Bürgergeld für „Totalverweigerer“: Kürzungen sind nur unter einer Bedingung möglich

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In der Haushaltsdebatte diskutiert die Ampel aktuell auch über das Bürgergeld. Die FDP fordert, Arbeitsverweigerer schärfer zu sanktionieren. Wie aber ist die Rechtslage bei Kürzungen?

Berlin – In der anhaltenden Debatte um den Bundeshaushalt 2025 wird das von der Ampel-Regierung eingeführte Bürgergeld für Arbeitslose und Geringverdiener immer breiter diskutiert. Vor Kurzem (26. Juni 2024) etwa verstärkte die FDP erneut ihre Forderungen nach einer Bürgergeld-Reform. „Wir haben eine erfreulich niedrige Arbeitslosenquote, zugleich aber erschreckend hohe Ausgaben für den Sozialstaat“, sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) der Rheinischen Post (RP). Als Folge entstehe ein „Störgefühl“ unter Bürgern.

Das Jobcenter ist in der Pflicht, Briefzustellungen an Bürgergeld-Empfänger zu beweisen

Buschmanns Ansicht nach müsse sichergestellt werden, dass Bürgergeld nur denen zugekommen wird, „die sich nicht selbst versorgen können.“ Es solle nicht zu einer Alternative für jene geraten, „die keine Lust auf legale und für sie vorhandene Erwerbsarbeit haben.“ Um den Druck auf vermeintliche Verweigerer zu erhöhen, erwägt die FDP, ein Leistungsverbot für bis zu drei Jahre einzuführen und geltend zu machen. Das könnte Bürgergeld-Bezieher hart treffen - wäre aber mutmaßlich verfassungswidrig. Inwiefern aber sind Bürgergeld-Kürzungen für vermeintliche Totalverweigerer aktuell möglich?

Rund 130.000 Bürgergeld-Empfänger waren laut Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2023 von Bürgergeld-Kürzungen betroffen. Festzustellen, ob jemand eine Arbeitsaufnahme nachhaltig ausschlägt, setzt allerdings enge und transparente Regeln dafür voraus, ab wann eine Verweigerung vorliegt. Wo aber ist die Grenze dafür zu ziehen? „Leistungsminderungen gibt es beim Bürgergeld bei Pflichtverletzungen und bei Meldeversäumnissen“, sagt Irmgard Pirkl von der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, wie sie im Mai von der Stuttgarter Zeitung zitiert wurde.

Wer seine Mitwirkungspflicht, dem drohen Kürzungen beim Bürgergeld. In der aktuellen Haushaltsdebatte fordert die FDP, Sanktionen für Arbeitsverweigerer zu schärfen. Doch unter welchen Bedingungen ist das möglich?
Agentur für Arbeit in Essen © IMAGO/Revierfoto

Eine Pflichtverletzung der Bürgergeld-Bezieher liegt etwa vor, wenn Bürgergeld-Empfängerinnen und -Empfänger Aufforderungen zu den im Kooperationsplan mit dem Jobcenter getroffenen Absprachen oder erforderlichen Mitwirkungshandlungen nicht nachkommen. Etwa, indem sie Termine beim Jobcenter versäumen. 

Zur Frage, ab wann eine Verletzung der Mitwirkungspflicht vorliegt – etwa durch Versäumnisse von Jobcenter-Terminen –, hat das Landessozialgericht Sachsen eine wichtige Entscheidung für Leistungsberechtigte des Bürgergelds getroffen. Und zwar entschied das Gericht: „Das Jobcenter steht in der Pflicht zu beweisen, dass Bürgergeld-Bezieher die Einladung zum Termin erhalten haben – andernfalls liegt keine Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht vor.“ (Az. L 3 AS 64/18)

Gericht in Sachsen entscheidet in brisantem Fall zugunsten des Bürgergeld-Empfängers

Im vorliegenden Fall, über den das Portal „Gegen Hartz“ berichtet, behauptete das Jobcenter Leipzig, einem Leistungsbezieher am 07. April 2014 einen Brief geschickt zu haben. Versehen war dieser mit einem Meldetermin zum 15.04.2014, zu dem der Mann aber nicht erschien. Das Jobcenter kürzte ihm daraufhin den Regelsatz um zehn Prozent, und das für drei Monate. Das war seinerzeit bei Hartz IV möglich, beim Bürgergeld würde beim ersten Nichterscheinen zu einem Termin die zehnprozentige Kürzung für einen Monat gelten.

Der Betroffene ließ sich das nicht gefallen. Er legte Widerspruch ein und stellte einen Überprüfungsantrag gegen die Sanktion, weil er sich nicht erinnern konnte, eine Jobcenter-Einladung erhalten zu haben. Das Jobcenter wies den Widerspruch zurück. Als er auch beim Sozialgericht Leipzig keinen Erfolg mit einem Widerspruch hatte, ging der Leistungsbezieher am 22. Januar 2018 in Berufung vor dem Landesgericht Sachsen.

Das entschied in zweiter Instanz, das Sozialgericht Leipzig habe seine Klage zu Unrecht abgewiesen, und verwies auf Paragraf 37 Absatz 2 im Sozialgesetzbuch X. Ihm zufolge ist eine Behörde (etwa das Jobcenter) verpflichtet, die Zustellung eines Schreibens an den Empfänger zu beweisen – zumindest, wenn der Empfänger dies bestreitet. Damit bleibt Bürgergeld-Beziehern eine rechtliche Grundlage, auf die sie sich im Notfall stützen können.

Wie kann das Jobcenter ihre Briefzustellung an Bürgergeld-Empfänger nachweisen?

Welche Möglichkeiten aber hat das Jobcenter, zu beweisen, dass Briefsendung mit verbindlichen Forderungen und Terminen den Empfänger auch wirklich erreicht haben? Die einfache Postzustellung reicht als Nachweis jedenfalls nicht aus, denn mit ihm ist der Eingang des Briefs beim Empfänger noch nicht automatisch gewährleistet.

Als zugestellt dagegen gilt ein Brief rechtlich, wenn der Brief persönlich durch einen Boten übergeben wird und dafür eine Quittung ausgestellt wird. Auch reicht dem Jobcenter eine Übersendung des Briefs an den Empfänger per Einschreiben und inklusive Benachrichtigungskarte.

Rechtliche Grundlage für die Gültigkeit des Einwurfschreibens ist ein Urteil vom Bundesgerichtshof vom 25.01.2012 (Aktenzeichen: VIII ZR 95/11). Jedoch weist „Gegen Hartz“ darauf hin, dass im Arbeits- und Sozialrecht in der Vergangenheit häufig entschieden wurde, dass ein Einwurfeinschreiben keine Postzustellung nachweist. (fh)

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