Vom Sorgenkind zum Hoffnungsträger: Die Tanne mag es kühl und schattig

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Mit dem Maßband ums Naturdenkmal: Förster Robert Nörr (re.) und Praktikant Jim Dreier messen den Umfang der wohl dicksten Tanne im Landkreis. Im Volksmund heißt sie auch „Große Tann’ an der Bauernrast“. © Doris Schmid

Sie ist eine der wichtigsten Baumarten in unseren Breiten: die Weißtanne. Im Lenggrieser Ortsteil Fleck steht wohl das dickste Exemplar des Landkreises.

Bad Tölz-Wolfratshausen/Lenggries – Sie ist eine der wichtigsten Baumarten in unseren Breiten: die Weißtanne. Das Waldsterben in den 1980er-Jahren, verursacht durch eine hohe Luftverschmutzung und sauren Regen, führte damals allerdings zu einem drastischen Rückgang. Eine, die das und noch viel mehr überlebt hat, befindet sich im Lenggrieser Ortsteil Fleck. Dieses besondere Exemplar ist knapp 400 Jahre alt und der dickste Baum im Landkreis, der Förster Robert Nörr bekannt ist.

Nach einem Blitzeinschlag 28 Meter hoch

Die beeindruckende Weißtanne steht östlich von Fleck an einem Wanderweg oberhalb des Almbachs. 1938 wurde sie zu einem Naturdenkmal erklärt und damit unter Naturschutz gestellt. „Es handelt sich um ein Wunderwerk von einem Tannenbaum, hochaufragend zum Himmel, ziemlich freistehend von gewaltigem Umfang mit starken, weit ausladenden Ästen, ein Tannenbaum, wie er im Bezirk wohl kein zweites Mal anzutreffen ist“, wurde damals dazu geschrieben. „Der Baum ist ein Naturdenkmal 1. Ordnung und daher unbedingt zu schützen. Zuwiderhandlungen werden mit 150 Reichsmark bestraft.“ Ihr Umfang lag bei fünf Metern. Wie hoch sie ursprünglich war, ist nicht bekannt – nach einem Blitzeinschlag brachte sie es immerhin noch auf 28 Meter.

Name geht zurück auf eine Bank

Ihr Zusatzname „An der Bauernrast“ geht darauf zurück, dass schon früher unter dem Baum eine Bank aufgestellt war. „Am Weg zu den bäuerlichen Weidegründen, auf dem Weg zur Waldarbeit und auch am Wanderweg zum Roß- und Buchstein gelegen, machte man dort gerne Rast“, ist auf einer Infotafel zu lesen, die im Jahr 2010 neben der Tanne errichtet wurde. „Man hatte damals einen schönen Blick aufs Isartal und das Brauneck, weil die Tanne alleinstehend und noch nicht so zugewachsen war.“ Das hat sich inzwischen geändert. Der Blick bleibt an Baumreihen hängen, und mittlerweile ist die Tanne von zahlreichen Bäumen umgeben. Auf einer Seite ist sie schon recht licht: Von vielen Ästen sind nur noch abgebrochene Stümpfe übrig. Der Blitzeinschlag und ein Sturm haben ihr zugesetzt. Auch ein Pilz wächst auf ihr.

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Mit einem Maßband in der Hand steht Förster Nörr vor der Tanne. Er will wissen, wie viele Zentimeter sie seit der letzten bekannten Messung im Jahr 2010 in die Breite gewachsen ist. „Sie hat schon sauber zugelegt seitdem“, meint Nörr, nachdem er gemeinsam mit seinem Praktikanten Jim Dreier nachgemessen hat. Sieben Zentimeter sind es, macht einen halben Zentimeter pro Jahr. Der Durchmesser wuchs von 1,65 auf 1,72 Meter. „Wenn man so wie wir jetzt davorsteht, das ist schon ehrfurchteinflößend“, sagt Nörr. „Dieser Seitenast hier ist eigentlich ein neuer Baum“, ergänzt der Wolfratshauser beeindruckt und deutet in die Höhe. „Das ist schon gigantisch.“

Besonders wohl fühlt sie sich in den Bergmischwäldern der Alpen und des Voralpenlands

