Pistorius‘ Plan B für den Ernstfall: Wann die Wehrpflicht doch käme

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Boris Pistorius lässt die Wiedereinführung der Wehrpflicht unter bestimmten Voraussetzungen offen. Ein Gesetzesentwurf zeigt, wer in welchem Fall eingezogen werden könnte.

Berlin – Die Bundeswehr benötigt in Zeiten des Ukraine-Kriegs und der noch von Altkanzler Olaf Scholz ausgerufenen Zeitenwende bis zu 60.000 mehr Soldaten als heute. Diese Zahlen bekräftigte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) auf einem Nato-Treffen Anfang Juni. Dennoch setzt die Bundesregierung von Kanzler Friedrich Merz (CDU) zunächst auf Freiwilligkeit. Doch ein neuer Gesetzesentwurf aus dem Verteidigungsministerium zeigt: Pistorius hat die Tür für die Wiedereinführung der Wehrpflicht einen Spalt weit offen gelassen.

Droht die Rückkehr der Wehrpflicht? Pistorius lässt in Gesetzesentwurf die Tür offen

Das Bundeskabinett solle „mit Zustimmung des Deutschen Bundestages die verpflichtende Heranziehung von Wehrpflichtigen“ anordnen können, berichtete der Spiegel aus dem Gesetzesentwurf des Verteidigungsministers. Dieser Fall könne dann eintreten, „wenn die verteidigungspolitische Lage dies erfordert“ und das Freiwilligen-Modell von Pistorius nicht genügend Rekruten für den Wehrdienst generiert. Hierdurch verankert der SPD-Politiker in dem Entwurf eine Antwort auf die zahlreichen Zweifler, die nicht an eine ausreichende personelle Aufstockung der Bundeswehr auf freiwilliger Basis glauben.

Boris Pistorius hält sich die Option für eine Rückkehr zur Wehrpflicht offen.
Boris Pistorius hält sich die Option für eine Rückkehr zur Wehrpflicht offen. © Boris Roessler/dpa

Bereits Pistorius selbst sagte noch Anfang Juni zu den geforderten Rekruten-Zahlen: „Und gleichzeitig wird sich die Frage natürlich stellen: Reicht der neue Wehrdienst aus über die nächsten Jahre?“ Falls die Realität diese Frage in den kommenden Jahren mit Nein beantworten sollte, hat der Verteidigungsminister einen Plan B vorbereitet. Eine verpflichtende Einberufung solle möglich sein, wenn die verteidigungspolitische Lage „einen kurzfristigen Aufwuchs der Streitkräfte zwingend erfordert, der auf freiwilliger Grundlage nicht erreichbar ist“, berichtete der Spiegel weiter aus dem mehr als 50-seitigen Gesetzentwurf. Die verpflichtende Rekrutierung wäre somit nicht mehr davon abhängig, dass der Spannungs- oder Konfliktfall ausgerufen wird. Dann könnten Männer wieder zum Dienst an der Waffe verpflichtet werden.

Neuer Bundeswehr-Plan von Pistorius: Sind auch Frauen von einer Wiedereinführung der Wehrpflicht betroffen?

Frauen würde diese Regelung nach aktuellem Stand nicht tangieren. Es gilt weiterhin der Artikel 12a des Grundgesetzes, der seit 2011 ausgesetzt ist. In diesem heißt es: „Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.“ Um Frauen zu einem Wehrdienst zu verpflichten, wäre demnach eine Grundgesetzänderung erforderlich, die vom Bundestag nur durch eine Zwei-Drittel-Mehrheit erlassen werden kann. In der aktuellen Legislaturperiode bräuchte Schwarz-Rot dafür wahlweise die Stimmen der AfD oder von Grünen und Linkspartei.

Pistorius beschwichtigt SPD-Kollegen: Rekruten sollen in neuem Wehrdienstmodell mehr Sold bekommen

Pistorius selbst beruhigte noch am Montag seine Parteikollegen. Die Entscheidung über die zwangsweise Rekrutierung liege am Ende beim Bundeskabinett und dem Bundestag. Der freiwillige Dienst werde aber so attraktiv sein, dass in den nächsten Jahren keine Pflicht erforderlich sein werde, soll der Verteidigungsminister seiner Fraktion erläutert haben. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters aus Parlamentskreisen.

Die Konzepte des Ministers für den freiwilligen Wehrdienst orientieren sich grob am schwedischen Modell. Zunächst sollen alle jungen Männer und Frauen per Post einen Fragebogen erhalten. Während Männer zum Ausfüllen verpflichtet sind, können Frauen freiwillig ihre Daten angeben. Dies soll zunächst ab dem Jahrgang 2008 geschehen. Dabei wird unter anderem auch das Interesse an einem Dienst bei der Bundeswehr abgefragt. Geeignete Kandidaten werden dann im Anschluss zur Musterung eingeladen. Der Vorgang hat den Vorteil, dass mehr Menschen gemustert werden, auch wenn diese sich am Ende gegen einen freiwilligen Wehrdienst entscheiden. Im Ernstfall könnte die Bundeswehr somit schnell fähige Männer verpflichten.

Alle Wehrdienstleistenden sollen laut Spiegel künftig als Soldatinnen und Soldaten auf Zeit berufen werden. Damit gehe eine Bezahlung nach dem Bundesbesoldungsgesetz einher, die deutlich besser ist als die bisherigen Bezüge der sogenannten freiwillig Wehrdienstleistenden, berichtete das Magazin. Die Rede sei von Steigerungen um die 80 Prozent. Der Sold im neuen Wehrdienst würde demnach dann bei über 2000 Euro netto liegen. Die Länge des neuen Wehrdienstes geht aus dem Gesetzentwurf noch nicht final hervor, soll jedoch zunächst bei sechs Monaten liegen.

Kritik an Wehrpflicht-Plänen von Pistorius – Krisengespräche auf SPD-Parteitag

Kritik an dem Vorhaben des Ministers, eine Rückkehr der Wehrpflicht zu ermöglichen, kommt auch aus den eigenen Reihen. Auf dem Bundesparteitag der Sozialdemokraten Ende Juni konnte ein parteiinterner Streit um das kontroverse Thema gerade noch abgewendet werden. Nach stundenlangen Krisengesprächen wurde nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur ein Initiativantrag der Jusos abgeändert, der zunächst die Verankerung eines zwangsweisen Wehrdienstes im geplanten Gesetzentwurf abgelehnt hatte.

Am Ende einigte sich die Partei auf die Formulierung: „Wir wollen keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger, bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind.“ Diese biete Pistorius genügend Spielraum für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht, sollte das freiwillige Modell doch nicht den nötigen Anreiz schaffen.

Das Kabinett soll sich in den kommenden Wochen mit dem Entwurf von Pistorius beschäftigen und diesen beschließen. Dann könnte der Bundestag nach der Sommerpause die geplanten Änderungen verabschieden. Die Umsetzung des neuen Wehrdiensts wäre nach diesem Zeitplan Anfang 2026 denkbar.

Personalmangel bei der Bundeswehr: Pistorius sucht 60.000 neue Soldaten

Im Konfliktfall bräuchte die Bundeswehr vor dem Hintergrund neuer Nato-Vorgaben eine Gesamtstärke von 460.000 Soldatinnen und Soldaten. Derzeit gibt es nur gut 182.000 aktive Soldaten sowie gut 49.000 aktive Reservisten. Pistorius strebt neben den 60.000 zusätzlichen aktiven Soldatinnen und Soldaten auch eine Erhöhung der Reservisten auf eine Gesamtzahl von 200.000 an. (fdu mit Material von dpa)

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