"Für Putin sind die Sanktionen nur Teil eines langen Spiels mit Trump"

Es klingt nach einem entschlossenen, harten Schritt. Am vergangenen Mittwoch verhängte das US-Finanzministerium Sanktionen gegen zwei russische Ölkonzerne: Rosneft und Lukoil. 

Auch die EU wurde tätig. Sie beschloss ihr 19. Sanktionspaket gegen Russland. Es beinhaltet unter anderem ein vollständiges Transaktionsverbot für Rosneft und den Energiekonzern Gazprom Neft. Darüber hinaus soll mit russischen Gasimporten ab 2027 Schluss sein.

"Die neuen US-Sanktionen sollen dort wirken, wo der russische Staatshaushalt besonders abhängig ist", sagt Alexander Libman zu FOCUS online. Er arbeitet als Professor mit Schwerpunkt Osteuropa und Russland an der Freien Universität Berlin. Im Kern, so erklärt er es, soll Moskau die Genese neuer Einnahmen im Öl-Sektor erschwert werden.

"Entscheidend ist die Reaktion von China und Indien"

Den großen Wurf erkennt Libman in den Sanktionen allerdings nicht. "Entscheidend für die Wirksamkeit der Maßnahmen sind die Reaktionen von China und Indien", so der Politologe. Immerhin ist Indien aktuell der größte Käufer russischen Rohöls. Zuletzt beliefen sich die Einfuhren auf 1,7 Millionen Barrel pro Tag.

Wie das ZDF unter Berufung auf Brancheninsider berichtet, überlegt der indische Energiekonzern Reliance Industries offenbar, seine Importe aus Russland komplett einzustellen. Auch staatliche Raffinerien wollen demnach ihre Handelsdokumente durchgehen, um Probleme zu vermeiden. 

China dagegen, ein fast genauso großer Abnehmer russischen Rohöls, zeigte bislang keine Reaktionen, die darauf hindeuten würden, dass das Land seine Importe einschränken will. "Das heißt: Russland wird wohl nach wie vor Einnahmen generieren, aber die Sanktionen machen den Ölhandel schwieriger", so Libman.

Insgesamt hält er die Situation zwar für schmerzhalft für Moskau. Ein "Game Changer" sind die Strafmaßnahmen in seinen Augen aber nicht. Und doch: Sie verraten etwas über den US-Präsidenten. "Es wird klar, dass Donald Trump auch zu schmerzhaften Sanktionen bereit ist", sagt der Experte. 

"Putin sieht Sanktionen als Teil eines langen Spiels mit Trump"

Russische Medien kritisieren den Republikaner unterdessen scharf. In der Tageszeitung „Moskowski Komsomolez“ hieß es beispielsweise, dass seine Entscheidungen als Kriegsakt gegen Russland zu werten seien.

Libman schaut kritisch auf solche Statements. "Ich glaube nicht, dass Putin die Möglichkeit des Beziehungsaufbaus zu Trump vollständig abgeschrieben hat", sagt er. Immerhin sei das Verhältnis des US-Präsidenten zum ukrainischen Regierungschef Wolodymyr Selenskyj nach wie vor schwierig.

Dass der Kreml-Chef die jetzigen Sanktionen als Kriegsakt wertet, hält Libman für unwahrscheinlich. "Putin sieht sie eher als Teil eines langen Spiels mit Trump, das er weiterspielen will." 

US-Präsident Donald Trump hat Sanktionen gegen russische Ölkonzerne verhängt.
US-Präsident Donald Trump hat Sanktionen gegen russische Ölkonzerne verhängt. picture alliance / abaca | Pool/ABACA

Das Verhalten des US-Präsidenten im Ukraine-Konflikt wirkt erratisch. Mal scheint er auf Putin zuzugehen und territoriale Zugeständnisse der Ukraine im Tausch gegen "Frieden" zu befürworten. Dann sagt er, "dass die Ukraine mit der Unterstützung der Europäischen Union in der Lage" sei, die Gebiete zurückerobern, die Russland momentan besetzt hält.

Trumps Motivation im Ukraine-Konflikt 

Steht er nun doch mehr auf Selenskyjs Seite als auf Putins? 

Libman findet das eine "zu starke Vereinfachung". Er erinnert an Trumps jüngste Weigerung, der Ukraine Tomahawk-Raketen zur Verfügung zu stellen. "Und die Forderung, einen Waffenstillstand entlang der aktuellen Frontlinie zu sichern, war ursprünglich gar kein Anliegen der Ukraine, sondern etwas, das Kiew abgelehnt hat."

Insgesamt glaubt der Professor, der selbst aus Moskau stammt, dass der US-Präsident beide Seiten "zu einem schnellen Ende des Konflikts zwingen" will. "Anfang des Jahres sah er Selenskyj als denjenigen, der dazu nicht bereit ist. Jetzt ist es Putin - daher die Sanktionen."

Sanktionen wohl nicht der entscheidende Schlag

Für Libman sind die Sanktionen der USA und der EU ohnehin kein entscheidender Faktor im Ukraine-Krieg. „Man sollte dieses Instrument generell nicht überschätzen. Die Wirkungskraft solcher Sanktionen ist grundsätzlich begrenzt“, sagt der Experte. 

Der Grund: „Der russische Markt ist zu attraktiv, ebenso wie seine Rohstoffe – und die Welt zu gespalten, um eine wirklich multilaterale Sanktionsstrategie zu beschließen.“ Trotz einer vergleichsweise geringen Staatsverschuldung von rund 20 Prozent gerät die russische Wirtschaft laut der unabhängigen "Moscow Times" zunehmend unter Druck. 

Das Blatt beruft sich auf aktuelle Daten der Statistikbehörde Rosstat, wonach die Produktion in mehreren rüstungsnahen Branchen – insbesondere bei „gefertigten Metallwaren“ – stagniert. Zugleich berichten andere Medien, der Kreml plane angesichts wachsender Haushaltsdefizite Steuererhöhungen für das Jahr 2026.

Kluge: Russische Wirtschaft "nicht in den Abgrund gedrängt"

Putin bezeichnete die Sanktionen in der vergangenen Woche zwar als "unfreundlichen Akt". Insgesamt gab er sich aber unbeeindruckt. Er sagte, dass sie nicht stark genug seien, um Russlands Wirtschaft empfindlich zu treffen.

Janis Kluge, Experte für Russlands Wirtschaft bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), bewertet die Lage im Gespräch mit dem ZDF letztlich ähnlich wie Libman. Die US-Maßnahmen würden keinen "entscheidenden Schlag auslösen, der die Wirtschaft in den Abgrund drängt", so der Experte.