Von der Leyen will Milliardenplan für grünes Wachstum – auf Kosten von Menschenrechten?
Mit dem „Clean Industrial Deal“ will Ursula von der Leyen die EU von Bürokratie und Regulatorik befreien – auf Kosten von Klimaschutz und Menschenrechten?
Brüssel – Weniger Bürokratie und Regulatorik – dafür mehr Vertrauen für die Wirtschaft. So in etwa ließe sich 88 Tage nach ihrer Wiederwahl als EU-Kommissionspräsidentin der erste große Vorstoß von Ursula von der Leyen zusammenfassen. In einem 24-seitigen Papier namens „Clean Industrial Deal“ will die EU im großen Stil Industrie und Klimaschutz versöhnen.
Von der Leyen will mit „Clean Industrial Deal“ Wirtschaft und Klimaschutz versöhnen – und Firmen entlasten
Künftig müssen zum Beispiel nur noch Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten, umfassende Reports über ihre Umweltbilanz anfertigen. Bisher lag die Grenze bei 250 Mitarbeitern und wurde speziell von kleinen und mittleren Unternehmen europaweit wegen des hohen Bürokratieaufwands kritisiert. Auch das umstrittene Lieferkettengesetz stieß in der europäischen Wirtschaftswelt auf wenig Gegenliebe: Von der Leyen will das Gesetz nun um ein Jahr auf 2028 verschieben – für kleinere Unternehmen sogar auf Sommer 2029.
Bisher hier waren Unternehmen mit mindestens 1.000 Mitarbeitern und mit einem Jahresumsatz von mindestens 450 Millionen Euro seit Juli 2024 dazu verpflichtet, Menschenrechte und Umweltschutz entlang der eigenen Wertschöpfungskette zu wahren. Bis 26. Juli 2026 haben die EU-Staaten derzeit Zeit, die Richtlinie ins nationale Recht umzusetzen, ehe die Vorschriften ab Juli 2027 dann verbindlich gelten sollen.
Während Menschenrechts- und Umweltorganisationen das Gesetz als Meilenstein feierten, war die Skepsis der Wirtschaft groß. Zu komplex, zu bürokratisch und zu teuer in der Umsetzung – und ein Wettbewerbsnachteil im globalen Markt. Länder wie China oder die USA setzen ihren Unternehmen keine derartige Regulatorik vor, hieß es oft aus dem Sektor.
EU-Kommission verspricht: Grüne Transformation bleibt das langfristige Ziel – mit kurzfristigen Einschnitten?
Das will von der Leyen nun ändern – auf Kosten der grünen Transformation der europäischen Wirtschaft? Valdis Dombrovskis, EU-Kommissar in Brüssel und zuständig für Bürokratieabbau, versprach, dass die Maßnahmen keineswegs eine Abkehr der grünen Transformation der EU sei. Vielmehr gehe es darum, den Menschen und Unternehmen mehr Zeit zu geben, um den „hohen bürokratischen Aufwand“ zu stemmen. Trotzdem sprach er auch vieldeutig davon, dass die EU nicht erwarten könne, mit „einer auf dem Rücken gebundenen Hand erfolgreich im Wettbewerb“ bestehen zu können. Zwei weitere Veränderungen: Von der Leyen will die Taxonomie-Verordnung abschwächen. So soll die Barriere für das Label „nachhaltig“ für Produkte und wirtschaftliche Aktivitäten sinken.

Und zudem sollen Unternehmen, die nach Einschätzung der EU zu wenig CO₂-Emissionen aufweisen, von einer Abgabe auf ihre Importe befreit werden. Die Pläne sollen für Importe von Stahl, Zement oder Düngemittel unter 50 Tonnen gelten – und betreffen rund 80 Prozent der bisherigen Importeure.
