Rechnungshof legt Streichliste vor: Wo der Staat auf 30 Milliarden Euro verzichtet

Hohe Zinsen, wachsende Schulden, kaum Spielraum für Investitionen – der Bundeshaushalt steht unter Druck. In dieser Lage warnt der Bundesrechnungshof vor einem oft übersehenen Problem: Deutschland hat nicht nur ein Ausgaben-, sondern auch ein Einnahmenproblem. In einem Sonderbericht zeigt die Kontrollbehörde auf, wie der Staat jedes Jahr auf bis zu 30 Milliarden Euro an möglichen Steuergeldern verzichtet – durch Steuerlücken, ineffiziente Subventionen und veraltete Strukturen.

„Die Handlungsspielräume sind enorm“, betont Rechnungshof-Präsident Kay Scheller. Der Bundesrechnungshof zeigt indes auf, wie der Staat seine Einnahmeseite deutlich stärken könnte – mit sechs Handlungsfeldern und 22 konkreten Maßnahmen. FOCUS online gibt einen Überblick, wo dem Staat jedes Jahr Milliarden an Steuergeldern entgehen.

Erste Forderung: Steuerliche Subventionen reformieren

Der Bundesrechnungshof fordert, steuerliche Vergünstigungen systematisch zu überprüfen und unwirksame oder kontraproduktive Subventionen konsequent abzubauen. Viele dieser Regelungen verursachen jährlich enorme Steuerausfälle – ohne erkennbaren Nutzen. Durch gezielte Reformen könnten bis zu 17 Milliarden Euro zusätzlich eingenommen werden – ganz ohne klassische Steuererhöhungen.

  • Steuerermäßigung für Handwerkerleistungen: Kostet den Staat rund 2,1 Milliarden Euro jährlich, bringt  Bürgern im Schnitt weniger als 100 Euro und führt oft zu Mitnahme-Effekten ohne klaren Nutzen.
  • Klimaschädliche Subventionen: Vergünstigungen wie das Dieselprivileg (bis zu sieben Milliarden Euro pro Jahr) oder die Steuerbefreiung von Kerosin (rund 500 Millionen Euro) stehen im Widerspruch zu den Klimazielen – und kosten zugleich Milliarden. Dazu könnte der Abbau anderer klimaschädlicher Subventionen bis zu sechs Milliarden Euro jährlich einbringen.
  • Tonnagebesteuerung in der Schifffahrt: Führt zwischen 2021 und 2024 zu geschätzten Steuermindereinnahmen von über 22 Milliarden Euro. Eine Reform könnte diese Verluste deutlich reduzieren, ohne die Wettbewerbsfähigkeit der Branche zu gefährden.
  • Ermäßigter Umsatzsteuersatz: Sorgt jährlich für Milliardenverluste, obwohl viele begünstigte Leistungen keinen nachvollziehbaren gesellschaftlichen Mehrwert haben. Ein gezielter Abbau würde das Steuerrecht zugleich vereinfachen.

Zweite Forderung: Richtig steuerlich fördern

Staatliche Fördermaßnahmen müssen wirksam, notwendig und wirtschaftlich sein. Der Bundesrechnungshof fordert deshalb, Subventionen strenger zu prüfen und auf die zentralen Aufgaben des Staates zu fokussieren. Besonders wichtig ist es, sogenannte Doppelförderungen zu vermeiden – also Fälle, in denen Bürgerinnen und Bürger für ein und dieselbe Maßnahme mehrfach staatliche Unterstützung erhalten. Allein durch eine konsequente Anwendung der geltenden Förderregeln ließen sich jährlich Hunderte Millionen Euro einsparen.

Ein konkretes Beispiel: Der Bundesrechnungshof kritisiert die doppelte Entlastung beim Kindergeld. Auch volljährige Kinder mit eigenem Einkommen profitieren weiterhin über den Familienleistungsausgleich – eine Doppelbegünstigung, die dem Staat rund eine Milliarde Euro im Jahr kostet.

Dritte Forderung: Steuerhinterziehung bekämpfen

Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Bekämpfung von Steuerhinterziehung, die dem Staat jährlich Milliarden kostet, moniert der Bundesrechnungshof. Allein 2023 wurden durch die Steuerfahnder der Länder 2,5 Milliarden Euro an hinterzogenen Steuern aufgedeckt. Trotz erster Fortschritte kommt die Bekämpfung jedoch nicht schnell genug voran. Der Staat muss entschlossener handeln, seine Instrumente weiterentwickeln und die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern deutlich verbessern.

Dafür schlägt der BRH folgende Maßnahmen vor:

  • Die Modernisierung der IT-Systeme und die Digitalisierung der Umsatzsteuerkontrolle.
  • Eine Verstärkung der Steuerfahndung durch die Einrichtung einer zentralen Servicestelle.
  • Eine Vereinheitlichung der Auswertung von Steuerdaten, um diese effizienter zu nutzen.
  • Eine Verstärkung der Geldwäschebekämpfung, da strukturelle Reformen allein nicht ausreichen. Neue Behörden benötigen klare Zuständigkeiten, ausreichend Personal und moderne Technik.
 Handlungsfelder zu Stärkung der Einnahmenbasis des Bundeshaushaltes
Handlungsfelder zu Stärkung der Einnahmenbasis des Bundeshaushaltes Bundesrechnungshof

Vierte Forderung: Finanzverwaltung digitalisieren

Die Digitalisierung der Finanzverwaltung muss dringend beschleunigt werden. Der Bundesrechnungshof fordert eine deutliche Aufstockung der Mittel für Digitalisierungsprojekte, eine rasche Modernisierung der Steuer-IT sowie die Anpassung von Gesetzen, um die digitale Bearbeitung zu erleichtern.

Fünfte Forderung: Steuervollzug stärken

Der BRH verlangt eine umfassende Verbesserung des Steuervollzugs, um mit neuen Entwicklungen wie Online-Plattformen und Kryptowährungen Schritt zu halten. Es soll eine intensivere Kontrolle der Einkünfte über Online-Plattformen sowie aus Kryptowährungen erfolgen. Zudem sollen Arbeitgeber-Erstattungen künftig in der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung erfasst werden. Ein automatisiertes Verfahren soll außerdem helfen, Steuerausfälle bei ausländischen Steuerpflichtigen zu verhindern.

Sechste Forderung: Zusammenarbeit verbessern

Die Finanzverwaltung auf Bundes- und Länderebene muss enger mit relevanten Behörden zusammenarbeiten, um Daten auszutauschen und Ressourcen zu bündeln. Dafür sind effiziente Meldesysteme notwendig, die eine umfassende Auswertung der verfügbaren Daten ermöglichen. Der Staat sollte dabei auch die Daten von multinationalen Konzernen analysieren, Schwarzarbeit durch Risikomanagement bekämpfen und die Agrarsubventionen besser erfassen.

Lösungen werden kaum diskutiert

Während also die Bundespolitik über Ausgabenkürzungen und Haushaltslöcher diskutiert, bilanziert der BRH: Der Staat schöpft sein Steuerpotenzial nicht aus – und verzichtet freiwillig auf mehrere Milliarden.

Die Behörde kritisiert, dass all jene Lösungen aktuell kaum diskutiert werden. "Eher sind Bestrebungen erkennbar, weitere Steuervergünstigungen einzuführen", heißt es. Dabei sei eine Konsolidierung des Haushalts dringlicher denn je.