Mann gegen Mann – trotz der Verluste setzt Putin auf Infanterie
Mann gegen Mann – trotz der Verluste setzt Putin auf Infanterie
Russland besinnt sich auf die Infanterie-Attacke; Angriffe aus der Distanz scheinen die Ukraine kaum zu beeindrucken. Der Krieg wird wieder gnadenloser.
Saporischschja – „Etwa fünf bis sieben Männer bereiteten diese Angriffe vor, bildeten einen sogenannten Korridor mit elektronischer Kriegsführung und versuchten, mit diesen Infanteriegruppen so weit wie möglich vorzudringen“, sagt Wladislaw Woloschin. Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters berichtet der Sprecher des ukrainischen Militärs von einer neuen Taktik Russlands. Möglicherweise bereitet Wladimir Putins Invasionsarmee eine neue Offensive gegen die Ukraine vor, nachdem nicht nur die Friedensverhandlungen ins Stocken geraten sind, sondern Donald Trump offenbar auch wieder Waffen an die Ukraine liefert.
Kehrt marsch, also: Die Russen änderten ständig ihre Taktik und es sei schwer, Schritt zu halten, hat auch „Potter“ geklagt; gegenüber der Kiyv Post. Der ukrainische Drohnenpilot der 58. selbstständigen motorisierten Infanteriebrigade sieht sich und seine Kameraden durch die angepassten Taktiken seiner Gegner neuen, lebensbedrohlichen Gefahren ausgesetzt. Diese Gefahren gingen offenbar vor allem aus von Drohnen, die im Straßengraben herumlungerten, um sich auf vorbei fahrende Gegner zu stürzen – eine Taktik, die auch die Ukraine einzusetzen versucht und die Russland möglicherweise adaptiert hat.
Neue Offensive? „Die Russen sind geschickt darin, Taktiken für den Einsatz ihrer Ausrüstung zu entwickeln“
Wie „Potter“ gegenüber der Kiyv Post berichtet hat, hätten russische Truppen ein ankommendes Fahrzeug entdeckt und schnell eine FPV-Drohne (First-Person-View) eingesetzt, sie auf der Straße versteckt, um sie zu überfallen – das Fahrzeug hatte den Auftrag, die Mannschaft von „Potter“ abzulösen, und den Hinterhalt hat Russland gelegt, während die Ablösung das Fahrzeug verlies, um den abzulösenden Kräften Platz zu machen.
„Distanzkriege beschleunigen paradoxerweise Abnutzungskriege, während ein stärker gewichteter Landeinsatz, der durch gemeinsame Kräfte leicht unterstützt wird, einen Bewegungskrieg belebt und so einen schnelleren und weniger zerstörerischen Krieg ermöglicht.“
Laut der Erzählung des ukrainischen Soldaten sei ihr Fahrzeug über die Drohne gerollt wie über eine Mine, aber der verstärkte Unterboden hätte die Zerstörung der Fahrzeughülle verhindert und das Leben der Crew gerettet; allerdings seien sowohl Aufklärungsdrohnen unterwegs gewesen als auch Jäger-Drohnen an Glasfaser-Kabeln. Dadurch, dass die Soldaten in den Straßengräben verteilt warteten, seien alle unversehrt davon gekommen; insgesamt erinnert die Szene, die die Kiyv Post wiedergibt an die vielen Videos, die einen Teil der ukrainischen Progaganda bilden.
„Die Russen sind sehr geschickt darin, Taktiken für den Einsatz ihrer Ausrüstung zu entwickeln“, sagt „Potter“ gegenüber der Post. „Sie haben sogenannte ‚Jäger‘-FPV-Drohnen, die frei fliegen und zum Beispiel unsere Vampirdrohnen abschießen. Diese sind nicht auf ein bestimmtes Ziel gerichtet, sondern fliegen selbstständig los, um zu jagen.“ Möglicherweise ist das tatsächlich eine Anpassung der russischen Taktik an die geänderte politische Lage, in der US-Präsident Trump von Putins Linie abweicht und mit einem Aufflackern der ins Stocken geratenen Kämpfe zu rechnen sein wird. Auch der Infanteriekampf hat offenbar wieder an Härte gewonnen, wie die Nachrichtenagentur Reuters aktuell berichtet.
Putins neue Taktik: „Ganze Angriffszüge rückten vor und versuchten, sich in Angriffsgruppen aufzuteilen“
„Ganze Angriffszüge rückten vor und versuchten dann, sich in Angriffsgruppen aufzuteilen. Jede Angriffsgruppe führte ihre Aufgabe aus und versuchte, eine unserer Stellungen einzunehmen“, sagt Wladislaw Woloschin gegenüber Reuters. Dem Sprecher zufolge führe Russland „an einem typischen Tag“ an der südlichen Frontlinie in der Region Saporischschja etwa zehn solcher kleinen Offensiven aus. Die Reuters-Autoren Yuliia Dysa und Max Hunder räumen ein, diese Angaben seien unbestätigt; sie legen damit aber nahe: „Die Änderung signalisiert einen möglichen Bruch mit der Taktik, auf die sich Russland über zwei Jahre lang verlassen hatte, nämlich kleine Infanteriegruppen zu schicken, die langsam durch die ukrainischen Linien sickern sollten.“
Wie verschiedene Medien berichten, hat Russland offenbar erneut dazu gelernt – laut Einschätzung des Business Insider (BI) liegt der Grund dafür in einer nochmals verbesserten Aufklärung. Möglicherweise macht die russische Orlan-10-Drohne den Ukrainern wieder stärker zu schaffen. BI-Autor Matthew Loh behauptet, Russland „flutet den Luftraum mit Hunderten von Beobachtungssystemen in unterschiedlichen Höhen und Tiefen“. Demzufolge hätte Russland seine ISR-Fähigkeiten (Intelligence, Surveillance, and Reconnaissance – zu Deutsch: Nachrichtendienst, Überwachung und Aufklärung) allein durch die Masse an eingesetzten Drohnen multipliziert.
