Keine Zeit für Familie und Erholung? Deutsche fürchten schwere Folgen durch Arbeitszeit-Reform von Merz

  1. Startseite
  2. Verbraucher

Kommentare

Bundeskanzler Merz will Zwölf-Stunden-Arbeitstage möglich machen. Eine Studie verdeutlicht die Sorgen der Arbeitnehmer, wenn die Reform umgesetzt wird.

Berlin – Die Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz hat Überlegungen zu einer Arbeitszeit-Reform angestellt – was früher als unvorstellbar galt, soll künftig möglich sein: Arbeitsschichten, die deutlich über zwölf Stunden hinausgehen.

Zuhause arbeiten
Über zwölf Stunden Arbeit möglich – die Mehrzahl der Befragten einer Studie sieht das kritisch. © Silas Stein/dpa

Das Vorhaben der Großen Koalition aus Union und SPD löst Unruhe bei deutschen Arbeitnehmern aus. Eine Untersuchung zeigt, dass der Großteil der Angestellten negative Auswirkungen extrem langer Arbeitszeiten auf die Regeneration, das Leben mit der Familie und den persönlichen Tagesablauf befürchtet.

Mehrheit der Deutschen sorgt sich wegen Arbeitszeit-Reform von Merz

Eine neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt die Sorgen der Arbeitnehmer detailliert auf: Nahezu drei Viertel der befragten Arbeitnehmer erwarten negative Konsequenzen durch längere Arbeitstage. Für die Erhebung führte das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) im Juli Online-Interviews mit über 2.000 Angestellten durch.

Die Arbeitnehmer betrachten insbesondere die Regeneration nach Feierabend, die Stunden mit der Familie und die grundsätzliche Organisation des täglichen Lebens als gefährdet. Drei Viertel der Befragten sorgen sich demnach um ihre Zeit mit der Familie, 73,5 Prozent betrachten persönliche Aktivitäten und Familienfeste als bedroht. Beinahe ebenso viele (72,5 Prozent) erwarten schädliche Einflüsse auf ihre Entspannung nach Arbeitsende. Auch bezüglich der Organisation des täglichen Lebens prognostizierten 71,6 Prozent der Studienteilnehmer schädliche Folgen. Positive Veränderungen der Lebensumstände durch die geplante Arbeitszeit-Neuregelung erwarten lediglich weniger als zehn Prozent der Teilnehmer.

Arbeitsschichten über zwölf Stunden – Forschung warnt vor den Folgen

Zwölf Prozent der Teilnehmer berichteten, dass sie bereits gegenwärtig an bestimmten Wochentagen die maximale Arbeitszeit von zehn Stunden überschreiten. Rund 38 Prozent setzen der Untersuchung zufolge gelegentlich am Abend ihre berufliche Tätigkeit fort, nachdem sie diese am Tag wegen persönlicher Angelegenheiten unterbrochen hatten.

Die Schlussfolgerung der Forscherinnen Dr. Yvonne Lott und Dr. Eileen Peters vom WSI ist eindeutig: „Die vorliegenden Ergebnisse zeigen: Eine Abschaffung der gesetzlichen täglichen Arbeitszeitgrenze ist weder erforderlich noch sinnvoll“. Ebenso mahnt die Arbeitsrechtsexpertin Dr. Amélie Sutterer-Kipping von der Hans-Böckler-Stiftung im Gespräch mit dem ZDF nachdrücklich: „Durch die Einführung einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit werden Betreuungskonflikte nicht gelöst, sondern verschärft“. Auch auf dem Bau sorgen die Pläne von Kanzler Merz für Ärger.

Studie prognostiziert schädliche Folgen für Berufstätigkeit von Frauen

Die Lockerung der Bestimmungen könnte außerdem Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern verstärken. Weibliche Angestellte rechnen der Erhebung zufolge noch öfter mit Verschlechterungen, was die Experten darauf zurückführen, dass Frauen in Partnerschaften zusätzlich zu ihrer Berufstätigkeit erheblich mehr unentgeltliche Tätigkeiten im Haushalt, bei der Betreuung von Verwandten oder mit Kindern übernehmen als Männer.

Die Lockerung der Regelungen könnte auch nach Ansicht der wissenschaftlichen Leiterin des WSI, Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, das Wachstum der Berufstätigkeit von Frauen hemmen. Darüber hinaus könnte sie gleichzeitig „Probleme bei Gesundheit und Demografie verschärfen, höhere Krankenstände begünstigen und die Entscheidung für Kinder schwerer machen. Die Deregulierung erscheint damit auch wirtschaftlich kontraproduktiv.“

Arbeitszeit-Reform: Auch gegenwärtiges Arbeitsrecht ermöglicht Flexibilität

Seit etwa einem Jahrhundert existiert in Deutschland der Acht-Stunden-Tag, der im Arbeitszeitgesetz festgeschrieben ist. Abweichungen von dieser Höchstgrenze sind schon heute zulässig, sofern ein Ausgleich erfolgt – eine mittlere Arbeitszeit von acht Stunden je Werktag innerhalb eines halben Jahres darf nicht übertroffen werden. Bis zu zehn Arbeitsstunden täglich sind unter dieser Bedingung gestattet.

Für bestimmte Berufsgruppen bestehen außerdem bereits jetzt zusätzlich Sonderregelungen, beispielsweise im Gesundheitsbereich. Allerdings darf auch in diesen Fällen ein Wochendurchschnitt von 48 Stunden nicht übertroffen werden. Entsprechend dem Vorhaben von CDU/CSU und SPD könnte sich dies jedoch in Kürze wandeln, da sie gemäß einer EU-Richtlinie eine Höchstgrenze für die wöchentliche Arbeitszeit etablieren möchten. Arbeitsschichten könnten dann auch erheblich länger ausfallen als zehn Stunden. (phs)

Auch interessant

Kommentare