EU beschließt umstrittenes Naturgesetz – Landwirte wüten über „rückwärtsgewandte“ Pläne
Ein umstrittenes Naturgesetz versetzt Landwirte in der EU in Aufruhr. Die Sorge: die neuen Naturschutzquoten gefährden die Ernährungssicherheit. Wissenschaftler und Umweltexperten halten dagegen.
Brüssel - Lange wurde in Brüssel um dieses Gesetz gerungen, doch nach fast zwei Jahren ist es beschlossen: Das neue Naturschutzgesetz der EU (Gesetz zur Wiederherstellung der Natur) wurde am Montag (17. Juni) in Luxemburg von einer ausreichenden Mehrheit der EU-Staaten beschlossen. Eigentlich hatten sich die EU-Länder und das EU-Parlament schon im November auf einen Kompromiss verständigt - doch bis jetzt wurde das Vorhaben weiter blockiert. Nur durch einen Kurswechsel Österreichs - was zu einer regelrechten Staatskrise in der Alpenrepublik führen könnte - war der Beschluss nun möglich.
Umstritten ist das Vorhaben vor allem wegen der Landwirte. Diese hatten sich konsequent gegen das Vorhaben gestellt, sogar mit wochenlangen Protesten in zahlreichen Mitgliedsstaaten für Ärger gesorgt. Hat der Protest nun also nichts genutzt?
EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur: Kompromiss kommt Bauern entgegen
Die EU-Kommission hatte das sogenannte Renaturierungsgesetz vor fast genau zwei Jahren vorgeschlagen. Nach offiziellen Angaben sind rund 80 Prozent der Lebensräume in der Europäischen Union in einem schlechten Zustand. Zudem sind demnach zehn Prozent der Bienen- und Schmetterlingsarten vom Aussterben bedroht und 70 Prozent der Böden in einer schlechten Verfassung.
Während Umweltschützer, zahlreiche Wissenschaftler und Unternehmen das Gesetz befürworteten, gab es großen Widerstand vor allem von Christdemokraten und Bauernverbänden. Die Kritiker befürchten zu große Einschnitte für Landwirte und damit Auswirkungen auf die Lebensmittelproduktion in der EU. Um auf diese Bedenken einzugehen, war das Gesetz im Verhandlungsprozess deutlich abgeschwächt worden. Dem nun zugestimmten Kompromiss zufolge sollen Landwirte künftig etwa nicht verpflichtet sein, einen bestimmten Prozentsatz ihres Landes für umweltfreundliche Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, was Bauern befürchtet hatten. Allerdings kann es in dem Kompromiss schon sein, dass die Art und Weise, wie eine Fläche bewirtschaftet wird, angepasst werden muss. So kann zum Beispiel eine wiedervernässte Fläche nicht mehr als Ackerfläche dienen - dafür aber als Weidefläche.
Bauern sind gegen Naturgesetz der EU - Wissenschaftler sprechen von „Kampagne“
Trotzdem sieht der Deutsche Bauernverband das Gesetz auch in abgeschwächter Form als „Rückschritt“, wie es in einer Pressemitteilung heißt. „Der Grundansatz des Naturwiederherstellungsgesetzes bleibt eher rückwärtsgewandt und ordnungspolitisch mit weitreichenden Vorgaben und pauschalen Zielen für die Mitgliedsstaaten“, sagt Generalsekretär Bernhard Krüsken demnach. „Das Naturwiederherstellungsgesetz ist der völlig falsche Weg für den Schutz der Biodiversität und stellt eine Abkehr vom kooperativen Naturschutz dar. Dieser Ansatz ignoriert, was Land- und Forstwirtschaft mit der heimischen Nahrungsmittelerzeugung, nachwachsenden Rohstoffen und erneuerbaren Energien bereits leisten.“

Dieser Einschätzung widersprechen jedoch Experten und Expertinnen, darunter auch Wissenschaftler der Europäischen Wissenschaftsakademien (EASAC), zu dem auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina gehört. In einer Stellungnahme zum Gesetz aus April heißt es: „Das Gesetz ist von entscheidender Bedeutung für Ernährungssicherheit, biologische Vielfalt und das Klima.“ Man habe bewiesen, dass die Ernährungssicherheit durch mehr Umwelt- und Naturschutz nicht gefährdet sei - im Gegenteil, sie werde durch das Gesetz sogar gefördert. Anderes zu behaupten sei „falsch“, so Professor Michael Norton von EASAC.
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„Was jedoch durch die Implementierung dieser Maßnahmen gefährdet wird, sind die Geschäftsinteressen einiger weniger in der Agrarindustrie - zum Beispiel der Vertrieb von Pestiziden und Düngemitteln - weshalb es so eine starke Kampagne gegen das Gesetz gegeben hat“, so die Einschätzung von Norton.
Renaturierungsgesetz verpflichtet Länder zu Naturschutz in der EU
Das Renaturierungsgesetz verpflichtet die Länder der Europäischen Union, bis 2030 auf mindestens einem Fünftel ihrer Land- und Meeresflächen Maßnahmen zur Wiederherstellung der Natur zu ergreifen. Ziel ist es, dem Rückgang natürlicher Lebensräume entgegenzuwirken, etwa durch die Wiederherstellung von Mooren, die CO₂-Emissionen absorbieren können. Das Gesetz ist ein wichtiger Baustein der europäischen Strategie zur Bekämpfung des Klimawandels. Finnland, Ungarn, Italien, die Niederlande, Polen und Schweden stimmten gegen das Gesetz. Belgien enthielt sich.
Die deutsche Europa-Abgeordnete und Verhandlerin der Grünen zum Gesetz kommentierte zum Beschluss: „Ohne Artenvielfalt gibt es weder fruchtbare Böden, noch saubere Luft oder trinkbares Wasser. Mit dem Renaturierungsgesetz im Gepäck fährt die EU mit erledigten Hausaufgaben zur Weltbiodiversitätskonferenz nach Brasilien.” Mit Material von dpa und AFP