Der BI zitiert zum Ergebnis dieser Drohnen-Schwemme Federico Borsari vom Thinktank Center for European Policy Analysis (CEPA): Borsari zufolge könne Russlands Artillerie aufgrund der besseren Informationslage zielsicherer und schneller schießen. Borsari behauptet, eingangs des Krieges hätten zwischen Informationsgewinnung, Auswertung sowie Übermittlung und dem ersten scharfen Schuss aus Raketen- oder Rohr-Artillerie bis zu vier Stunden Verzögerung gelegen. Das sei lange vorbei. Möglicherweise erklärt sich daher auch der neue Offensivdrang russischer Infanterie-, Drohnen und Panzer-Einheiten.
Trotz hoher Verluste: „Man braucht Landstreitkräfte, um Landstreitkräfte zu besiegen“
Wie Reuters aktuell berichtet, hätten Videos des Südkommandos des ukrainischen Militärs in sozialen Medien einen „angeblichen russischen Angriff mit 320 Mann und 40 gepanzerten Fahrzeugen in der Nähe mehrerer Dörfer an der südlichen Frontlinie in der Region Saporischschja“ gezeigt – die Nachrichtenagentur verweist aber auf den Vorbehalt fehlender Verifizierung. Diese Taktik wäre allerdings die Rückkehr zum ursprünglich gescheiterten Versuch Russlands, mittels starker gepanzerter Verbände quasi durch die Ukraine hindurchzurollen; gescheitert war diese Strategie vor allem dadurch, dass sie taktisch nicht umzusetzen war, beispielsweise durch mangelhafte Führungskräfte sowie eine unstrukturierte Logistik.
„Man braucht Landstreitkräfte, um Landstreitkräfte zu besiegen“, schreibt Amos C. Fox. In der März-Ausgabe des US-Streitkräfte-Magazins Military Review sinniert der Oberstleutnant außer Dienst, dass zwar die moderne Kriegsführung auf Distanzkriege setze, also den gegenseitigen Beschuss über möglichst weite Entfernungen. Aber der Versuch, eigene Truppen weitestgehend aus lebensgefährdenden Situationen herauszuhalten, würde die Prinzipien der früheren Kriege kaum aushebeln – weil immer noch Krieg um Territorien geführt würde; und um diese Territorien zu erobern, müssten dort reale Kräfte ihren Stiefelabdruck hinterlassen.
„Um zukünftige Kriege zu gewinnen, benötigen westliche Streitkräfte robuste und widerstandsfähige Landstreitkräfte, die die besonderen Herausforderungen der Landkriegsführung bewältigen und gleichzeitig die technologischen Vorteile westlicher Streitkräfte nutzen können“, schreibt Fox. „Krieg von oben“, wie Fox argumentiert, helfe zwar, feindliche infanteristische Truppen in ihren Stellungen festzunageln oder unter die Erde zu treiben – aber eben nur zeitweise. Für „Potters“ Gruppe in Saporischschja hätte der Drohnenkrieg also schlimmstenfalls bedeutet, weitere Soldaten der Ukraine zu eliminieren. Aber für einen Erfolg Russlands wäre der Verlust zu gering gewesen, um daraus einen strategischen Vorteil zu ziehen.
Ukraine weiter in Not: „Manchmal kommen auf einen unserer Infanteristen zehn russische Besatzer“
Nachstoßende russische Soldaten hätten das Territorium für sich beanspruchen müssen – von denen ist aber keine Rede gewesen. Letztens Endes hätte Russlands aber selbst dann kaum Gewinn daraus ziehen können. Anders die verstärkten Infanterie-Attacken rund um Saporischschja, die wieder einen Anflug der russischen Fleischwolf-Taktik zurückgewinnen; das mag eine Anzeichen dafür sein, dass Russland ungeduldig wird und doch wieder einen schnellen Sieg durch schiere Masse sucht – eine Masse, die ihnen aufgrund der vorherigen horrenden Verluste dennoch fehlt.
Oder die sie verzweifelt aufzubringen versuchen, wie der Kiew Independent Anfang April aus Lyman berichtet hat. Demnach habe Anastasia Blyshchyk gesagt, die russischen Streitkräfte im Lyman-Sektor des Verwaltungsbezirks Donezk drängten vor „mit einer unglaublichen Menge an Infanterie, von der sie einfach jede Menge haben“, so die dortige Militärsprecherin. „Manchmal kommen auf einen unserer Infanteristen zehn russische Besatzer“, sagte Blyshchyk , die die dort eingesetzte 66. Separate Mechanisierte Brigade der Ukraine vertrete, wie der Kiew Independent berichtet.
Und dennoch bleibt Wladimir Putins Invasionsarmee ein entscheidender Schritt weiterhin verwehrt, obwohl das Prinzip dem US-Veteranen Fox als das einzig richtige erscheint, wie er in der Military Review ausgeführt hat: „Distanzkriege beschleunigen paradoxerweise Abnutzungskriege, während ein stärker gewichteter Landeinsatz, der durch gemeinsame Kräfte leicht unterstützt wird, einen Bewegungskrieg belebt und so einen schnelleren und weniger zerstörerischen Krieg ermöglicht.“