Gesundheitskrise, Hungersnot und Gewalt: Die vergessene Katastrophe im Sudan

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Lara Dovifat von „Ärzte ohne Grenzen“ über die weltweit größte Flüchtlingskrise im Sudan.

Khartum – Im Sudan liefern sich die Armee von Militärherrscher al-Burhan und die RSF-Miliz seines früheren Stellvertreters Mohamed Hamdan Daglo seit April 2023 einen blutigen Machtkampf. Die sudanesische Regierung hatte diese Rapid Support Forces (RSF) zuvor selbst aufgebaut. Bei den Kämpfen wurden zehntausende Menschen getötet – manche Schätzungen gehen UN-Angaben zufolge sogar von bis zu 150 000 Toten aus. Millionen sind auf der Flucht und hungern. Unsere Zeitung sprach über diese vergessene Katastrophe mit Lara Dovifat von Ärzte ohne Grenzen.

Lara Dovifat, Sprecherin Ärzte ohne Grenzen
Lara Dovifat, Sprecherin Ärzte ohne Grenzen © MSF (kostenlos)

Können Helfer von Ärzte ohne Grenzen im Sudan noch arbeiten?

Wir sind aktuell mit über 1000 Kolleginnen vor Ort. In einigen Regionen, etwa in Darfur, sind wir die einzige Hilfsorganisation mit internationalen Mitarbeitenden, die trotz des Krieges geblieben sind. Die Situation spitzt sich seit Ausbruch des Krieges vor 14 Monaten zu: Vergangene Woche mussten wir ein Krankenhaus in der Hauptstadt Khartum schließen, weil es dort schwere Kämpfe gab. Wir mussten unser Team evakuieren, was für die Bevölkerung bitter ist: Es war die einzige Klinik, in der lebensrettende Kaiserschnitte durchgeführt wurden. 80 Prozent der Krankenhäuser im Sudan sind nicht mehr voll funktionsfähig.

Flüchtlingskrise im Sudan: Journalisten und Helfer werden vertrieben

Warum erfährt die Welt so wenig von diesen Zuständen?

Es wird von den kämpfenden Gruppen gezielt verhindert, dass Hilfsorganisationen oder auch Journalisten ins Land kommen: Visa werden nicht genehmigt, unsere Versorgungsrouten werden blockiert. Es ist ein gezieltes Mittel der Kriegsführung, Hilfe und Zeugenberichte zu verhindern. Laster, die wir bereits mit wichtigen chirurgischen Material beladen hatten, wurden über Wochen und Monate blockiert, um sie nicht in die von der RFS kontrollierten Gebiete fahren zu lassen. Wir mussten dort tatsächlich unsere Arbeit einstellen, weil wir keine Ausrüstung mehr hatten.

Die Klinik in El Geneina, der Hauptstadt von West Darfur.
Die Klinik in El Geneina, der Hauptstadt von West Darfur. © MSF (kostenlos)

Beim Bürgerkrieg 2004 in der Region ging es auch um ethnische Konflikte. Spielt das jetzt wieder eine Rolle?

Patienten, die in den Tschad fliehen konnten und die wir dort behandeln, erzählten uns, dass es in Darfur wieder Angriffe arabischer Milizen auf masalitische Gruppen gibt. Aber weil sich internationale Organisationen und die Medien dort weitgehend zurückgezogen haben, lässt sich über das Ausmaß der ethnischen Konflikte nichts Genaues sagen.

Krieg im Sudan: Herausforderungen von Ärzte ohne Grenzen in Khartum

Wie sind die Arbeitsbedingungen für Ihre Mitarbeiter vor Ort?

Sehr anstrengend. In der Klinik in Khartum, die wir jetzt räumen mussten, arbeiteten die Ärzte und Helfende zehn Monate ohne Pause durch, weil wir nicht unsere übliche Rotation durchführen konnten. Oft erreichen wir sie nicht, weil auch das Internet immer wieder abgeschaltet wird. Hilfs-Lieferungen werden geplündert. Das Humanitäre Völkerrecht, das vorgibt, dass medizinische Einrichtungen nicht angegriffen werden dürfen, wird von den Konfliktparteien mit Füßen getreten. Das macht die Arbeit so wahnsinnig schwer.

Gibt es militärischen Schutz für Ihre Mitarbeiter, etwa durch UN-Truppen?

Nein, aber es ist ein Grundprinzip unserer Arbeit, dass wir als neutraler Akteur ohne Waffen auftreten. Behandlung in unseren Krankenhäusern gibt es nur, wenn vorher die Waffen abgegeben werden. Unsere Weste mit dem „Ärzte-ohne-Grenzen“-Logo ist unsere Sicherheit. Aber immer häufiger wird sie missachtet.

