Arm und reich, Moral und Frevel, Recht und Unrecht treffen in Antdorf aufeinander: Die Theaterer bringen Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ auf die Bühne. Für die Vorstellungen dieses Wochenende gibt es noch Restkarten.
Antdorf – Egal, ob die Besucher aus Antdorf, Iffeldorf oder einer anderen Gemeinde ins örtliche Trachtenheim kamen. Spätestens nachdem die Eintrittskarte, die gleichzeitig als Zugticket fungierte, abgestempelt war, wurden die Besucher zu Bewohnern von Güllen – und saßen plötzlich mit im Boot um eine tragische Komödie. Die Antdorfer Theaterer brachten heuer mit Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ einen echten Klassiker auf die Bühne. Bei den Laienschauspielern hieß es allerdings nur „Der Besuch“. Dass es keine Toten in den zwei Akten gab, anders als in Dürrenmatts Werk, war Carolin Daser zu verdanken, die neben dem Skript auch noch die Spielleitung inne hatte. Mit Pathos begrüßt sie die neugewonnenen Güllener zum „Themenabend Rache“ – mit gerolltem „Rrrrrr“.
Antdorfer Theaterer spielen Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“
Das Städtchen Güllen, in dem das Stück spielt, ist völlig heruntergekommen. Und das schon seit Jahren. Von der einstigen Größe, den erfolgreichen Unternehmen und den bekannten Persönlichkeiten ist nichts mehr übrig. Auch der Schnellzug, der „rasende Roland“, hat schon ewig kein Halt mehr in Güllen gemacht. Das ändert sich schlagartig, als Milliardärin – und ehemalige Güllenerin – Klara Wäscher, Verzeihung, Claire Bekuckellison (Claudia Schmidt), ihrer Heimatstadt einen Besuch abstattet. Ganz zur Freude der Bürgermeisterin (Sophie Babilon) und des Pfarrers (Manuel Geier).
Die Hoffnung: Die alte Dame ordentlich ausquetschen und der Stadt zum ehemaligen Glanz zurückverhelfen. Die Geheimwaffe: Krämer Alfred Ill (Hubert Wanger), ehemalige Flamme der Milliardärin. Dass Bekuckellison nicht nur mit Butler Boby (Klaus Babilon), Eunuchen Toby (Marco Teubner) und Koby (Jan Feddersen), Ehemann Nummer sieben (Leonie Kirchbichler) sondern auch mit einem Sarg anreist, wird schon kein schlechtes Zeichen sein. Oder? Vor den Augen des Publikums – Nein, der Güllener – entfaltet sich die Handlung voller Spannung. Denn nebst Sarg hat die steinreiche Frau ein Angebot, das wortwörtlich tödlich ist. „Ich bin die Hölle geworden“, sagt sie.
Restkarten verfügbar
Für die Vorstellungen im Schützenheim am Donnerstag (17. Juli), Freitag (18. Juli), Samstag (19. Juli) jeweils um 20 Uhr und Sonntag (20. Juli) um 18 Uhr gibt es noch Restkarten. Diese gibts an der Abendkasse oder können per WhatsApp an 0152/27542769 reserviert werden. Einlass jeweils eine Stunde vorher.
Da sind die beiden Einwohner (Stefanie Muhr und Felix Blümlhuber), die anfangs noch mit Desinteresse und Belustigung auf die Ankunft der alten Dame blicken, dann aber immer bedrohlicher wirken. Da ist die aufgeregte und übereifrige Bürgermeisterin, die alles daran setzt, die – zugegebenerweise nicht ganz unproblematische – Vergangenheit der Milliardärin in das güldenste Licht zu rücken. Krämer Ill, der sich so sicher ist, die alte Klara wieder um den Finger wickeln zu können: „Die hab ich im Sack.“ Die beiden Eunuchen, die so beunruhigend und gleichzeitig belustigend synchron sind. Und dann ist da die Dame selbst. Vermeintlich großzügig, in Wahrheit verbittert und steinhart.
Eine Tragikomödie im Schützenheim: „Der Besuch“ der Antdorfer Theaterer basiert auf einem Klassiker von Dürrenmatt
Dass die Stimmung auf der Bühne allmählich kippt, von der Hoffnung auf eine strahlende Zukunft, zu dem leiden unter dem Preis dafür, entwickeln die Laienschauspieler mit viel Liebe zum Detail und noch mehr Witz. Allesamt sind die Güllener zerrissen: Der Pfarrer leidet unter dem unmoralischen Angebot der Dame, weil es seine eigenen Werte ins Wanken bringt. Wie Manuel Geier seine Rolle volltrunken Ill belehren lässt, ist köstlich.
Was bedeutet eigentlich der Name „Bekuckellison“?
In Dürrenmatts Original heißt die Milliardärin Claire Zachanassian, zusammengesetzt aus den damals reichsten Milliardären Zaharoff, Onassis und Gulbenkian. Der Name, den die Antdorfer Theaterer ihrer Claire gegeben haben, setzt sich wiederum aus Musk, Bezos, Zuckerberg und Ellison zusammen: Bekuckellison.
Die Bürgermeisterin (Sophie Babilon begeisterte das Publikum) fühlt sich vor allem ihrem Schützling verpflichtet: der Stadt. Doch auch sie windet sich unter der Verantwortung für den hohen Preis. Krämer Ill selbst hingegen muss sich mit seiner Schuld auseinandersetzten: Ist er damals wirklich schändlich mit Klara umgegangen? Er scheint sein Handeln, jahrelang unterdrückt, erschrocken einzusehen. „Ich sehe ein, dass ich kein Recht mehr habe.“ Dabei setzt ihm Schauspieler Hubert Wagner ein Entsetzen der Erkenntnis und der Angst ins Gesicht.
Auch Klara Wäscher ist zerrissen. Lässt Claudia Schmidt sie auch noch so hart nach außen wirken, schafft sie es immer, den eigentlichen Wunsch der Klara, nach Liebe und nach echter Verbundenheit, durchblicken zu lassen. So lässt sie den Betrachter in ihrer Figur lesen, wie in einem offenen Buch. Ihre Ehemänner sieben bis neun, dargestellt von Leonie Kirchbichler, sorgen für so manchen Lacher. Kirchbichler beweist dabei gekonnt, dass es keine Kostümwechsel braucht, um verschiedenen Persönlichkeiten darzustellen.
Vorhang zu, Gedanken an: Die Antdorfer Theaterer bringen die Zuschauer mit ihrem Stück zum Nachdenken
Als der Vorhang fällt und der Besucher sich wieder auf Antdorfer Boden befindet, drängt sich die Frage auf: Hätte ich das Geld annehmen können? Wie unmoralisch ist der Wunsch nach Rache? Was ist ein Menschenleben wert? Und wer ist hier wirklich der Bösewicht: Die Person, die das Angebot macht, oder die, welche die Hand danach streckt?
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