Putins „Zombies“: Eine Umfrage zeigt, wie wenig Ukrainer noch von Russen halten

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Die Menschen in der Ukraine halten wenig von ihren Nachbarn. Russland hat schließlich den Ukraine-Krieg begonnen – trotz der Erzählung vom Brudervolk.

Kiew - Spätestens seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar 2022 verläuft ein Riss durch die Erzählung von den „Brudervölkern“ Russland und Ukraine. Auch wenn der russische Präsident Wladimir Putin weiterhin eine solche Einheit beschwört, sind immer mehr Ukrainer eher vom Gegenteil überzeugt. Neuen Umfragen zufolge haben sie zu Russland und seinen Bewohnern mittlerweile hauptsächlich negative Assoziationen.

Das geht aus den Ergebnissen einer Erhebung des ‚Kyiv International Institute of Sociology‘ (KIIS) hervor. In dieser wurden Personen gefragt, was die ersten zwei oder drei Wörter sind, die ihnen in den Sinn kommen, wenn sie das Wort „Russland“ oder den Ausdruck „gewöhnliche Russen“ hören.

Wie und wo wurde die Erhebung durchgeführt? Wer wurde befragt?

Mittels computergestützter Telefoninterviews (CATI) auf der Grundlage einer Zufallsstichprobe von Mobiltelefonnummern (mit zufälliger Generierung der Telefonnummern und anschließender statistischer Gewichtung) wurden 1.052 Befragte, die in allen Regionen der Ukraine (von der ukrainischen Regierung kontrolliertes Gebiet) leben, vom 17. bis 23. Februar und 1.067 Befragte vom 16. bis 22. Mai befragt. Die Umfrage wurde mit erwachsenen (18 Jahre und älter) Bürgern der Ukraine durchgeführt, die zum Zeitpunkt der Umfrage auf dem von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiet der Ukraine lebten. (Quelle: KIIS)

Insgesamt 80 Prozent gaben an, bei dem Begriff „gewöhnliche Russen“ nur an negative Wörter und Ausdrücke zu denken. Diese waren unter anderem: „Nichtmenschen“, „Zombies“, „ungebildet“, „Feinde“, „dumm“ und „gewöhnliche Leute“. Noch stärker fielen die Reaktionen auf das Wort „Russland“ aus, das bei 94 Prozent der Befragten negative Assoziationen hervorrief - z.B. „Aggressor“, „Feind“, „Hass“, „Besatzer“, „Mörder“, „Nichtmenschen“ und „Wut".

Putin und seine Nachbarn –- Der Ukraine-Krieg hat das Verhältnis deutlich verschlechtert

Angesichts des seit über zwei Jahren andauernden russischen Angriffskriegs überrascht dieses Ergebnis kaum. Laut dem KIIS gaben noch im Februar 2022, also kurz vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs, 34 Prozent der Ukrainer an, eine gute Einstellung gegenüber dem Nachbarland zu haben. Im November 2021 antworteten gar 75 Prozent, dass sie eine positive Einstellung zu den Menschen in Russland hätten.

Umfragen zeigen, dass die Zustimmung der Ukrainer zu Russland seit Beginn des Ukraine-Kriegs stark gesunken ist.
Umfragen zeigen, dass die Zustimmung der Ukrainer zu Russland seit Beginn des Ukraine-Kriegs stark gesunken ist. © IMAGO/Vyacheslav Prokofyev

Neben der Einstellung gegenüber Russland und den einfachen Russen untersucht das Institut seit 15 Jahren, wie die Ukrainer die Beziehungen der Ukraine zu Russland beurteilen. Den Daten zufolge hatten sich im Februar 2013 ganze 70 Prozent der Befragten für ein freundschaftliches Verhältnis beider Staaten ausgesprochen - mit offenen Grenzen und ohne Visumpflicht. Nach der Besetzung der Krim und dem Beginn des Krieges im Donbass stieg der Anteil derjenigen, die der Meinung waren, dass die Beziehungen so sein sollten wie mit anderen Staaten, deutlich an (von 15 auf 44 Prozent). Inzwischen, so die letzten Ergebnisse vom Mai dieses Jahres, ist er auf 75 Prozent angestiegen, während lediglich 12 Prozent ein freundschaftliches Verhältnis befürworten.

Entfremdung der russischen und ukrainischen Gesellschaften – Putins Führungsstil hat Folgen

Auffällig ist auch, dass der Wert derjenigen stark angestiegen ist, die „schwer zu sagen“ finden, wie die Beziehungen aussehen sollten. 2013 hatten nur drei Prozent dem zugestimmt, 2024 waren es 13 Prozent. Im selben Zeitraum ist der Anteil derer, die eine Vereinigung beider Länder befürworten, drastisch zurückgegangen - von 12 auf 0,3 Prozent.

Diese Erkenntnisse decken sich mit denen des ukrainischen Politikwissenschaftlers Serhii Schapowalow. Seinen Daten zufolge standen die Ukrainer der Idee eines Bünd­nis­ses mit Russ­land und Belarus von Anfang der 2000er Jahre bis 2013 über­wie­gend positiv gegen­über. Erst 2014 habe sich das schlagartig geändert. Seine Analyse, die im Januar 2022 auf dem Portal Ukraine verstehen veröffentlicht wurde, kam zu dem Schluss, dass eine mentale Entfremdung der russischen und ukrainischen Gesellschaften stattgefunden habe. Neben dem Krieg im Donbass und der Besetzung der Krim sei dafür auch ein zunehmend anderes Verständnis derjenigen Werte verantwortlich, die für einen Staat im Vordergrund stehen sollten, so Schapowalow damals.

Putin träumt von der „Wiederherstellung der Einheit“ – Doch der Ukraine-Krieg hat das Gegenteil bewirkt

Trotzdem wird Putin bis heute nicht müde zu betonen, dass das „ukrainische Brudervolk“ zur Einflusssphäre Russlands gehört. Dafür sei seine These von einem „geteiltem Volk“ essenziell, so ein Bericht der ‚Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik‘. Stets habe er das „Streben der russischen Welt und des historischen Russlands nach Wiederherstellung der Einheit“ hervorgehoben und eine Verantwortung Russlands als Schutzmacht vor dem Westen postuliert. Letztlich sei dies eine autoritär-imperiale Identitätsbehauptung, die die Gültigkeit der Grenzen nach dem Zerfall der UdSSR infrage stelle. Mit den tatsächlich beobachtbaren Einstellungen in der heutigen ukrainischen Gesellschaft habe sie nichts zu tun, so der Bericht weiter.

Lange sei die russische Sichtweise übernommen worden, die seit zwei Jahrhunderten die Deutungshoheit hat, so der Historiker Andreas Kappeler in seinem Buch „Ungleiche Brüder. Russen und Ukrainer vom Mittelalter bis zur Gegenwart“. Man habe die Ukraine stets als Teil der russischen Nation wahrgenommen und ihr damit eine eigene Sprache, Kultur und Geschichte fälschlicherweise abgesprochen. Zwar habe es im Spätmittelalter eine „gemeinsame Wiege der Kiewer Rus“ gegeben. Im Laufe der Jahrhunderte hätten sich die Wege sogenannten „kleinen Bruders“ Ukraine vom „großen Bruder“ Russland dann aber getrennt. Trotzdem würden heute „nationale Kategorien zurück ins Mittelalter projiziert, als von Russen und Ukrainern noch keine Rede sein konnte“. (tpn)

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