Lieferengpässe bei hunderten Medikamenten – auch bei Antibiotika: „Regierung läuft in nächste Mangellage“

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Die Temperaturen werden kühler, mit dem Herbst kommt auch die nächste Krankheitswelle. Ist Deutschland darauf vorbereitet? Auch 2024 sind einige Medikamente knapp.

Fehlende Fiebersäfte für Kinder, Lieferengpässe bei Antibiotika und Schmerzmitteln. Vergangenes Jahr gab es Probleme bei wichtigen Medikamenten. Gesundheitsminister Karl Lauterbach wollte die Lage mit einem neuen Gesetz verbessern: dem Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz, kurz ALBVVG. Was kompliziert klingt, sieht im Kern folgendes vor: Wichtige Medikamente sollen verlässlicher gegen Lieferengpässe abgesichert werden. Aktuell funktioniert das aber nicht immer.

Medikamentenmangel: Engpässe bei fast 500 Arzneimitteln

Eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der CDU/CSU zeigt: Gelöst ist das Problem noch nicht. So heißt es dort unter anderem. „Wie die Regelungen zur Diversifizierung von Lieferketten beitragen und welche Auswirkungen die Regelungen (...) haben, bleibt abzuwarten.“ Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) solle dazu einen Bericht vorlegen, allerdings erst bis zum 31. Dezember 2025. „Die Ergebnisse dieser Evaluation bleiben abzuwarten.“

Laut BfArM gibt es aktuell bei 483 Medikamenten Lieferengpässe (Stand: 13. September). Der Wert ist damit nahezu konstant im Vergleich zur letzten Krankheitswelle vor rund einem halben Jahr. Verbessert hat sich also nichts. Klar ist auch: Bei insgesamt etwa 104.000 in Deutschland zugelassenen Arzneimitteln ist das eine Quote von weniger als 0,5 Prozent.

Leere Tablettenblister, Lieferengpässe bei Medikamenten
Leere Tablettenblister: Auch diesen Winter treten in Deutschland Lieferengpässe bei Medikamenten auf. © Christian Ohde/Imago

Schmerzmittel, Antibiotika, Fiebersäfte: Diese Arzneimittel sind knapp

Betroffen sind zum Beispiel Schmerzmittel wie Buprenorphin oder Hydromorphon sowie Antibiotika gegen Atemwegserkrankungen mit Wirkstoffen wie Azithromycin, Amoxicillin oder Clarithromycin. Dabei ist Deutschland auch auf Importe angewiesen, etwa aus China. Deutschland hat sich hier abhängig gemacht, knapp 90 Prozent aller Antibiotika stammen laut dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) aus der Volksrepublik. Auch das gefährdet die Versorgung.

Knapp sind auch Wirkstoffe gegen Bluthochdruck wie Quinapril, HIV-Medikamente mit den Wirkstoffen Abacavir oder Emtricitabin. Zudem Risperidon, ein Antipsychotikum, das gegen Schizophrenie hilft.

Engpässe gibt es zudem bei Kinderarzneimitteln wie Fiebermitteln oder Medikamenten gegen Scharlach. Knapp sind momentan auch das bei einer Chemotherapie eingesetzte Ribofolin oder die Wirkstoffe Fluorouracil und Tamoxifen, die zur Behandlung von Brustkrebs eingesetzt werden. Die Bundesregierung will hier Engpässe verhindern, indem Tamoxifen als Arzneimittel mit versorgungsrelevanter Marktkonzentration eingestuft wird, wie es in der Antwort heißt. Dadurch könne durch bestimmte EU-Regeln die Wirkstoffproduktion in der EU gefördert werden. Das stabilisiere den Preis und sorge so für bessere Verfügbarkeit. Aber auch hier sind Verbesserungen noch nicht absehbar.

Lieferengpässe bei Medikamenten: „Regierung läuft im Blindflug in die nächste Mangellage“

Dementsprechend bedient ist die Union: „Die vollmundigen Versprechungen von Karl Lauterbach waren offenbar wieder nur Worthülsen“, sagt der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU, Tino Sorge, zu unserer Redaktion. Das Gesetz laufe ins Leere. „Die Bundesregierung kann auch ein Jahr nach Inkrafttreten keine Auskunft über konkrete Folgen und Verbesserungen geben. Im Gegenteil wird in den Antworten auf unsere Kleine Anfrage oft nur lapidar auf laufende Evaluationen verwiesen.“ 

Die Union geht von weiteren Lieferengpässen in der Herbst- und Wintersaison aus. Es drohe eine „Hängepartie für viele Eltern, die Antibiotika oder Fiebersäfte für ihre Kinder benötigen“, sagt Sorge. „Die Bundesregierung läuft im Blindflug in die nächste Mangellage.“ Auch der Interessensverband Pro-Generika ist wenig überzeugt: „Das Anti-Engpass-Gesetz bringt fast nichts“, heißt es gegenüber unserer Redaktion. Das Gesetz würde Pharmaunternehmen nicht entlasten und Lieferengpässe nicht lösen.

Was sind Generika?

Generika sind Medikamente mit dem identischen Wirkstoff eines Originalmedikaments, dessen Patentschutz ausgelaufen ist. Sie sind also Nachahmerprodukte, die sich an bereits etablierten Medikamenten orientieren. Ein bekanntes Beispiel sind Medikamente mit dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure. Das Original heißt „Aspirin“. Für Verbraucher ist es in der Regel egal, welches Medikament sie benutzen: Generika dürfen sich in puncto Qualität nicht vom Original unterscheiden. Generika machen rund 80 Prozent der Arzneimittel aus.

Ein Problem: Lauterbachs Lieferengpassgesetz beziehe sich auch nur auf etwa ein Prozent der Arzneimittel. Dementsprechend dürfte sich am Ausmaß der Engpässe wenig geändert haben, warnt der Verband. „Die Maßnahmen im ALBVVG adressieren nur die Spitze des Eisberges“, heißt es auf Anfrage. „Es kann nicht sein, dass man nur einen Teil des Problems löst.“

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