Eine der schlimmsten Hungersnöte Afrikas – „Alle zwei Stunden stirbt ein Kind an Mangelernährung“

Wie ist die Situation der Flüchtlinge?

Man geht davon aus, dass sieben Millionen Menschen im Land vertrieben sind und zwei bis drei Millionen in die Nachbarstaaten Äthiopien, Ägypten, Südsudan, der Zentralafrikanischen Republik und Tschad geflohen sind – allesamt Staaten, in denen die Lage ohnehin schon angespannt war. Gerade in der Grenzregion zum Tschad ist die Entwicklung Besorgnis erregend: Es sind nicht genügend Helfer vor Ort, es fehlt an Wasser, an Nahrung, an sanitären Einrichtungen. Dabei können Hilfsorganisationen im Tschad eigentlich gut und relativ sicher arbeiten. Wir appellieren deshalb an die internationale Gemeinschaft, die Hilfe dort aufzustocken.

Mehr als zehn Millionen Menschen sind im Sudan auf der Flucht: Diese Menschen haben sich im März in den benachbarten Südsudan gerettet.
Mehr als zehn Millionen Menschen sind im Sudan auf der Flucht: Diese Menschen haben sich im März in den benachbarten Südsudan gerettet. © SOPA Images/Imago

Die WHO befürchtet eine Hungerkatastrophe.

Es ist die schlimmste akute Ernährungsunsicherheit, die es je im Sudan gab. Im Samsam-Camp in Darfur haben wir im Frühjahr eine Erhebung durchgeführt, mit erschreckenden Ergebnissen: 33 Prozent der schwangeren Frauen sind mangelernährt. Alle zwei Stunden stirbt ein Kind an Mangelernährung. Seit März, als wir die Erhebung durchführten, ist die Lage noch viel schlimmer geworden, weil immer mehr Flüchtlinge in das Lager kommen. Wir haben mittlerweile unsere Kinderpflege-Station in das Camp gebracht. Aber es ist ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Zusammenbruch des Gesundheitssystems und Gewalt gegen Kinder im Sudan-Krieg

Gibt es in den Flüchtlingslagern auch Seuchen?

Wir sehen tatsächlich immer wieder Ausbrüche von vermeidbaren Krankheiten wie Masern und Cholera. Ärzte ohne Grenzen führt zwar Impfkampagnen durch, aber es reicht alles nicht, weil das Gesundheitssystem weitgehend zusammengebrochen ist.

Im sudanesischen Bürgerkrieg eskaliert nach Angaben der SOS-Kinderdörfer die sexuelle Gewalt gegen Kinder. "Die Milizen entführen Kinder und junge Frauen aus den Dörfern und Städten, vergewaltigen sie, halten sie als Sexsklaven oder bieten sie auf dem Markt zum Verkauf an", sagt Abdelrahman Mubarak, Leiter der Hilfsorganisation im Sudan. Kinder würden außerdem immer häufiger als Soldaten eingesetzt oder zwangsverheiratet. Insbesondere im Bundesstaat Gezira im Südosten des Landes sei die Lage alarmierend. (Bild nur zur Verwendung im Kontext der SOS-Kinderdörfer weltweit)
Im sudanesischen Bürgerkrieg eskaliert nach Angaben der SOS-Kinderdörfer die sexuelle Gewalt gegen Kinder. "Die Milizen entführen Kinder und junge Frauen aus den Dörfern und Städten, vergewaltigen sie, halten sie als Sexsklaven oder bieten sie auf dem Markt zum Verkauf an", sagt Abdelrahman Mubarak, Leiter der Hilfsorganisation im Sudan. Kinder würden außerdem immer häufiger als Soldaten eingesetzt oder zwangsverheiratet. Insbesondere im Bundesstaat Gezira im Südosten des Landes sei die Lage alarmierend. (Bild nur zur Verwendung im Kontext der SOS-Kinderdörfer weltweit) © SOS-Kinderdörfer weltweit Hermann-Gmeiner-Fonds Deutschland e.V.

Es gibt auch Berichte, dass Kindersoldaten eingesetzt werden. Haben Sie dazu Erkenntnisse?

Dazu kann ich nichts sagen, aber mein Kollege, der im Südwesten von Darfur arbeitet, berichtete mir, dass unsere Teams dort immer mehr Kinder behandeln müssen, die sexualisierte Gewalt überlebt haben. Es fehlt an jeglichem Schutz, die Menschen sind der Gewalt ausgeliefert.

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