Murren hinterm Maulkorb: Wo es in den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD stockt
Eigentlich sind sie zur Einigung verdammt: Doch in den Koalitionsverhandlungen prallen gegensätzliche Ansichten von Union und SPD aufeinander. Einige Konflikte dringen nach außen.
Berlin – Der Maulkorb ist kurz und klar. „Keine Pressearbeit“, steht dick unterstrichen in den „Handreichungen“, die an die Unterhändler gemailt wurden, „keine Pressekonferenzen, keine Kommunikation von Zwischenergebnissen, keine Selfies“. Das Sprechverbot, erteilt von den drei Parteichefs, wurde zwar etlichen Journalisten durchgetuschelt – aber es wirkt. Obwohl die schwarz-roten Verhandlungen auf Hochtouren laufen, 256 Beteiligte, dringt erstaunlich wenig raus.
Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD: Gespräche über Innenpolitik, Haushalt und Wirtschaft
16 Arbeitsgruppen mit je 16 Fachpolitikern verhandeln. Es sind die großen Themen wie Innenpolitik, Haushalt, Wirtschaft, Gesundheit, Agrar, aber auch vermeintlich kleinere wie Bürokratieabbau oder Kommunen. Jede Arbeitsgruppe muss bis Montag, 17 Uhr, fertig sein. Im Optimalfall sind dann alle Streitfragen gelöst, ansonsten sind zwei unterschiedliche Formulierungsvorschläge in blau und rot im Text vermerkt. Ach ja, und die Kosten sollen auch noch aufgelistet werden in der Einheit „Millionen Euro“.
Dann befasst sich eine 19-köpfige Steuerungsgruppe mit allen Texten, vor allem den strittigen. Was danach noch nicht gelöst ist, wird noch eine Ebene hochgereicht, notfalls zu den obersten Verhandlern um Friedrich Merz, Markus Söder, Alexander Dobrindt, Lars Klingbeil und Saskia Esken. Dieser Kreis verfasst und redigiert am Ende den Entwurf eines Koalitionsvertrags. Mit Nachtsitzungen ist zu rechnen, Ende ungewiss.
Streitpunkt bei Koalitionsverhandlungen: SPD stellt sich gegen Merz‘ Migrationswende
Ab und zu melden die 256 Unterhändler jetzt schon Zwischenstände nach oben. Aus dem unvollständigen Bild ergeben sich Hinweise, dass es an mehreren Stellen kräftig zur Sache geht. Die Bild berichtet, die SPD stelle Teile der geplanten Migrationswende infrage. Das von Merz ultimativ angekündigte Zurückweisen von Flüchtlingen an der Grenze will die SPD nur mitmachen, wenn die Nachbarstaaten einverstanden sind.
Einen „Schäbigkeitswettbewerb“ werde die SPD nicht mitmachen, tönte ihr Unterhändler Ralf Stegner. Man werde das schon lösen, heißt es indes von anderen Seiten. Das Sondierungspapier, das als Basis für die Koalitionsverhandlungen gilt, sei klar genug. Darin heißt es „in Abstimmung“ mit den Nachbarn, aber nicht „bei Zustimmung“.
Der Union ist neben der Zurückweisung dabei wichtig, den Familiennachzug in Teilen auszusetzen, die freiwilligen Afghanistan-Programme zu stoppen und Wege zu suchen, nach Syrien und Afghanistan abzuschieben. Merz selbst forderte seine Parteifreunde auf, „hart“ zu verhandeln. An seiner Parteibasis ist die Stimmung angesichts des Schuldenpakets dem Vernehmen nach bereits gereizt.
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Bürgergeld, Umwelt und Gesundheit: Wo es in den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD stockt
Rangeleien gibt es offenbar noch um Details beim Umbau des Bürgergelds. Kräftige Differenzen werden auch noch aus dem gemeinsamen Bereich Agrar/Umwelt genannt, wo die Union gern das Verbandsklagerecht kappen und Umweltstandards senken möchte. Die SPD, die als Unterhändler unter anderem linkere Politiker aus Bayern entsendet hat, wehrt sich. Dramatisch schwierig schildern selbst erfahrene Beteiligte die Gespräche in der Gesundheits-Arbeitsgruppe – weil die Finanzlage der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung noch weit schlimmer sei als erwartet.

Kabinett Merz: Verhandlung über Ressortverteilung zwischen Union und SPD steht noch aus
Noch nicht mal andiskutiert in den Gesprächen ist die Ressortverteilung. Welche Partei welche Posten erhält, kommt traditionell immer ganz am Ende von Koalitionsverhandlungen. Spekuliert wird dennoch, zum Beispiel in der SPD: Eng werden könnte es für Hubertus Heil, weil mit Boris Pistorius und Lars Klingbeil bereits zwei Männer aus Niedersachsen als gesetzt gelten, ein dritter wäre zu viel. Fraglich ist, was aus der scheidenden Bundestagspräsidentin Bärbel Bas wird, und ob SPD-Chefin Saskia Esken ins Kabinett wechselt.
Auch ist offen, welche Ministerien es dann überhaupt noch gibt. Der Bereich Entwicklung ist zum Beispiel schon in den Verhandlungsgruppen nicht mehr eigens abgebildet, nur als Unterpunkt der Gruppe zur Außen- und Verteidigungspolitik. Ehemalige Minister sind offenbar schwer alarmiert. Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) und Gerd Müller (CSU) warnten in einem gemeinsamen Gastbeitrag im „Tagesspiegel“, eine Abschaffung würde für Deutschland „zu einem dramatischen Verlust an globalem Einfluss“ führen.