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Von der Leyen unter Druck: Eigene Koalition und Trumps Protektionismus
Mit ihrem Kurswechsel reagiert von der Leyen auf die Forderungen der kriselnden EU-Wirtschaft. Angesichts massiver Gewinneinbrüche in Schlüsselbranchen wie etwa dem Automobilsektor oder auch Schwerindustrien will die EU-Präsidentin den Unternehmen entgegenkommen. Auf der anderen Seite ist von der Leyen selbst seit ihrer Wiederwahl vor fast drei Monaten eine Getriebene ihrer deutlich konservativeren Koalition. Hier stehen (derzeit) eher Wirtschaftsaufschwung und Migration statt Klimaschutz im Mittelpunkt. Auch aus den Mitgliedsstaaten kommt Druck, die grüne Transformation nicht auf Kosten der Wirtschaft durchzudrücken.
Diesen Kurs dürfte auch die neue Bundesregierung unter einem Kanzler Friedrich Merz (CDU) verfolgen. Symbolisch für diesen Kurs hatte dieser unlängst angekündigt, Klima und Wirtschaft ministerial wieder trennen zu wollen.
100 Milliarden für grüne Projekte – Grüne Technologien und Förderung von Erneuerbare Energien
Hinzu kommt die protektionistische Politik von Donald Trump, der die EU künftig mit neuen Zöllen unter Druck setzen dürfte. Vermutlich meinte Dombrovskis jene Kräfte, gegen die die EU-Wirtschaft mit nur einem Arm nicht gewinnen kann. Doch auf der anderen Seite kündigte von der Leyen gleichzeitig an, rund 100 Milliarden Euro zu mobilisieren, um den „Clean Industrial Deal“ als Ergänzung zum „Green Deal“ zu etablieren. Dieser solle nämlich auch gezielt grüne Projekte fördern:
- Schaffung von Märkten für grüne Technologien: Unternehmen sollen durch spezielle Märkte dazu ermutigt werden, in nachhaltige Technologien und klimafreundliche Produkte zu investieren. Die EU will dafür finanziell und wirtschaftlich tragfähige Bedingungen schaffen.
- Steuererleichterungen für Strom: Industrien, die große Mengen an Energie verbrauchen, soll der Umstieg auf klimafreundliche Prozesse durch Steuervergünstigungen auf Strom erleichtert werden.
- Förderung Erneuerbarer Energien: Unternehmen sollen finanzielle Anreize erhalten, wenn sie verstärkt auf klimafreundliche Produktionsmethoden setzen oder langfristige Stromlieferverträge mit Wind- und Solarparks abschließen. Dadurch soll die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern verringert werden. Auf der anderen Seite sieht der Plan von der Leyens keine klare Abgrenzung von fossilem Wasserstoff vor. Dieser soll genauso gefördert werden, wie grüner Wasserstoff.
- Unterstützung der Kreislaufwirtschaft: Die EU will Vorbild für effiziente Ressourcennutzung werden – konkrete Maßnahmen sind allerdings noch offen.
Kritik und Lob für von der Leyen: „Wunschzettel der Wirtschaftslobby“ erfüllt vs. „längst überfälliger Schritt“
Die Reaktionen auf den „Clean Industrial Deal“ fielen zwiespältig aus – zwischen Kritik an Zugeständnissen und Lob für wirtschaftliche Entlastung. Menschenrechtsorganisation wie Misereor, eine Entwicklungshilfeorganisation der katholischen Kirche, sprachen aufgrund der abgeschwächten Berichtspflichten zu Lieferketten und Umweltbilanz generell von der Erfüllung des Wunschzettels der Wirtschaftslobby. Die EU setze diesen auf Kosten von „Textilarbeiterinnen, Kakaopflückern, indigenen Gemeinschaften, der biologischen Vielfalt und des Klimas“ um.
Auf der anderen Seite lobte die Umweltschutzorganisation WWF Deutschland große Teile des Programms als „längst überfälligen Schritt, um Europa auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu halten.“ Und auch der Bundesverband für Erneuerbare Energien hob die Stärkung der Solar- und Windindustrie hervor und sprach von einer „klaren Wegmarke für die Zukunft der europäischen Industrie“.