Die Tanne ist in fast ganz Bayern heimisch, und nach dem großen Waldsterben hat sich die Art laut Nörr dank scharfer Luftreinhaltungsgesetze auch wieder erholt. Besonders wohl fühlt sie sich in den Bergmischwäldern der Alpen und des Voralpenlands. Die Tanne steht gerne im kühlen, feuchten Schatten von Altbäumen. Dort vermehrt sie sich von Natur aus zahlreich. Da sie mit viel weniger Licht auskommt als andere Baumarten, kann sie sich gut durchsetzen. „Wenn es vom Wildbestand her passt, ist die Tanne die allererste, die die neue Generation bildet“, sagt Nörr. „Das ist die Strategie der Tanne: Wenn es noch ganz dunkel ist, und keiner kann, kommt sie.“ Ein wesentlicher Vorteil. Aber die Tanne hat auch einen großen Nachteil. Sie ist laut Nörr „die Praline unter den Baumarten“. Rehe haben vor allem die Knospen zum Fressen gern. „Und sie wächst in der Jugend sehr langsam. Aber wenn sie mal groß ist, wächst sie schnell. Dann hat sie sogar ein um zehn Prozent stärkeres Wachstum als die Fichte.“

Wichtig für einen stabilen Schutzwald

Aufgrund ihrer Robustheit und weiteren Vorteilen ist die Tanne für den Fachmann in Zeiten des Klimawandels „unverzichtbar“ – auch wenn sie starke Trockenzeiten und Hitze wie andere Baumarten auch anfälliger machen. Die Tanne ist immer noch sehr trockenresistent und extrem sturmstabil, „weil sie in der Regel eine tief reichende Pfahlwurzel und wenig Schädlinge hat“, so Nörr. Besonders in Bergwäldern werden dem Experten zufolge immergrüne Nadelbäume benötigt. „Ein großer Teil der Niederschläge verdunstet gleich wieder mit der Krone.“ Im Winter haben kahle Laubbäume starken Regenfällen wenig entgegenzusetzen. „Sie treffen ungefiltert auf den Boden, das Wasser konzentriert sich und fließt ab“, erklärt der 54-Jährige. „Es entstehen entsprechende Hochwasserschäden. Deshalb sei für einen stabilen Schutzwald ein gewisser Nadelholzanteil dringend notwendig. Wegen der vielen Vorteile der Tanne versuchen Waldbesitzer und Förster daher, den mit sechs Prozent zu geringen Anteil der Tannen im Oberland durch gezielte Pflege – eine angepasste Jagd mit Naturverjüngung und, wo es keine Alttannen gibt, durch Pflanzung – zu erhöhen.

Auch als Bauholz gefragt

Auch als Bauholz – insbesondere für Dachstühle – ist die Tanne gefragt. „Bis vor ein paar Jahren war für die Japaner das Tannenholz sogar das Edelste vom Edlen“, berichtet Nörr. Jedes Jahr habe die Waldbesitzervereinigung Wolfratshausen starke und qualitativ hochwertige Tannen zu besten Preisen nach Asien verkauft. Inzwischen sei das Japan-Geschäft allerdings eingeschlafen.

Serie

Welche Baumarten gibt es im Landkreis? Wo steht der Höchste? Welcher ist der Dickste? Welche Kuriositäten gibt es? Mithilfe des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wollen wir unter dem Titel „Von der Wurzel bis zur Krone“ besondere Bäume in loser Reihenfolge in unserer Zeitung vorstellen.

Steckbrief

Nadel: flach, dunkelgrün, glänzend, zwei weiße Längsstreifen, weich, wohlriechend;

Rinde: hell, glatt, später schuppig;

Früchte: Zapfen (wächst aufrecht), zerfällt am Baum, Spindel bleibt zurück;

Wurzel: tief greifende, pfahlförmige Wurzel mit seitlichen Tiefenwurzeln;

Höhe: maximal 60 Meter;

Altersgrenze: 600 Jahre;

Vorkommen im Landkreis:

überall (Ausnahme: Moore), im Gebirge bis circa 1400 Meter;

Holzeigenschaften: leichter, weicher und heller als Fichtenholz, grobfaserig, mittelhart, leicht spaltbar, kein Harz;

Holzpreis: Langholz 100 Euro pro Kubikmeter, Blockhausware 140 Euro pro Kubikmeter und mehr;

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