleichen Wirkstoff aus dem gleichen Land importieren wollen, darf er nicht, während die Genehmigung für Puren Pharma scheinbar innerhalb kürzester Zeit erfolgte. Der Lieferengpass bei einem Medikament für Kinder hängt also, so erweckt es zumindest den Anschein, vom persönlichen Engagement eines Einzelnen ab.
Einzig die zuständige Landesbehörde macht hier scheinbar den Unterschied. Auf Anfrage unserer Redaktion sagt eine Sprecherin des Regierungspräsidiums Stuttgart, dass man zu konkreten Fällen nichts sagen könne, da der Vorgang nicht abgeschlossen sei. Grundsätzlich müssten bei Einfuhren aus Drittstaaten die zuständigen Behörden eine Nutzen/Risiko-Analyse vornehmen. „Dem Nutzen einer Versorgung von Patienten mit vorübergehend knappen Arzneimitteln steht das erhebliche Risiko einer Einfuhr und Abgabe von Arzneimitteln, deren ordnungsgemäße Qualität nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt wurde, gegenüber. Dies wiegt umso schwerer, wenn es sich um Arzneimittel für besonders vulnerable Patientengruppen handelt“, so die Sprecherin des Regierungspräsidiums.
Drittstaaten bräuchten grundsätzlich immer eine Einfuhrerlaubnis, die Allgemeinverfügung an die Regierungspräsidien hebe diese nicht auf, so die Sprecherin weiter. Tatsächlich steht allerdings in der Verordnung, dass eine Ausnahme durchaus in Einzelfällen möglich ist. Das zeigt auch das Beispiel aus Bayern, wo Puren Pharma eine Ausnahme erhalten hat.
Die MVS Pharma will nun gegen die Entscheidung des Regierungspräsidiums klagen. Diese Klage soll in den kommenden Tagen schon eingereicht werden. In der Zwischenzeit wird der Engpass des Amoxicillin für Kinder nicht effektiv behoben. Erste Apotheken schlagen schon Alarm: Die Versorgung mit Antibiotika sei nicht gewährleistet.